Gar nicht trivial

Erlebnisse einer TA (156)

Maike Ruprecht


Editorial

Die TA

Als ich aus der Mittagspause zurückkomme, stehen zwei Haustechniker vor einem der Abzüge in unserem Labor. Unsere Haustechniker sind sehr rührig. Müssen sie auch sein, denn die Uni ist groß. Ständig geht irgendwo etwas kaputt, muss installiert oder gewartet werden. So auch diesmal.

„Wir möchten Ihre Digestorien warten“, verkündet der ältere Techniker.

Bitte? Was ist denn das nun wieder?

So schnell es mit Mittagessen im Magen eben geht, durchsuche ich meinen Wortschatz nach ähnlichen Wörtern, die mir einen Hinweis auf die Lösung dieses Rätsels geben könnten: Degustation, digital, Desintegrator, Digestif ... – Letzteres passt ganz gut. Vielleicht meinen die beiden unsere Sicherheitsschränke für Alkohole beziehungsweise entzündliche Stoffe?

Editorial

„Sie wollen unsere Sicherheitsschränke warten?“

Er nickt. Ich freue mich. Allerdings nur kurz.

„Die Sicherheitsschränke und die Digestorien.“

„Was bitte ist ein Digestorium?“

Verflixt, offenbar sind das zwei Paar Schuhe. Mit der Endung „-ien“ wird bei lateinisch-stämmigen Wörtern auf „-ium“ der deutsche Plural gebildet, also besitzen wir offenbar mehr als ein Digestorium. Ich durchstöbere im Geiste unseren Gerätepark. In Singular und Plural. Kein Treffer! Zwei Jahre Berufsschule und fast zwanzig Jahre Berufserfahrung – und dann so was. Hoffentlich erfährt das keiner.

„Was ist bitte ein Digestorium?“, räume ich meine Unwissenheit ein.

„Na, das hier.“ Er zeigt auf unseren Abzug.

„Das ist ein Abzug.“

„Ein Digestorium!“

Plötzlich erinnere ich mich, dass ich diese Bezeichnung doch schon mal gehört habe. Bei meiner ersten Brandschutz-Unterweisung an der Uni Frankfurt hielt der Kursleiter uns dazu an, im Brandfall vor dem Verlassen des Labors, wenn möglich, die Digestorien abzuschalten. Schon damals hat eine Kursteilnehmerin die Bedeutung dieses Wortes nachgefragt, möglicherweise sogar ich selbst. Offenbar hat der Kursleiter anschließend seine Wortwahl der modernen Labor-Nomenklatur angepasst, denn in den Unterweisungen der vergangenen Jahre war stets nur noch von „Abzügen“ die Rede – und so ist die Bezeichnung „Digestorium“ aus meinem Gedächtnis entschwunden.

Schuldbewusst schaue ich auf den Abzug … äh, das Digestorium. Da arbeitet man jahrelang zusammen, es hält einem alle möglichen giftigen Dämpfe, Stäube und andere Unbill vom oder besser aus dem Hals – und zum Dank verballhornen wir seinen klangvollen Namen. Als wohne man neben dem Freiherrn Eduard Mondstein vom tiefen Seegrund und nennt ihn „Eddi“.

Allerdings haben der Adlige und das Laborgerät eines gemeinsam: Ihre melodiösen Namen eignen sich ebenso wenig für den täglichen Sprachgebrauch wie manche Chemikaliennamen, zum Beispiel Tris(hydroxymethyl)aminomethan. Deswegen nennen wir diese Chemikalie TRIS, und darum wurde aus einem Digestorium ein Abzug. Nicht aus Respektlosigkeit, sondern aus Pragmatismus. „Abzug“ ist also quasi ein Kosename – und den gibt man nur Personen, oder eben Geräten, die man gern hat.

Darauf einen Digestif!



Letzte Änderungen: 13.06.2022