Das Gurkenmysterium

Erlebnisse einer TA (136)

Maike Ruprecht


Editorial

Die TA

Eine Doktorandin aus meinem Unterlabor hatte Geburtstag. Von dem gesammelten Geld besorgte ich nicht nur ein Geschenk, sondern auch einen schönen, großen Blumenstrauß.

Am Morgen des großen Tages stand ich also mit zwei Dutzend gelber Tulpen in unserer Küche – und erst in diesem Moment fiel mir ein: Wir haben keine Vase! Kaum zu glauben. Ein Labor für botanische Grundlagenforschung besitzt keine Blumenvase. Und das bei all dem Kram, der im Laufe der Jahre so in unserer Küche gestrandet ist. Die Tulpen senkten vorwurfsvoll die Köpfe.

Es half nichts, ich musste improvisieren. Ich lass mich doch von 24 gelben Tulpen nicht unterkriegen.

Im Schrank fand ich ein Glas Essiggurken. Ein Riesending, dessen Mindesthaltbarkeitsdatum seit drei Jahren abgelaufen war. Wenn die bisher noch niemand gegessen hat, isst sie jetzt auch niemand mehr.

Editorial
Berliner Brauch?

Ich goss das Essigwasser ab, und da sie mir noch absolut genießbar schienen, stellte ich die sauren Gurken in einer Schüssel zum Verzehr bereit. Ich spülte das Glas und arrangierte sorgfältig die Blumen darin. Sah richtig gut aus.

Als das Geburtstagskind den Raum betrat, war natürlich das Erste, was sie erblickte – oder vielmehr roch: die sauren Gurken auf ihrem Geburtstagstisch. Sie stellte ihren mitgebrachten Kuchen daneben und zeitgleich die unvermeidliche Frage:

„Was bedeuten die Gurken?“

Einer der hinzugekommenen Kollegen gab ihr einen von unterdrücktem Kichern begleiteten Hinweis:

„Die hat Maike für dich hingestellt.“ Die Geburtstagsdoktorandin sah mich irritiert an.

„Und warum saure Gurken?“

Wie so oft schien mir die schnöde Wahrheit unangebracht.

„Das ist dein Geburtstagsrätsel“, redete ich mich raus. „Wenn du es lösen kannst, bevor der Tag zu Ende geht, hast du einen Wunsch beim Universum frei.“

Sie sah mich sehr lange und nachdenklich an.

„Du kommst doch aus Berlin, oder?“

Ein guter Lösungsansatz, an den ich selbst bislang nicht gedacht hatte. Leider war ich mir bezüglich der Herkunft der Uralt-Gurken nicht sicher. Dazu hätte ich vorher selbst einen Blick auf das Etikett werfen müssen, was ich jetzt leider nicht mehr konnte, da ich es diskret nach hinten gedreht hatte.

Na ja, schließlich hat die Geburtstagsdoktorandin dann doch noch die richtigen Schlüsse gezogen, und einige Kuchenstücke später gingen alle an ihr Tagewerk.

Als ich später nachdenklich vor mich hin pipettierte, schlichen sich plötzlich die folgenden Fragen in mein Hirn: „Hat unser Geburtstagskind tatsächlich geglaubt, die Gurken hätten mit meiner Herkunft zu tun? Erinnert sie sich womöglich für den Rest ihres Lebens während jedes ihrer Geburtstagsfeste an die TA aus Berlin mit dem seltsamen Essiggurken-Geburtstagsfetisch?“

Deshalb ein wichtiges Schlusswort:

In Berlin ist es nicht Brauch, Essiggurken zum Geburtstag zu schenken! Und auch sonst sind mir dort keine seltsamen Geburtstagsbräuche mit Gurken bekannt.

Wollte ich nur mal klarstellen.



Letzte Änderungen: 06.04.2020