Zuwachs

Erlebnisse einer TA (77)

Annette Tietz


Editorial

Die TA

Neulich morgens klingelte das Labortelefon und wieder mal war außer mir niemand qualifiziert genug, dranzugehen. Grundsätzlich telefoniere ich ja gerne, aber nicht mitten in der Antikörper-Kalkulation und vor allem lieber mit Leuten, die mir was Spannendes zu berichten haben. Da nach dem fünften Klingeln noch immer Kein Retter zur Labortüre hereingestürmt war, meldete mich artig mit vollständigem Namen und Abteilung. Dies tat der Herr am anderen Ende auch: „Hier Müller von der Abteilung Arbeit und Sicherheit.“ Schön, dachte ich mir. „Sind Sie schwanger?“

Schweigen ist Gold

Meine Gedanken schlugen kurz Purzelbäume, dann sortierten sie sich wieder und ich dachte nur: Lieber Herr Müller, nein, ich bin nicht schwanger, und wenn, dann wären Sie sicher nicht der erste, dem ich das erzählen würde. Aber wenn der nette Herr Müller anrief, hieß das ja, dass eine meiner Kolleginnen schwanger war, oder? „Hallo? Sind Sie noch dran?“ „Äh – ja.“ Jetzt unterbricht er nicht nur meine Arbeit, sondern auch noch meine investigativen Gedankengänge, der Herr Müller.

Editorial

„Ich deute die lange Pause als ‚Ja‘. Und verstehe, dass Sie gerade nicht ungestört reden können und deswegen so verhalten am Telefon reagieren. Erst einmal herzlichen Glückwunsch! Ich hoffe, Ihnen geht es den Umständen entsprechend gut!“ „Äh, Herr Müller, das ist jetzt ...“ „Keine Sorge, ich möchte Ihnen nur vorab ein paar Dinge mitteilen, ehe ich Ende der Woche zu Ihnen ins Labor komme. Sie müssen auch gar nichts sagen, sondern nur zuhören, so wird schon niemand im Labor misstrauisch, hihi.“ Was für ein Spaßvogel!

„Sie sollten sich bis zu Beginn Ihres Mutterschutzes nur im S1-Bereich aufhalten und Arbeiten mit Materialien, die mit folgenden R- und S-Sätzen gekennzeichnet sind, meiden.“ Darauf folgte eine nicht enden wollende Zahl von R- und S-Nummern. „Schreiben Sie mit?“ Was? Ich durfte ja nix sagen, nur zuhören, so hatte es der Herr Müller gesagt. Ich schwieg und überlegte, welche meiner Kolleginnen denn nun ihre Familienplanung in die Tat umgesetzt hatte. „Steht in Ihrer Abteilung ein Sofa, auf dem Sie sich im Bedarfsfall ausruhen könnten?“ Gute Frage, aber ich finde, das sollte auch Nicht-Schwangeren zur Verfügung stehen! „In diesem Fall dürfen Sie mit Ja oder Nein antworten. Ich verstehe Sie ja, das ist sicher eine ganz aufregende Situation.“ Oh ja, und wie! „Also, wenn Ihnen in der Abteilung kein Sofa zur Verfügung steht, dann werde ich das Ende der Woche mit Ihrem Chef besprechen.“ Das gefiel mir.

Wie wäre es gleich mit einer neuen Kaffeemaschine? Vielleicht wäre dies ja nun der ideale Zeitpunkt, um über eine Klimaanlage zu sprechen? So langsam wurde die Sache interessant! „Zu den Anträgen zu Mutterschutz und Elternzeit wird sich Frau Steiner von der Abteilung Familie und Beruf mit Ihnen in Verbindung setzen. Sie steht Ihnen dann auch bei sämtlichen weiteren Fragen zur Verfügung. Also wir sehen uns Ende der Woche und meiden Sie bitte alles, was ich Ihnen aufgezählt habe, es geht schließlich um Ihre eigene Sicherheit. Bis dann!“

Ich stand da, mit einem Hörer, aus dem nur noch ein fernes Tuuut zu hören war. Ich hätte die Sache ja gerne aufgeklärt, aber laut Herr Müller durfte ich ja nix mehr sagen, wegen meinen so zahlreich anwesenden Kollegen. Ich hoffe nur, dass der liebe Herr Müller die Ahnungslosigkeit meiner tatsächlich schwangeren Kollegin als beginnende Schwangerschaftsdemenz abtut und sich keine weiteren Gedanken macht, ob er tatsächlich mit ihr telefoniert hat. In dem Moment kam mein Chef zur Türe rein. „War das wichtig?“ Er deutete zum Hörer. „Nö, aber wir kriegen hier wahrscheinlich ein Sofa her.“



Letzte Änderungen: 01.08.2018