Editorial

De-Novo-Domestikation

von Melanie Erzler (Laborjournal-Ausgabe 11, 2018)


Stichwort

Jahrtausendelang passte der Mensch seine Nutzpflanzen stetig an seine Ernährungsbedürfnisse an. Die heutigen Ansprüche an den Anbau von Getreide, Mais und Reis, ebenso wie Gemüse- und Fruchtpflanzen sind daher besonders vielseitig: Sie sollten flexibel anzubauen und maschinell zu ernten sein sowie lange Transporte und Lagerungen überstehen. Geschmack und Nährwert blieben bei den Züchtungen oftmals auf der Strecke: Häufig hatten die Bedürfnisse der Erzeuger Vorrang.

Tomaten beispielsweise wachsen heutzutage in Reihen, reifen synchron und können über lange Strecken transportiert werden. Aber wer hat nicht schon einmal in eine Tomate gebissen, die kaum nach mehr als ein bisschen säuerlichem Wasser schmeckt? Über die zahlreichen Kreuzungen hinweg ging die genetische Diversität verloren – und damit auch viele positive Eigenschaften der Pflanzen. Ein Weg, diese wiederzuerlangen, sind mühsame Rückkreuzungen mit wilden Vorfahren, in denen die betreffenden Anlagen noch erhalten sind. Das jedoch braucht Zeit – und es kann durchaus passieren, dass vor allem polygen vererbte Eigenschaften nach den ersten Kreuzungen wieder verloren gehen.

Alles auf Anfang

Ein alternativer Ansatz ist daher die De-Novo-Domestikation aus wilden Vorfahren. Heute soll es allerdings schneller gehen: Schließlich erlauben neue genetische Werkzeuge wie TALENs oder CRISPR/Cas9 seit kurzem die gezielte Modifikation einzelner Gene. Dabei ist alles möglich: Gensequenzen können ausgeschnitten und neu eingebracht sowie deren Expressionslevel über Transkriptionsregulatoren verändert werden.

CRISPR/Cas9 erlaubt es sogar, mehrere Gene in einem Schritt zu editieren: Da die Zielsequenz des Enzyms Cas9 von unabhängigen „guidance RNAs“ (gRNA) und nicht mehr vom Enzym selbst bestimmt wird, können mehrere Angriffspunkte gleichzeitig bestimmt werden.

Doch zurück zur Tomate: mit einer jährlichen Produktion von 100 Millionen Tonnen ist sie eine der wichtigsten Nahrungspflanzen weltweit. Jahrzehnte an Züchtungen und pflanzengenetischer Grundlagenforschung lieferten Erkenntnisse über landwirtschaftlich relevante Genotypen. Es existieren 13 Ur-Tomaten, die sich durch unterschiedliche Eigenschaften auszeichnen: Solanum pimpinellifolium ist beispielsweise extrem stresstolerant, ihre Akzessionen sind resistent gegen die weitverbreitete Fleckenkrankheit oder tolerieren eine hohe Konzentration an Salz. Die Frucht dieser Ur-Tomate ist jedoch nur Erbsen-groß, Pflanzenarchitektur und Fruchtreifung sind unregelmäßig – für die kommerzielle Nutzung ist sie also zunächst ungeeignet. Ein großer Vorteil jedoch: Viele dieser Eigenschaften werden monogenetisch vererbt und entstanden aus Gain- oder Loss-of-Function-Mutationen – wie geschaffen also für eine Editierung durch zielgesteuerte Genscheren.

Domestikation im Schnellverfahren

Folgerichtig sind deshalb vor kurzem gleich zwei Publikationen erschienen, die sich an die De-Novo-Domestikation der Tomate gewagt haben. In der einen nahm eine Gruppe chinesischer Pflanzenforscher um Erstautor Tingdong Li die folgenden vier Genevon Solanum pimpinellifolium ins Visier: SELF-PRUNING 5G, durch dessen Ausschaltung Tag­neutralität erreicht und somit eine Kultivierung in verschiedenen geografischen Lagen ermöglicht werden kann; SELF-PRUNING, dessen Modifikation die Ernte durch einen kompakteren Pflanzenbau, einen intensiven Blütenstand und synchrones Reifen erleichtert; sowie CLAVATA3 und WUSCHEL, durch deren Editierung mehr Samenkammern entstehen, was wiederum die Früchte größer macht. Für die Modifikation dieser Gene mittels CRISPR/Cas9 brachten die Forscher entsprechende gRNAs in die Wildtomaten-Akzessionen ein. Dadurch entstanden Tomaten mit einem kompakteren Pflanzenbau und fast synchron reifenden, größeren Früchten (Nature Biotechnology; doi 10.1038/nbt.4273).

Ein internationales Team mit Beteiligung von Forschern der Universität Münster schnappte sich ebenfalls den Pimpinellifolium-Urahn. Gleich sechs Gene veränderten die Forscher mittels CRISPR/Cas9-Editing, um die Ur-Tomate an die heutigen Ansprüche anzupassen. Erreichen konnten sie damit ebenfalls einen kompakteren Pflanzenbau mit einer dreifach vergrößerten Frucht bei einer zehnfach erhöhten Fruchtanzahl. Wie ihre chinesischen Kollegen verbesserten sie durch Loss-of-Function-Mutationen von SELF PRUNING den Aufbau der Pflanzen. Die Fruchtgröße erhöhten sie über Modifikation von FASCIATED und FRUIT WEIGHT 2.2, eine ovalere Form erreichten sie über OVATE. Die Veränderung von MULTIFLORA lieferte schließlich eine höhere Zahl an Früchten (Nature Biotechnology; doi 10.1038/nbt.4272).

Besser als der Urahn

Um den Nährstoffgehalt der Pflanzen weiter zu optimieren, modifizierten die Chinesen SlGGP1, wodurch sie höhere Level an Vita­min C erzielten. Die Kollegen dagegen nahmen sich Lycopin vor, welches für die rote Färbung der Tomate verantwortlich ist. Ihm werden zudem verschiedene gesundheitsförderliche Wirkungen zugeschrieben. In ihrer De-Novo-Domestikation konnten sie über Modifikation von LYCOPENE BETA CYCLASE eine um 500 Prozent erhöhte Konzentration des Carotinoids erreichen.

Der kommerziellen Nutzung dieser bahnbrechenden Erkenntnisse stehen jedoch einige Hürden im Weg. Eine davon ist das umstrittene Urteil des Europäischen Gerichtshofs zur Nutzung von CRISPR/Cas9: Demnach unterliegen durch CRISPR/Cas9 veränderte Lebensmittel den gleichen Regularien wie gentechnisch veränderte Organismen (GVO). Dies hat vor allem eins zur Folge: Hohe Kosten in Forschung und Produktion. Ob die Aussicht auf aromatischere, gesündere Tomaten dem etwas entgegenhalten kann, bleibt abzuwarten.



Letzte Änderungen: 06.11.2018