Editorial

Proteinknoten

von Lara Winckler (Laborjournal-Ausgabe 7-8, 2012)

Knoten

Proteine, das ist altbekannt, sind Ketten von Aminosäuren. Manche setzen sich aus mehreren Tausend zusammen. Das Muskelprotein Titin ist das größte bekannte menschliche Protein und bringt es auf mehr als 30.000 Aminosäuren und rund 3.600 kDa.

Proteine falten sich – allein oder mit Hilfe von Chaperoninen – zu Tertiärstrukturen, und viele Proteine funktionieren nur in Komplexen mit anderen Proteinen.

Dass sie sich zusätzlich auch noch sinnvoll miteinander verknoten sollen, war vielen Wissenschaftlern dann aber doch zu weit her geholt. Die seltsam verhedderten Polypeptide hielten die meisten für zu sperrig und unhandlich, als dass diese eine Rolle in den diversen Aktivitäten einer Zelle spielen könnten. Nicht nur, dass verknotete Proteine mehr kinetische Schwierigkeiten haben dürften als nicht-verknotete, es dauert zudem wesentlich länger, bis sie sich in ihre fertige Struktur gefaltet und geknotet haben. Außerdem kannte man lange Zeit nur ein paar wenige Beispiele für solche Proteinknäuel, weshalb man sie für phylogenetische Überbleibsel hielt, die bald ganz verschwunden sein würden.

Evolutionärer Luxus

In den letzten Jahren zeigte sich jedoch, dass es sich bei den Knäueln keineswegs um evolutionären Müll handeln konnte – dafür fand man einfach zu viele. Zudem sind diese Proteinknoten hochkonserviert, von Bakterien über Pflanzen und Pilze bis hin zum Menschen. Die strikte Konservierung der Knotenmuster in diesen Proteinen scheint eine wichtige physiologische Rolle zu spielen. Aktuelle Studien geben Hinweise darauf, dass die Knoten die Proteine stabilisieren. Einige der konservierten Knotmuster tauchen etwa in Proteinen auf, die Transmembrankanäle bilden – Proteinschlaufen könnten die Transmembranhelices, die den Kanal bilden, miteinander zu vertäuen.

Dennoch, die Verwunderung über ihre Existenz bleibt bestehen. „Aus evolutionärer Sicht erscheint es unwahrscheinlich, dass Proteine sich verknoten, aber dennoch tun sie es“, sagt Kenneth Millet. Zusammen mit Joanna Sulkowska, University of California San Diego, und drei weiteren Wissenschaftlern untersuchte er sämtliche in der Protein Data Bank (PDB) bis April 2011 verfügbaren, immerhin 74.223 Proteinstrukturen auf Proteinknoten (PNAS 2012, 109(26):E1715-23). Die Forscher kartierten dazu Position und Größe der verknoteten und verschlungenen Domänen sowie der Knotenenden.

Sie identifizerten verschiedene Typen von Knoten und charakterisierten die unterschiedlichen Arten der Verknotung von Proteinen mit Hilfe einiger nicht unkomplizierter Strategien. Diese gehen im wesentlichen davon aus, dass alle verknoteten Proteine letztendlich ein lineares Rückgrat haben, wobei linear nicht bedeutet „gerade wie ein Lineal“. Linear ist vielmehr im Sinne des Knotentheorie-Paradoxons zu verstehen, dass nämlich alle linearen Ketten unverknotet seien und man durch kontinuierliche Deformation selbst hochgradig verwurschtelte lineare Ketten entwirren könne.

Ähnlich wie bei einem Wollknäuel, aus dessen ordentlicher und wohldurchdachter Wicklung ein aufgewecktes Kätzchen ein unübersichtliches Wollungetüm gezaubert hat, kann man die Entwirrung von Proteinketten auf mehrere Arten angehen. In der unschönen Variante schneidet man die Kette in kleine Stücke und fügt die Peptide anschließend wieder zu einer Kette zusammen. Abgesehen von dem unverhältnismäßigen Aufwand im zweiten Teil der Übung wird man die ursprüngliche Reihenfolge kaum jemals wieder hinbekommen – die zugrundeliegende Sequenz ist für immer verloren, ebenso wie die Knotenbildung selbst. In der zweiten Variante wählt man ein Ende und zieht dieses geduldig Schlinge für Schlinge durch das Knäuel, doch auch hier bleibt die Erkenntnis des Knotenaufbaus auf der Strecke.

Das Team um Sulkowska wählte Variante Nummer 3. Vereinfacht gesagt zogen sie die beiden Enden der Proteinkette wie ein Schnürsenkel auseinander, bis sie die lineare Kette vor sich hatten. Sie fixierten die beiden Enden der Proteinkette und eliminierten intersegmentale Passagen, die das Ganze nur noch unüberschaubarer machten, am Knoten selbst aber nicht beteiligt waren. „Zogen“ sie die Kette auseinander, erhielten sie die sogenannten Knotenkerne, also die kurzen Stücke des Proteinrückgrats, die einen bestimmten Knotentyp ausbilden.

Knotenkomplexität

Die Analyse der PDB-Proteinstrukturen ergab 398 verknotete Proteine und 222 Proteinschlaufen (slipknots). Sortiert nach ihrer Komplexität fügten die Forscher die gefundenen Knoten in verschiedene Matrizen ein, an denen man etwa ablesen konnte, ob der Knoten die gesamte Polypeptidkette (links unten in der Matrix) oder nur einen Teil davon umfasste (Mitte). Oder ob die Kette unverknotet vorlag (oben rechts in der Matrix).

Sulkowska et al. fanden heraus, dass die Dehalogenase DehI aus Arthrobacter sideroc aspulatus den komplexesten derzeit bekannten Proteinknoten bildet. Dieses Bakterienenzym hydrolysiert Kohlenstoff-Halogen-Bindungen und kann Umweltgifte wie Herbizide und Pestizide degradieren. Auf der Knotenkomplexitätsskala folgen dicht auf DehI diverse Ubiquitin-C-terminale Hydrolasen aus Mensch, Hefe und Plasmodium falciparum. Ihre Aufgabe besteht darin, Ubiquitin von „seinem“ Protein zu lösen, bevor dieses dem Proteasom zur Zerkleinerung übergeben wird – es wäre so teuer wie sinnlos, Ubiquitin jedes Mal zusammen mit dem zu degradierenden Protein mit zu verdauen.

Es sind also durchaus wichtige Proteine, die zu den mit am stärksten verknoteten gehören.



Letzte Änderungen: 04.09.2012