Editorial

Circadiane Uhr-Gene

von Harald Zähringer (Laborjournal-Ausgabe 04, 2001)


Viele Menschen überfällt an langen, dunklen Winterabenden das Bedürfnis sich gemütlich vor Kachel- oder Kaminofen auszustrecken, noch ein Holzscheit in die Glut zu legen, um dann den Rest des Winters zu verschlafen. Auslöser dieses Verlangens ist eine lichtempfindliche innere Uhr. Sie steuert physiologische Prozesse und Körperfunktionen, die einem annähernd 24stündigen, also circadianen Rhythmus, folgen. Diese biologische Uhr gibt den Takt für die Tagesgänge von Körpertemperatur, Hormonspiegeln oder Wach-Schlaf-Rhythmen vor und wacht über tagesperiodische Änderungen von Bewußtsein und Erinnerung.

Werden die Tage im Herbst kürzer, verlängert die Uhr die nächtliche Ausschüttung des Hormons Melatonin. Dies signalisiert dem Körper, dass der Winter im Anmarsch ist: Das Bedürfnis nach Schlaf steigt. Werden die Tage wieder länger, verkürzt das Uhrwerk den Melatoninausstoß, der Organismus wird auf Frühling programmiert und erwacht aus der winterlichen Ruhephase. Circadiane Tagesrhythmen sind aber keine Besonderheit von Säugetieren. Fast alle eukaryotischen Organismen kennen circadiane Uhren; selbst in Cyanobakterien hat man sie aufgespürt.


Biologische Funkuhr

In Säugerhirnen schlägt das zentrale Uhrwerk im suprachiasmatischen Nukleus (SCN). Dieser Zellhaufen aus etwa 10.000 Neuronen sitzt beim Menschen knapp drei Zentimeter hinter dem Augapfel im Hypothalamus. Die Zellen des SCN schütten Neuropeptide aus und senden oszillierende Signale an die Zirbeldrüse (Epiphyse, Glandula pinealis), die dann im circadianen Rhythmus Hormone, insbesondere Melatonin, produziert. Über neuronale Netzwerke sind die SCN-Neuronen mit der Netzhaut verbunden. Diese erfasst die Änderungen der Lichtverhältnisse bei Tagesanbruch und Dämmerung und leitet sie als Zeitgeber an den SCN weiter: Die circadiane Uhr wird so mit der "Sonnen-Uhr" synchronisiert. Molekulare Uhrrädchen, so genannte Uhren-Proteine, regulieren in jedem Neuron des SCN den circadianen Rhythmus über verzahnte Transkriptions- und Translations-Schleifen.


Das Räderwerk

Der circadiane Tag startet mit der Aktivierung der Uhren-Gene Period (Per-3) und Cryptochrom (Cry) durch den heterodimeren Transkriptionsfaktor CLOCK-BMAL1. CRY wandert - nach verzögerter Synthese - in den Zellkern und stoppt die Transkription von Per und Cry. PER2 wird im Cytosol durch die Casein-Kinase-I ε phosphoryliert, im Komplex mit CRY in den Kern transportiert, um dort die Bmal 1 Transkription anzutreiben. Die Expression von Bimal 1 ist durch diese Rückkopplungs-Schleifen maximal, wenn diejenige der Per- und Cry-Gene am niedrigsten ist. BMAL1 kann so erneut Dimere mit CLOCK formieren, die dann die Transkription von Per und Cry wieder anwerfen: Der circadiane Zyklus beginnt von vorne. PER3 überträgt die oszillierenden Signale an nachgeschaltete Ausgabesysteme, während PER1 Licht-Informationen an die Regulationsschleifen übermittelt.

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Mäuse mit mutiertem mPer2-Gen haben einen verkürzten circadianen Rhythmus: Schon vor Sonnenaufgang treten sie begeistert in die Pedale ihrer Laufräder. Ähnliche Frühaufsteher gibt es aber nicht nur unter Mäusen. Menschen, die unter dem Familial Advanced Sleep Phase (FASP)-Syndrom leiden, überfällt bereits am frühen Abend, etwa gegen 19.30 Uhr, die große Müdigkeit. Sie schlafen dann normale neun Stunden, wachen aber meist schon vor der Dämmerung, im Schnitt gegen 4.30 Uhr, auf. Ihr circadianer Rhythmus ist folglich um vier Stunden verschoben.

Ein Team um den Neurologen Louis J. Ptacek vom Howard Hughes Medical Institute der Universität Utah demonstrierte jetzt, dass diesem Syndrom, das Ptacek selbst erst 1999 entdeckte, eine Mutation im humanen hPer2-Gen zugrundeliegt (Science 291, S. 1040).

Ptacek und seine Mitarbeiter führten eine Kopplungs-Studie mit typischen Frühaufstehern einer Großfamilie curch, Tatsächlich fanden die Chronobiologen bei diesen ein Allel im Telomer-Bereich des Chromosoms 2, das mit dein FASP-Phänotyp gekoppelt ist. In diesem Abschnitt ist das Period-Gen hPer2 lokalisiert. Überdies konnten Ptaceks Leute eine Punktmutation in Exon 17 von hPer-2 ausmachen, die offensichtlich die FASP-Patienten so früh aus den Federn holt.

Als Folge der Mutation sitzt bei den Frühaufstehern an Position 662 von hPER2-Proteins ein Glycin statt eines Serins. Gerade diesen Serin-Rest jedoch phosphoryliert - zumindest in vitro - die Casein-Kinase-l ε, deren Homologe in Mäusen, Hamstern und Fliegen, die Länge des circadianen Rhythmus regulieren. Ptacek und seine Kollegen führen daher das FASP-Syndrom auf eine Phasenverschiebung durch die fehlende hPER2-Phosphorylierung zurück.


Chronotherapie

Ptacek konnte also - keine zwei Jahre, nachdem er das FASP-Syndrom entdeckt hatte - den zugrunde liegenden molekularen Mechanismus teilweise aufklären. Er träumt denn auch schon davon, die inneren Uhren von Mitmenschen die aus dem circadianen Takt geraten sind, mit Chronopharmaka zu nachzustellen.



Letzte Änderungen: 20.10.2004