Editorial

Nanoben - und der Ursprung des Lebens

von Ralf Neumann (Laborjournal-Ausgabe 03, 2000)




Spektakulär gingen Forscher der NASA 1996 an die Öffentlichkeit: Der Mars-Meteorit ALH84001, so sinnierten sie in Science, enthalte womöglich fossilierte Mikroorganismen von 20 bis 100 Nanometern Länge. Skeptiker wischten die NASA-Interpretationen sogleich hinweg: "Das" könne nicht gelebt haben, "es" sei zu klein - schließlich gäbe es ja auch keine analogen lebenden Zellen auf der Erde. Ein Fund vor der Westküste Australiens bringt jetzt diese Gegenargumente ins Wackeln. Vor allem aber diskutieren seitdem Forscher weltweit mit neuer Heftigkeit die zwei elementaren Fragen "Wie klein kann Leben sein?" und "Wie entstand Leben aus unbelebter Materie?"

Ende 1998 veröffentlichte die Gruppe um die Geologin Philippa Uwins an der University of Queensland im American Mineralogist (Bd. 83, S. 1541), dass Sandsteinproben aus drei Meilen Meerestiefe unter dem Elektronenmikroskop Filamente offenbarten, die möglicherweise die kleinsten bisher bekannten Lebewesen sein könnten. Wie Actinomyceten oder Pilze sähen sie aus, mit 20 bis 150 nm Länge seien sie allerdings zehnmal kleiner. Analog zu den "Mikroben" nannten Uwins und Co. die Filamente "Nanoben".

Ob die Zellen aber wirklich leben, ist nicht sicher. 1 Hinweise jedoch haben die Australier:

  • Nanoben wuchsen im Labor spontan zu sichtbaren Kolonien heran;
  • sie sind zusammengesetzt aus den biologischen Standardelementen Kohlenstoff, Sauerstoff und Stickstoff;
  • drei verschiedene DNA-Färbemethoden brachten vergleichbare, positive Signale;
  • Ultradünnschnitte lassen auf eine umhüllende Zellmembran bzw. Zellwand schließen.


Weiterhin schlossen Uwins und ihre Mitarbeiter jede Menge nicht-biologischer Alternativen aus und fanden, dass die Nanoben äußerst hitze- und strahlungsresistent sind.

Beweise sind das noch nicht, aber die Australier arbeiten daran. DNA aus den Nanoben wollen sie jetzt sequenzieren, den potentiellen Metabolismus erforschten und den vermuteten Reproduktionszyklus beschreiben.

Wie etwas so Kleines allerdings leben soll, kann sich momentan keiner richtig vorstellen. Zelluläres Leben, wie wir es kennen, ist gekennzeichnet durch einen selbständigen Protein-basierenden Stoffwechsel mit der Fähigkeit zur Vermehrung. Für beides braucht es die komplizierten Maschinen der Replikation und der Translation. Selbst Mycoplasma, das mit 200 nm und 480 Genen bisher kleinste bekannte Lebewesen, nutzt dafür prinzipiell die gleichen Mechanismen wie der Mensch. Daher folgerten auch die 18 Experten einer Arbeitsgruppe "Size Limits of very small Microorgansims" der US-National Academy of Sciences, dass Leben in einer Zelle unter 200 nm Durchmesser nicht funktionieren kann.

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Wie sollte es auch, wenn ein Ribosom alleine schon 20 nm groß ist? Oder zehn DNA Stränge nebeneinander 20 nm breit? Der US-Biochemiker Michael Adams berechnete, dass eine 50 nm große Kugelzelle Platz böte für zwei Ribosomen, 260 Proteine und eine DNA mit acht Genen. Theoretische Kalkulationen sowie Mutagenese-Experimente mit Mycoplasma kommen aber übereinstimmend auf etwa 260 bis 300 Gene, die für ein selbständiges Leben samt Fortpflanzung notwendig sind.

Ein Schlupfloch bietet der Biologe Jeffrey Lawrence aus Pittsburgh. Seine Idee: Das Ganze ist eine kooperative Zellkolonie eine Kommune aus Nano-Zellen also, in der jede einzelne Zelle lediglich einen kleinen Teil der Gene trägt Lind nur ein wenig Stoffwechsel zur "Meta-Zelle" beisteuert. Nur die Kolonie als Ganzes würde demnach das komplette Genom enthalten und sämtliche Lebensfunktionen ausüben können - die Einzelzellen nicht. Keine neuen Mechanismen also, sondern subtiles Teilen von Material und Stoffwechsel-Jobs.

Auf der anderen Seite jedoch ist klar, dass die komplexen Molekülmaschinen für Replikation und Translation nicht über Nacht aus unbelebter Chemikaliensuppe entstanden. Es muss präzelluläre und zelluläre Vorstufen gegeben haben. Sind die westaustralischen Nanoben vielleicht eher Überbleibsel dieser Vorstufen? Mit archaischen, aber funktionierenden Lebensmechanismen, von denen wir bisher nichts gewusst haben?

Können Nanoben zur "RNA-Welt" gehören?

Favorit dafür wäre momentan die sogenannte "RNA-Welt". Seit der US-Forscher Thomas Cech in den Achzigern zeigen konnte, dass analog den Enzymen auch bestimmte RNA-Moleküle chemische Prozesse katalytisch steuern können, reifte folgendes Szenario der Lebensentstehung heran: Zuerst entstanden RNA-Moleküle mit der Fähigkeit, in einer Nukleotidsuppe ihre eigene Replikation zu katalysieren; erst später begann die RNA Proteine zu synthetisieren, die sich schließlich als die besseren Enzyme erwiesen; und in einem dritten Schritt wurde die RNA umgeschrieben in DNA, welche für den Informationserhalt das stabilere Molekül ist.

Könnten die Nanoben nun solche RNA-Organismen sein? Theoretisch schon. Der US-Chemiker Steve Benner berechnete, dass in eine 50 nm Kugel etwa 50 verschiedene RNAs für Reproduktion und Stoffwechsel passen. Dagegen sprechen jedoch momentan die DNA-Färbeversuche von Uwins und Co., die auch zwischen DNA und RNA unterscheiden.

Und noch etwas spricht dagegen: die Zeit. Fossilien, die modernen Bakterien ähneln, wurden um 3,6 Milliarden Jahre zurückdatiert. Die Erde indes soll vor etwa 4,5 Milliarden Jahren entstanden sein. Organismen mit einem ausgeklügelten, Protein-basierenden Stoffwechsel haben demnach schon 900 Millionen Jahre nach Erdentstehung existiert. Zieht man davon noch die große Hitze und die Turbulenzen der ersten paar hundert Millionen Jahre ab, so schätzen Forscher, dass die "RNA-Welt" nur etwa 100 Millionen Jahre Zeit gehabt haben kann. Viel zu kurz, wie sämtliche Computerberechnungen zeigen.

Es sei denn, irgendetwas kam wirklich fix und fertig aus dem Weltraum.



Letzte Änderungen: 20.10.2004