Calcium im Zellkern

von Sylvia Pieplow (Laborjournal-Ausgabe 04, 1999)


Editorial
Im Periodensystem steht es an zwanzigster Stelle, in der Forschung hat es die Nase vorn: Calcium, das Ion mit vielseitiger Wirkung. Lange schon wurde vermutet, daß es Genexpression nicht nur über Ca2+-Calmodulin-abhängige Proteinkinase-Kaskaden steuert, sondern auch direkt Transkriptionsfaktoren regulieren kann. Den ersten Beweis erbrachten jüngst Carrion et al. (Nature 398, S. 80). Der Transkriptionsregulator mit dem wohlklingenden Namen DREAM (DRE-antagonist modulator) bindet als homotetramerer Repressor an die DRE-Sequenz (DRE = downstream regulatory element) und verhindert die Expression des Prodynorphin-Gens, dessen Genprodukt an Gedächtnis und Schmerzempfinden beteiligt ist. DREAM enthält vier Calcium-Bindedomänen, deren Besetzung eine Konforniationsänderung des Repressors bewirkt - woraufhin DREAM seine Affinität zu DRE erniedrigt. Die Folge: Der Regulator löst sich von der DNA und gibt das Gen zur Transkription frei.

Interessant ist weiterhin, daß auch das frühe Response-Gen c-fos eine DRE-Sequenz enthält und gleichwohl über DREAM reguliert werden kann. Damit ist die Kontrolle von c-fos noch komplizierter als bisher angenommen, denn DRE ist bereits die dritte bekannte Regulatorsequenz des Gens.
Editorial

Allein die Bindung von CREB (CRE-binding protein) sowie CBP (CREB -binding protein) an die CRE/CaRE-Region (von cAMP-regulated enhancer bzw. Ca2+-responsive element) kann auf zwei verschiedenen Signalwegen erreicht werden: Zum einen über die cAMP/ProteinkinaseA-Kaskade, zum anderen über den Inositol-3-Phosphat (IP3)-abhängigen Pfad. Beide Wege sorgen für eine Phosphorylierung von CREB. Unabhängig davon kann c-fos auch über die Ras/MAMP-Kinase-Kaskade und die Bindung von SRF (serum response factor) an SRE (serum response element) angeschaltet werden. Welcher Weg wann beschritten wird, entscheidet auch die Art des Calciumsignals in der Zelle. Hardingham et al. fanden etwa, daß kurze elektrische Impulse an Nervenzellen den cytoplasmatischen Ca2+-Pegel ansteigen ließen, mit der Folge einer SRF-induzierten Aktivierung von c-fos. Die Induktion über CREB hingegen benötigt einen Anstieg der Ca2+ -Konzentration im Kern nach starker und andauernder Depolarisation.

Ob Calcium indes ungehindert die Poren der Kernhülle passieren kann, ist umstritten. Die Größe der Poren erlaubt die Passage des Ions; einige Gruppen beobachteten auch eine Ausbreitung der zellulären Calciumwelle bis in den Kern hinein. Andere sahen nach Entleerung der cytoplasmatischen Cal2+-Speicher einen Gradienten zwischen Nukleoplasma und Cytoplasma und vermuten einen Schließmechanismus der Kernporen.

Als Ausläufer des ERs dient die Kernhülle auch als Ca2+-Speicher; sie enthält sowohl Ca2+ 1 -ATPasen als auch die gesamte Maschinerie für die Ca2+-Mobilisierung über IP3. Ob über Bindung an Calmodulin oder direkt, ob über die Entleerung des ERs oder die Aktivierung nukleärer IP3-Kanäle - Calcium gelangt manchmal in den Kern und manchmal nicht. Und über die Modulation von Amplitude und Frequenz der Ca2+ -Signale gelingt die Induktion verschiedener Antworten mit dem gleichen Second Messenger. Vor diesem Einfallsreichtum der Natur muß man den Hut ziehen. Ebenso vor den Calcium-Experten, die sich in diesem Dschungel zurechtfinden. Die Zahl der Ca2+-induzierten Gene häuft sich: Prolaktin, mehrere Gene des Zellzyklus, Interleukine, Glukagon, Nerve Growth Factor und und und... Eines brauchen Calciumspezialisten sicherlich nicht extra praktizieren: Gehirnjogging.


Letzte Änderungen: 19.10.2004