Hedgehog

von Ralf Neumann (Laborjournal-Ausgabe 02, 1997)


Editorial
Die arme Drosophilalarve sah aus wie ein Igel. Kein Wunder daß Chistiane Nüsslein-Volhard und Eric Wieschaus die Mutante in ihrem 1980er Nature-paper auch so nannten: Hedgehog. Allerdings wuchsen der Mutante die "Stacheln" auf dem Bauch; so eng standen hier die Kutikulazähnchen, daß sie wie Borsten abstanden. Die einzelnen Larvalsegmente waren wie glattgebügelt - kein bißchen polar und ohne Grenzen. Damit war klar, hedgehog half als sogenanntes Segment Polarity-Gen den Fliegenkörper formen.

Das Gen war bald gefunden, das Produkt als Signalpeptid identifiziert. Und auch auf Wirbeltierhomologe stieß man bald: Zuerst 1992 auf Desert Hedgehog, den Wüstenigel, ohne den Sertoli-Zellen ihren Zulieferjob bei der Spermienbildung nicht mehr tun. Mäuse-Männer ohne Desert Hedgehog leben zwar genauso munter wie ihre Artgenossen, haben aber unterentwickelte Hoden und sind völlig unfruchtbar. Die Weibchen dagegen brauchen Desert Hedgehog nicht. Bald darauf erschien Indian Hedgehog, der indische Igel, in den Journalen: In Knorpelgewebe hatten Forscher ihn aufgespürt und dabei ertappt, wie er die Aktivität knochenbildender Proteine steuert.
Editorial

Den Überflieger unter den Wirbeltier-Hedgehogs jedoch fand 1993 Bob Riddle im Harvard-Labor von Cliff Tabin und nannte ihn Sonic Hedgehog - nach dem blauen, igelborstigen Comic-Helden Sonic the Hedgehog. Vom Notochord und der Neuralplatte aus sorgt Sonic Hedgehog für die richtige Anordnung von Neuronen im gesamten Rückenmark sowie der Muskeln entlang des gesamten Neuralrohrs. Doch das war's noch lange nicht:

Sonic Hedgehog sich weiter an der Bildung von Wirbelvorläufern, steuert das Wachstum der Gliedmaßen und bringt Finger und Zehen in die richtige Reihenfolge. Auch in die Entwicklung so verschiedener Organe wie Lunge, Zähne, Haare und Augen soll der Multi-Könner eingreifen.

Wie die Hedgehogs den Fliegen- und Wirbeltierzellen biochemisch ihre Befehle erteilen, ist seit kurzem auch ziemlich klar: Der Hedgehog-Rezeptor heißt Patched, windet sich zwölfmal. durch die Plasmamembran und ähnelt Kanal- oder Transportproteinen. Direkt neben Patched sitzt Smoothened und gleicht einem klassischen, G-Protein-gekoppelten Rezeptor mit sieben Membrandurchgängen. Smoothened alleine würde nun fatale Dauersignale geben, wäre da nicht Patched und hielte ihn an der Leine. Nur wenn Sonic Hedgehog an Patched bindet, wird die Leine lockerer und Smoothened darf senden.

Doch vorher spaltet Sonic Hedgehog sich selbst aus der 46 kDa-Proform in das aktive 19 kDa-Signalpeptid. Dafür braucht es allerdings ein Molekül Cholesterol, das sich während der Spaltung kovalent an das Carboxy-Ende des Peptids hängt. Über den Cholesterol-Anker heftet sich Sonic Hedgehog an die Zellmembran und breitet sich so nicht allzu schnell und unkontrolliert aus. Vermutlich hilft Cholesterol auf diese Art zu steuern, daß die jeweiligen Zielzellen nicht zuviel und nicht zuwenig Sonic Hedgehog bekommen; denn unterschiedliche Dosen des Signalproteins induzieren verschiedene Zelltypen - etwa bei der Bildung der verschiedeiien Finger. Fazit also: Cholesterol hat auch gute Seiten.


Letzte Änderungen: 19.10.2004