Editorial

Special Live Cell Imaging

Mikroskopie 2.0 – Wie Optomechanik
und Informationstechnik verschmelzen
von Tobias Ludwig, Laborjournal 09/2019



Foto: „Mausembryo“ von Leica Microsystems

Das Herz von Leica Microsystems gehört der Lichtmikroskopie. Neben konventionellen Mikroskopen bietet die Firma mit Sitz im hessischen Wetzlar ebenfalls Lösungen für Live Cell Imaging und Augmented-Reality-Mikroskope an – und zeigt, wie sich Optik und Informationstechnik ergänzen.

Eine kurze Geschichte des Live-Cell-Imagings

Die Idee des Live Cell Imaging ist nicht neu. Bereits 1930 entwickelte der niederländische Physiker Frits Zernike das Phasenkontrast-Mikroskop, das die Darstellung lebender, ungefärbter Zellen ermöglichte. Zernike stellte seine Erfindung zwei Jahre später bei Carl Zeiss vor, der dessen Potenzial jedoch unterschätzte. Ein 1936 gefertigter Prototyp geriet fünf Jahre lang in Vergessenheit, bis Zernikes Erfindung ironischerweise durch die die Niederlande besetzende Wehrmacht als kriegswichtig wiederentdeckt und das erste Phasenkontrast-Mikroskop namens Lumiplan industriell hergestellt wurde.

Zernike erhielt für seine Erfindung 1953 den Physik-Nobelpreis. In Verbindung mit einer Fotokamera ließen sich mit Zernikes Mikroskop Zeitserien aufnehmen und so beispielsweise die Zellteilungsphasen verfolgen und dokumentieren. In den darauffolgenden Jahren entwickelte sich die Technik des Live Cell Imaging kontinuierlich weiter und mit dem Aufkommen digitaler Bildsensoren stand ein weiterer Boom ins Haus.

Konfokal-Qualität aus dem Weitfeld-Mikroskop

„Wir bieten schon seit geraumer Zeit verschiedene Systeme an, die auf die Beobachtung von lebenden Zellen spezialisiert sind“, erklärt Markus Lusser, Präsident von Leica Microsystems. „Dabei setzen wir auf eine Kombination von sehr empfindlichen Detektoren, lichtstarker Optik und intelligenter Beleuchtung.“ So könne man beispielsweise die Organ­entwicklung von Zebrafischen über mehrere Stunden verfolgen. Mit einer neuen Entwicklung baut Leica auf die eher „konventionelle“ Weitfeld-Mikroskopie auf. Bei der Technik wird die gesamte Probe beleuchtet sowie aufgenommen und nicht Punkt für Punkt durchgescannt. Das geht schnell beim gleichzeitig guten Überblick im großen Bildfeld.

Klar und dunstfrei

Die Weiterentwicklung gegenüber Weitfeld-Mikroskopen ist die hauseigene Instant-Computational-Clearing-Technik, die bei dicken Proben, wie sie beim Live-Cell-Imaging typisch sind, unscharfe Bildteile in Echtzeit herausrechnet. Dabei erkennt die Software, welche Bildteile in der Fokusebene liegen – also scharf sein müssen – und entfernt alle Signale, die sich außerhalb befinden. So lasse sich der normalerweise vorhandene „Dunst“-Effekt drastisch minimieren und auch eine dicke Probe Scheibe für Scheibe aufnehmen und als 3D-Objekt darstellen. Lusser: „Durch die Verbindung von Optik und Software bekommen Sie schnell klare optische Schnitte von Schichten einer Probe, die Sie zuvor nur mit einem konfokalen Mikroskop erhalten konnten. Zwar reicht die Auflösung dabei nicht an die eines Konfokalmikroskops heran, das große Bildfeld ist für viele Anwendungen aber von Vorteil. Zudem können wir eine sehr niedrige Lichtintensität verwenden und somit die Photobleaching und Phototoxizitätseffekte minimieren.“

Während beim Photobleaching die Signal­intensität mit anhaltender Aufnahmedauer sinkt, weil die fluoreszierenden Farbstoffe ausbleichen, und somit die Aufnahme-Ergebnisse verfälschen, schädigt bei der Phototoxizität das Licht die zu untersuchenden Zellen oder Gewebe. Beide Effekte spielen insbesondere bei langen Aufnahmen eine große Rolle. Um diese überhaupt zu ermöglichen, muss die Probe über die gesamte Aufnahmedauer konditioniert werden. Dies erfolge bei den Produkten von Leica in speziellen, intelligenten Klimakammern, die mit hochsensitiven Sensoren ausgestattet sind und Parameter wie pH-Wert, Sauerstoff- und Kohlenstoffdioxidkonzentration kontinuierlich überwachen und nachjustieren.

Die Leistungsfähigkeit des Systems schien die Experten bei Leica zunächst selbst zu überraschen: „Vor zwei, drei Jahren hätten wir nicht gedacht, dass man aus einem konventionellen Weitfeld-Gerät so viel herausholen kann“, erzählt Lusser und ergänzt: „Unsere Systeme sind mittlerweile so konfiguriert, dass sie für eine bestimmte Fragestellung eine ideale Lösung darstellen. Wenn beispielsweise in der Entwicklungsbiologie vergleichsweise große Organismen über die Zeit beobachtet werden sollen, sind die auf Wide-Field-Systemen aufbauenden ‚THUNDER Imager’ von Leica eine Alternative zu konfokalen Mikroskopen, weil die relevanten Details sofort sichtbar sind.“

Das Mikroskop wird smart

Eine weitere Produktserie ist PAULA – der Personal Automated Lab Assistant, ein kleines Mikroskop für die Zellkultur. „Das Gerät können Sie direkt in den Inkubator stellen, und es erkennt bestimmte Muster“, beschreibt Lusser das Handling. „Wenn beispielsweise das Konfluenz- oder Transfektionslevel Ihrer Zellkultur einen bestimmten Schwellenwert erreicht hat, erhalten Sie eine Nachricht auf Ihr Smartphone oder Tablet – wie ein digitaler Assistent.“ Der Clou dabei: PAULA errechnet die entsprechenden Parameter selbststständig anhand der aufgenommenen Bilder und übernimmt so bereits einen Teil der Bildauswertung. Damit könne man individuelle Unterschiede der Experimentatoren eliminieren und die Reproduzierbarkeit erhöhen. „Wenn Sie fünf Wissenschaftler das Konfluenzlevel bestimmen lassen, erhalten Sie neun Antworten“, scherzt der Leica-Präsident. „Dazu kommen noch die Themen Sicherheit und Dokumentation. Wenn PAULA eine Messung macht, dann wird das Ergebnis in einer Datenbank gespeichert und steht nicht in irgendeinem Laborbuch. Wir haben also einen klaren Trail an Daten.“ Welche die Forscher von überall abrufen können.

Augmented Reality im OP

Für die Chirurgie hingegen hat Leica eine weitere Lösung: das Augmented-Reality-Mikroskopie-System namens ARVeo. „Auch über 300 Jahre nach Erfindung der Mikroskopie gibt es über Objektive und Okulare meist eine direkte optische Verbindung zwischen Probe und Auge des Betrachters. Die Retina ist in der Regel der primäre optische Sensor. In der volldigitalen Mikroskopie, in der das Bild auf einen Monitor projiziert oder in ein Okular eingeblendet wird, können mehrere Kameras mit unterschiedlichen Spektren verwendet, Bilder aufgenommen und zusammengefügt werden. Mit unserer Technik können wir nun diese Bilder in Echtzeit zusammenlegen“, erklärt Lusser.

Für gewöhnlich wird beispielsweise zur Visualisierung des Blutflusses oder der Gefäßanatomie ein fluoreszierender Tracer injiziert, der in einem abgedunkelten Operationssaal aufgenommen werden muss. Die Chirurgen müssen sich das aufgenommene Bild einprägen und danach entsprechend operieren. Die Augmented-Reality-Technik ermöglicht das gleichzeitige Aufnehmen und Zusammenfügen der unterschiedlichen Signale: „Wir können so die Gefäße, die über die multispektrale Kamera aufgenommen werden, in das Live-Lichtfeld projizieren – wir haben also eine originalgetreue Abbildung des Gewebes und eine präzise Darstellung des Fluoreszenzsignals in Echtzeit“, beschreibt Lusser. So können insbesondere in der Gehirnchirurgie pathologische Gefäßveränderungen leichter identifiziert und korrigiert werden, aber auch in der Onkologie lässt sich das Verfahren anwenden. Dort könne Tumorgewebe mit einem fluoreszierenden Farbstoff angefärbt und so besser entfernt werden.

„Wir reden hier von volldigitaler Bildgebung. Dadurch, dass wir die Optik selbst herstellen und verstehen, können wir unsere optischen und digitalen Komponenten so verschmelzen, dass derartige Bildkombinationen möglich werden“, so Lusser. „Da stecken 170 Jahre an Erfahrung und Kompetenz drin. Daher fühle ich mich auch im internationalen Wettbewerb ziemlich wohl, dass uns das keiner so schnell nachmacht.“

Das ARVeo-System sei bereits nahezu weltweit vertreten und die Nachfrage auf hohem Niveau. „Es hinterlässt ein perfektes ‚Wow-Erlebnis’ bei Chirurgen“, erzählt Lusser. Generell könne man die Technologie vielfältig einsetzen. Genaueres wolle er jedoch noch nicht verraten.

Last Changed: 10.09.2019