Editorial

Special Mechanobiologie und Zellphysik

Rezeptor unter Druck
von Karin Hollricher, Laborjournal 11/2017



Foto: iStock / janeff

Ob Licht, Geräusche oder Geruch – viele Sensorproteine gehören zur Klasse der G-Protein-gekoppelten Rezeptoren. Jetzt kommen noch mechanosensorische Rezeptoren dazu – jedenfalls in Drosophila.

G-Protein-gekoppelte Rezeptoren (GPCRs ) sind molekulare Design-Ikonen. Zeitlose Form und durchdachte Funktionalität zeichnen sie aus – und sind gleichsam der Grund dafür, dass sie seit Millionen von Jahren in der belebten Welt genutzt werden. Sie sind Schlüsselelemente beim Sehen, Riechen und Hören, bei der Kontrolle des Blutdrucks, der hormonellen Steuerung. Dass entsprechende „Familienmitglieder“ überdies an der Adhäsion von Zellen beteiligt sind, weiß man auch schon eine Weile. Doch damit nicht genug: Zumindest bei der Taufliege übertragen GPCRs auch mechanische Reize, wie Forscher in Würzburg und Leipzig herausgefunden haben.

Robust doch sensitiv

GPCRs sind membranständige Proteine mit sieben helikalen Transmembrandomänen, die Signale von außen wahrnehmen und sie ins Zellinnere übertragen. Auf der Innenseite wird nach Signalerkennung das am G-Protein gebundene GDP durch GTP ersetzt, woraufhin sich das G-Protein ablöst und das Signal weiter ins Innere transportiert. Die Funktionsweise ist gleichermaßen sensitiv wie robust.

Die G-Protein-gekoppelten Adhäsionsrezeptoren, die oben erwähnten aGPCRs, unterscheiden sich von anderen GPCRs anhand ihres auffällig langen, extrazellulären N-Terminus. Zudem binden sie keine löslichen Liganden, die von außen kommen, sondern zelluläre aus dem Zellinnern oder der extrazellulären Matrix.

aGPCRs bilden den zweitgrößten Zweig der gesamten GPCR-Familie. Der Mensch hat, soweit man heute weiß, 33 solcher Rezeptoren. Ein Ausfall kann Entwicklungsstörungen und Erkrankungen zur Folge haben. Personen, die eine Mutation in dem Rezeptor namens GMR2 haben, der auf Mastzellen sitzt, reagieren schon auf sanfte Berührung mit allergischen Reaktionen. Vibratorische Urticaria heißt dieses Krankheitsbild. Die Mutation setzt die Reizschwelle des offensichtlich sensorischen Rezeptors stark herab.


Tobias Langenhan Foto: Universität Leipzig

Seitens der Wissenschaft jedoch bringt man den aGPCRs offenbar kein großes Interesse entgegen. Tobias Langenhan von der Universität Leipzig erklärt das damit, dass die Rezeptorgene teilweise sehr groß und deshalb nicht so einfach zu handhaben sind. Ihn selbst jedoch hat das nicht abgeschreckt. Wobei die Latrophilin-Rezeptoren, mit denen er arbeitet, zugegebenermaßen mit 1.700 Aminosäuren nicht so gigantisch sind wie beispielsweise VLGR1 („VL“ steht für very large). Das in den Haarsinneszellen des Ohrs aktive Molekül besteht beispielsweise aus 6.300 Aminosäuren.

Das erste Latrophilin-Protein wurde als Rezeptor für das Gift Latrotoxin der schwarzen Witwe identifiziert, das auf neuronale Synapsen wirkt. Daher erhielt es seinen Namen – und das war’s dann auch schon im Wesentlichen, was die Fachwelt bis zur Jahrtausendwende zum Latrophilin zustande gebracht hatte.

Lahme Larven

Langenhan begann während seiner Promotionszeit in Oxford, nach der Funktion der Rezeptoren zu suchen. Damals war noch der Fadenwurm C. elegans sein Studienobjekt. Mit dem Umzug in die Neurophysiologie der Universität Würzburg im Jahr 2009 wechselte er auch das Forschungsobjekt. Fortan arbeitete er mit Drosophila melanogaster – vor allem weil es für dieses Tier bessere elektrophysiologische Tests gebe, so Langenhan.

Im gleichen Jahr kam Robert Kittel mit seiner Erfahrung in elektrophysiologischen Methoden von Leipzig nach Würzburg. Die beiden taten sich zusammen und studierten Mutationen in dCirl, dem einzigen Latrophilin-Rezeptor der Fliege. Zunächst machte sich Enttäuschung breit. „Die Tiere schienen in allen Stadien völlig normal zu sein. Wir sahen keinen offensichtlichen Phänotyp, und sie starben auch nicht vorzeitig“, erinnert sich Langenhan.

„Irgendwann haben wir dann bemerkt, dass sich die Larven ein bisschen langsamer bewegen als diejenigen der Wildtypen. Und ihr Aktionsradius war ebenfalls geringer. Offensichtlich waren Latrophiline also nötig für die Fortbewegung. Das hat uns schon sehr überrascht. Außerdem waren die homozygoten Larvenmutanten weniger berührungsempfindlich.“

Vor allem die Änderung der Reaktion auf Berührung setzte die beiden Forscher auf die richtige Spur. „Dass mechanische Reize überall im Körper operieren, ist ja logisch. Aber für mich war das ein ganz neuer Blickwinkel. Die Veränderung in der Berührungsempfindlichkeit war für mich der Durchbruch“, sagt Kittel, der sich zuvor viel mit der Funktionsweise des Proteins Bruchpilot beschäftigt hatte. Dieses brauchen die Fliegen – wie der Name suggeriert – zum „sauberen“ Fliegen.

Für die weiteren Analysen holten sich Langenhan und Kittel Unterstützung bei anderen Würzburger Forschern. Aus diesem Grund zieren denn jetzt auch so bekannte Namen wie Georg Nagel (Optogenetik-Spezialist) und Markus Sauer (Experte für hochaufgelöste Mikroskopie) das letzte Paper, das aus der Kooperation der beiden hervorging und in dem sie die Funktion von dCirl beschreiben (eLife 6: e28360).

Die stärkste Expression von dCirl fand das Team in den neuronalen Zellen der Chordotonal-Organe. Diese vermitteln den Tieren die Information über ihre räumliche Position und reagieren auf leichte Berührung, Vibration und Schall – uns Menschen fehlen sie. Mit hochauflösender 3D SIM (Structural Illumination Microscopy) orteten die Wissenschaftler die Moleküle in den Membranen der Dendriten und der Zilien dieser Organe. Knockout-Mutationen hatten zwar keinen Einfluss auf die Ultrastruktur der Organe, soweit man das elektronenmikroskopisch feststellen konnte – doch ist dCirl für die physiologische Antwort auf mechanische Stimulation der Organe nötig. Das Molekül ist folglich tatsächlich ein metabotropher Sensor und übrigens der erste identifizierte Mechano-Rezeptor, der kein Ionenkanal ist.


Robert Kittel Foto: Privat

Handgranaten-Szenario

Wie der Rezeptor einen mechanischen Reiz aufnimmt, konnten die Forscher allerdings nicht klären. Auf der äußeren Seite enthält das dCirl-Protein eine Domäne namens GAIN, in der die so genannte Stachel-Sequenz verborgen liegt. GAIN kann durch Autoproteoloyse den Rezeptor in seine N- und C-terminalen Bereiche spalten. Das N-terminale Ende kann dann durch Scherkräfte abreißen. „Handgranaten-Szenario“ sagt Langenhan dazu. Dabei könnte die Stachel-Sequenz entblößt werden, und es wäre möglich, dass dies den Rezeptor aktiviert. Noch ist das eine Hypothese – und sie ist umstritten.

Eine Punktmutation im Stachel schaltet jedenfalls den Rezeptor ganz ab. Die Forscher sahen aber auch, dass die proteolytische Spaltung keinen Effekt auf das Signal hat. Auch ohne die Abspaltung des N-Terminus funktioniert der Stachel offensichtlich als Aktivator. Er ist somit ein „Molekül-interner Ligand“.

Langenhan erzählt: „Wir ringen gerade alle im Feld mit den theoretischen Konsequenzen unserer neuesten Daten aus dem eLife-Paper. Es bleibt spannend, wie die mechanische Aktivierung denn nun molekular umgesetzt wird. Eine letztgültige Antwort gibt es im Moment nicht, wir sind quasi an der Cutting Edge des Wissensstands. Ganz klar ist es eine, wenn nicht die Kernfrage, die die Physiologie und molekulare Pharmakologie von Adhäsions-GPCRs betrifft.“

Und was passiert nach der Aktivierung? Als erste physiologische Änderung nach dem Reiz fand die Würzburger Ko-Autorin Isabella Maillaro ein Absinken des cAMP-Spiegels in der Zelle. Was danach folgt, liegt im Dunkeln. Vielleicht wird im Folgenden ein Ionenkanal vom TRP-Typ mit einbezogen. Kittel: „Diese mechanosensitiven Kanäle kolokalisieren mit dCirl-Molekülen. Sie wandeln einen mechanischen Reiz in ein elektrisches Signal. Möglicherweise moduliert dCirl die Aktivität dieser Kanäle.“

Besonders für junge Forscher

Diese und andere Spekulationen nahmen Langenhan und seine Arbeitsgruppe jetzt erstmal mit nach Leipzig, wo er eine Professur am Rudolf-Schönheimer-Institut für Biochemie bekam. Doch die Kontakte bleiben natürlich erhalten, denn seine, Kittels sowie neun andere Arbeitsgruppen sind in einer DFG-Forschergruppe mit dem schlichten Namen „FOR2149“ vereint. Und deren Finanzierung wurde gerade nochmals um drei Jahre verlängert.

Langenhan wird der Forschung an aGPCRs folglich auch an neuem Wirkungsort erhalten bleiben. Zumal er schwärmt: „Das ist ein wirklich weites Feld, das ich besonders für junge Forscher interessant finde. Gerade weil sich noch nicht so viele damit beschäftigen, kann man sich hier eher wissenschaftliche Sporen verdienen als in hochkompetitiven Feldern.“

Und dann hat er ja noch mit dem Kollegen Kittel gerade drei weitere aGPCRs entdeckt. CRISPR-Cas sei dank gibt es auch schon Mutanten. Weitere Enthüllungen werden also folgen.

Last Changed: 02.07.2018