Editorial

Special Gene Editing

Gene-Silencing? Easy! - Firmenportrait: Eupheria (Dresden)
von Sigrid März, Laborjournal 09/2017



Frank Buchholz – Molekularbiologe, Firmengründer und Gene-Silencing-Pionier der ersten Stunde. Foto: Eupheria

RNAi lebt, behaupten euphorische Geschäftsleute aus Sachsen – und versorgen Forscher weltweit mit easy-, pardon, esiRNAs.

Euphoric about Phenotypes‘ prangt unter dem Schriftzug des Dresdner RNAi-Startups Eupheria. Aber was hat RNAi, also RNA-Interferenz, eigentlich mit Phänotypen zu tun?

Molekularbiologe und Eupheria-Gründungsmitglied Frank Buchholz treibt bereits seit seiner Doktorarbeit am European Molecular Biology Laboratory (EMBL) in Heidelberg die Frage um, wie man Gene in Zellen und Organismen stilllegen oder gar abschalten kann, zum Beispiel mit Rekombinasen (siehe hierzu auch das Interview mit Frank Buchholz auf LJ online, 14.09.2017) oder eben RNAi.

RNA-Interferenz, auch RNA Silencing genannt, erlaubt es eukaryotischen Zellen, zum Beispiel virale Gene gezielt abzuschalten. Lange doppelsträngige RNA (dsRNA) wird mithilfe von Typ3-RNasen wie Dicer in kurze dsRNA-Fragmente zerschnitten. In ihre Einzelstränge zerlegt, binden diese mithilfe des Enzymkomplexes RISC (RNA-induced silencing complex) an komplementäre Boten-RNAs (mRNA). Als Folge können diese mRNAs nicht mehr translatiert werden: Die Expression des entsprechenden Proteins ist unterdrückt.

Bald wurde das Potential des Gene-Silencing-Mechanismus‘ als Werkzeug zum experimentellen Stummschalten von Genen (Knockdown) erkannt und RNAi hielt Einzug in die Labore weltweit. Forscher transfizieren künstliche short interfering RNAs (siRNAs) in Zellen ihrer Wahl und beobachten, wie sich der Phänotyp verändert. Daraus lassen dich dann Rückschlüsse auf die Funktion der anvisierten Proteine ziehen. Gewürdigt wurde die Technologie im Jahr 2006 mit dem Nobelpreis für Physiologie/Medizin.

Ganz easy zu esiRNAs

Anfang der 2000er-Jahre war die Blütezeit der RNAi. Jedes Labor ‚silencte‘, was das Zeug hielt. Dafür benötigten die Forscher chemisch synthetisierte siRNAs, und die sind teuer. Buchholz diskutierte – damals noch in San Francisco – das Problem mit Kollegen, bis ihnen eine Idee kam: Wir reinigen das Enzym Dicer auf und zerschneiden damit in vitro doppelsträngige RNA. Es funktionierte. Das Ergebnis waren kurze siRNA-ähnliche RNA-Moleküle, welche sie esiRNA (gesprochen easyRNA) nannten, also endoribonuklease-präparierte siRNAs.

Buchholz – inzwischen als Arbeitsgruppenleiter am Dresdner Max-Planck-Institut für molekulare Zellbiologie und Genetik (MPI-CBG) – entwickelte die Technik weiter und machte sie hochdurchsatzfähig. Damit eignete sie sich beispielsweise für hochspezifische Screenings der zellulären Genexpression in Mensch und Maus. „2004 haben wir das in Nature publiziert, als eine der ersten Gruppen, die genomweite RNAi-Screens in Säugetierzellen gemacht haben“, so Buchholz.

Plötzlich wollten viele Kollegen diese neuen „Wunder-siRNAs“ für ihre Experimente nutzen. Das wurde Buchholz und seinen Mitstreitern bald zu viel, denn an einen normalen Laborbetrieb war kaum mehr zu denken. Da kam es gelegen, dass 2007 das BMBF ihre Wissenschaftstransferförderung GO-Bio auslobte. Kurzerhand wurde aus der wissenschaftlichen Idee eine marktfähiges Produkt. Mit 2,4 Millionen Euro Preisgeld in der Tasche stand 2010 der Firmengründung von Eupheria als Spin-off des MPI-CBG nichts mehr im Wege. Im gleichen Jahr wurde Buchholz Professor für Medizinische Systembiologie an der Technischen Universität (TU) Dresden. Seitdem ist er als wissenschaftlicher Berater bei Eupheria tätig, während Mitgründer und Betriebswirt Thomas Hadlak die Firma als Geschäftsführer leitet.


Nett anzusehen, praktisch sowieso: esiRNAs auf einem mit UV beleuchtetem Agarose-Gel. Foto: Eupheria

Und wie machen die das?

Wie genau entstehen esiRNAs? Als Vorlage dient eine cDNA-Sequenz. Mittels PCR wird die Zielregion amplifiziert und mit T7-Promotoren flankiert. Das Ergebnis sind 300 bis 600 Basenpaare lange DNA-Stücke mit sogenannten T7-Tags. Letztere ermöglichen der T7-RNA-Polymerase eine In-vitro-Transkription der DNA in dsRNA, welche komplementär zur Ziel-cDNA ist. Beim Verdau dieser langen dsRNA-Stücke mit RNase III entstehen kurze überlappende RNA-Fragmente von 18 bis 25 Basenpaaren Länge: die esiRNAs.

Bei der Entscheidung, welche Zielsequenz sich besonders gut für RNAi eignet, greifen die Dresdner auf das Programm DEQOR (Design and Quality Control of RNAi) zurück: „Wir haben einen Algorithmus generiert, der zum einen vorhersagt, welches die beste Region mit der größten Dichte an potenten Silencern ist, und gleichzeitig ausschließt, dass dort homologe Regionen anderer Gene vorkommen, die zu unspezifischem Cross Silencing führen könnten“, fasst Buchholz zusammen. Insbesondere letzteres sei extrem wichtig.

Die Crux der Off-Target-Effekte

Anfangs galt RNAi mit siRNAs als sehr spezifisch. Erst langsam kristallisierte sich heraus, dass sogenannte Off-Target-Effekte existieren. Das bedeutet, dass eingesetzte siRNAs neben dem Zieltranskript auch noch andere binden. Das ist ein Dilemma, welches insbesondere bei Genom-Screenings Probleme bereitet und Aufwand und Kosten in die Höhe treibt.

„Dadurch, dass wir lange dsRNA mit der RNase verdauen, generieren wir einen sogenannten Pool, also eine Sammlung von vielen unterschiedlichen siRNA-ähnlichen Molekülen, die dann in die Zellen transfiziert werden. Gibt es auch hier Off-Target-Effekte?“, fragte sich Buchholz und kontaktierte deshalb Aimee Jackson von der US-Biotechfirma Rosetta Inpharmatics (Kirkland, Washington), die diese Effekte 2003 erstmals beschrieben hatte (doi: 10.1038/nbt831).

Jackson jedoch wies nach, dass sogar das Gegenteil der Fall war; die esiRNAs fielen durch besonders hohe Spezifität auf. Buchholz erklärt das so: „Jede einzelne siRNA hat einen On-Target-Effekt, der additiv ist, wenn man verschiedene siRNAs gegen die gleiche Zielsequenz mischt.“ Natürlich habe auch jede dieser siRNAs einen Off-Target-Effekt, so Buchholz, der sei jedoch für jede siRNA unterschiedlich und verdünne sich so praktisch raus. Denn die Konzentration jeder einzelnen siRNA im Vergleich zur RNA-Gesamtkonzentration ist sehr gering. Die Folge ist eine höhere Spezifität eines siRNA-Pools verglichen zu einzelnen siRNAs. Messbar ist ein solcher Effekt ab ungefähr zwölf siRNAs. Die esiRNAs basieren auf dem Verdau von langen dsRNA-Fragmenten, sodass sich laut Buchholz in einem esiRNA-Pool etwa einhundert unterschiedliche siRNA-Moleküle befinden.

Dieses Ergebnis war auch für den GO-Bio-Antrag wichtig, ist sich Buchholz sicher, denn so konnte sich das Start-up mit ihrer Technologie von anderen Produkten auf dem umkämpften siRNA-Markt abheben.

Das sehen laut den Dresdnern auch die Kunden weltweit so. Primär fänden sich diese in der Grundlagenforschung, erklärt Hadlak, sowohl in Forschungsinstituten als auch in Firmen, die Grundlagenforschung machen. „Wir finanzieren uns im Wesentlichen aus dem laufenden Geschäft“, erläutert er nicht ohne Stolz. „Wir hatten ja von Anfang an ein marktfähiges Produkt, welches wir verkaufen konnten.“ Beim Verkauf wird Eupheria unterstützt von Distributoren wie Sigma-Aldrich, mit denen das Unternehmen bereits seit der Firmengründung kooperiert.

Inzwischen können die Kunden auf ein umfangreiches Portfolio zurückgreifen: artspezifische Genom-Bibliotheken oder RNA-Pools sortiert nach Proteinfamilien wie beispielsweise Phosphatasen oder Ionenkanäle. Kundenwünsche werden ebenfalls berücksichtigt. Auf der Webseite der Dresdner lässt sich nachlesen, dass eine beliebige Sequenz als Vorlage reicht, um spezifische esiRNAs zu synthetisieren. Das führt hin und wieder zu Kooperationen, die mit eher exotischem Getier zu tun haben: In einem DFG-geförderten Projekt des Entwicklungsbiologen Gregor Bucher von der Uni Göttingen stellte Eupheria die RNAi-Reagenzien zur Charakterisierung des Genoms von Tribolium castaneum, dem Rotbraunen Reismehlkäfer, zur Verfügung.

Das Genom des Reismehlkäfers

Aber auch Gene-Editing-Werkzeuge in Form von Reagenzien für CRISPR/Cas9 hielten Einzug in das Produktangebot von Eupheria. Einerseits ist der Schritt naheliegend, braucht der Forscher für CRISPR/Cas9 doch auch RNA, die sogenannten guide RNAs (gRNA), welche die Nuklease an ihren Zielort leitet. Eine erfolgreiche gRNA zu kreieren bedürfe jedoch Expertise und Erfahrung, ist Buchholz sicher, und beides habe Eupheria. So finden Kunden bei Eupheria esiCRISPR-Kits für Gen-Kockouts oder -Knockins, Transfektionsreagenzien und eine Vielzahl unterschiedlicher Cas9-Proteine. Natürlich alles ‚easy‘ to use.

„Der große Vorteil von Crispr ist, dass wirklich jeder diese Technologie im Labor leicht und sehr effizient anwenden kann“, so Buchholz.

RNAi läuft nach wie vor

Hadlak bringt eine weitere Überlegung ins Spiel: „Wir haben uns die Frage gestellt, inwieweit RNAi als Technologie überhaupt noch interessant sein würde und ob hier etwas Neues entsteht, was unser bisheriges Brot-und-Butter-Geschäft gefährden könnte. Die Herausforderung war also, unser Portfolio abzurunden und etwaigen strategischen Risiken entgegenzutreten.“ Bisher war die Sorge jedoch unberechtigt, so Hadlak. Das RNAi-Geschäft sei nach wie vor stark. Auch das ist sicherlich ein Grund zur Euphorie.

Last Changed: 30.06.2018