Editorial

Beiträge zur Biochemie seltsamer Lebewesen (14)

Die Körperfresser

von Siegfried Bär (Laborjournal-Ausgabe 01, 2007)


Legenden ranken sich um die rätselhafte Spezies der Körperfresser. Es seien extraterrestrische Pflanzen, behaupten die einen, es gäbe sie gar nicht, die anderen. Clara Solmenhof stellt hier die Ergebnisse ihrer aufwändigen Forschungsarbeit vor.

Die erste Publikation über die Körperfresser schrieb 1955 ein gewisser Jack Finney. Seine oftmals als Science-Fiction Roman verkannte Monographie "Invasion of the Body Snatchers" basiert auf Ereignissen, die sich in der amerikanischen Kleinstadt Mill Valley abspielten. Dort beobachtete Finney schleimige Sporen, die sich an Pflanzen festsetzen und sich zu blütenähnlichen Gebilden entwickeln. Finney beschreibt massive Verhaltensänderungen bei Menschen, die in der Nähe dieser Blüten einschlafen. Er entdeckte außerdem große, grüne Schoten, aus denen sich vollständige, mobile Kopien der Stadtbewohner bildeten, woraufhin die Originale abstarben.

Worum handelt es sich bei diesen Organismen? Sind es Tiere, Pflanzen oder gar Pilze? Was weiss man über Biologie, Verhalten, Lebenszyklus?

Vernachlässigte Forschung

Finneys Berichte veranlassten zahlreiche Tier und Dokumentarfilmer, nach Körperfressern zu suchen. Der Pionierforscher Don Siegel bannte sie 1956 erstmals auf Zelluloid. Unter der Regie des begnadeten Tierfilmers Philip Kaufman entstand dann 1978 eine umfassende Videodokumentation, in der die geschilderten Stadien eindrucksvoll festgehalten sind. Die Produktion wurde unter dem reißerisch geratenen Namen "Die Körperfresser kommen" bekannt. Da drei Erscheinungsformen des Körperfressers unbeweglich und einfach zu filmen sind, existieren von der Spezies mittlerweile vier Videodokumentationen. Von der Wissenschaft wurden diese allerdings ignoriert. Dafür ist auch der Mangel an Drittmittelgeldern verantwortlich – offenbar findet man im BMBF fussballspielende Roboterhunde förderungswürdiger als die Erforschung neuer Arten. Auch NSF und DFG versäumten hier ihre Pflichten.


Die Blumen des Bösen

Eine Biologin, die in Kaufmans Dokumentation zur Wort kommt, hält die Körperfresser für Pflanzen. Ohne auf Hilfsmittel wie Mikroskop oder histologische Schnitte zurückzugreifen, geleitet nur vom Augenschein, lässt sie sich von einer Erscheinungsform der Spezies, der "Blüte", in die Irre führen. Es handelt sich bei dem Körperfresser jedoch um einen Pilz aus der Gruppe der Ascomyceten, der mit seinem Wirt Homo sapiens in einer einzigartigen Symbiose lebt.

Gehen wir von den Sporen des Pilzes aus. In der Luft schwebend und von einer klebrigen Schleimhülle umgeben, geraten sie bei Regen in Gießkannen oder Gartensprinkler und von dort aus auf Pflanzen. Sie setzen sich an Pflanzenblättern fest und keimen zu einem Myzel aus. Dieses formt in kürzester Zeit ein blütenartiges Gebilde, welches auf Menschen attraktiv wirkt. Es handelt sich dabei um die Nebenfruchtform des Pilzes, den Konidienträger.

Konidienträger kommen häufig bei Ascomyceten vor, man kennt sie zum Beispiel als das Weiße vom Brotschimmel. Beim Körperfresser ist die Nebenfruchtform ein Meisterwerk der koevolutiven Wirt-Parasit-Anpassung. Denn Blüten zu pflücken und in unmittelbarer Nähe des Schlafplatzes aufzubewahren, ist ein ausschließlich bei H. sapiens bekanntes Phänomen, das der Körperfresser ausnützt. Es wurde beobachtet, dass Menschen, die in der Nähe solcher Blüten einschlafen, am nächsten Tag ihr Verhalten ändern, emotionslos werden und bestimmt Orte aufsuchen. Kurz danach taucht eine große, grüne Schote auf, die in ihrer Form einem länglichen Kürbis ähnelt. Sie wächst auf organischem Boden (besonders gut auf biologisch-dynamischem), in Kaufmans Dokumentation in einem Winter- bzw. Dachgarten. Was geschieht hier?

Konidienträger, also die Blüten, bilden eine Verbreitungseinheit aus, die Konidie. Schläft ein Mensch in der Nähe einer solchen Blüte ein, wirft sie ihre Konidien ab. Gelangt eine Konidie auf der Haut des Wirtes, geschehen zwei Dinge. Einerseits werden Erbgutinformationen des Wirtes in die Konidie kopiert, vermutlich aus einer der Hautzellen. Gleichzeitig modifiziert die Konidie die Nervenstruktur, und programmiert den Wirt so auf ein bestimmtes Verhalten. Am nächsten Morgen sucht der "geprimte" Wirt einen geeigneten Ort auf, an dem die Konidie wieder von ihm abfällt und auf organischem Boden zu einer Schote auskeimen kann.

Solche, durch Parasiten ausgelöste Verhaltensänderungen, sind auch vom kleinen Leberegel, Dicrocoelium dendriticum bekannt. In seinem Zwischenwirt, der Ameise, wandert er ins Unterschlundganglion und veranlasst sie dazu, sich an den Spitzen von Grashalmen festzubeissen, damit sie vom Endwirt des Leberegels, der Kuh, aufgenommen werden. Woher "wissen" die Blüten, wann der Wirt schläft und sie ihre Konidien abwerfen können? Dieses Rätsel hat eine plausible Lösung. Aus EEG-Messungen (Elekro Enzephalogramm) weiß man, dass schlafende Personen charakteristische Gehirnströme ausbilden (Deltawellen). Die Blüte könnte durch solche schlaftypischen Ströme initiiert werden. Ähnliche Mechanismen sind von Bakterien bekannt, bei denen schwache elektrische Signale Wachstum auslösen können. Catherine Biggs von der Universität Sheffield stellte ihre Arbeiten dazu auf der 106en Generalversammlung der American Society for Microbiology vor. Individuen, die Deltawellen häufig ausbilden, sind daher für den Befall besonders suszeptibel – allerdings fällt die Verhaltensveränderung bei wandelnden Schlaftabletten auch besonders schwach aus. Ein weiterer Schachzug der Koevolution, durch den sich der Pilz fast unbemerkt verbreiten konnte.



Biologische Raubkopie
Wie geht der Wachstumszyklus des Körperfressers weiter? In der Schote entsteht jetzt die Hauptfruchtform des Pilzes. Die Fruchtkörper der Ascomyceten bestehen aus von Hyphen gebildetem Scheingewebe, dem Plektenchym. Dies kann die merkwürdigsten Formen annehmen. So ähnelt die Speisemorchel einem filigranen Schwamm und bei den Basidiomyceten sind Fruchtkörper bekannt, die ein menschliches Organ imitieren (siehe Bild rechts unten). Die Fruchtkörper der Körperfresser setzen dieser Formenvielfalt die Krone auf. Sie wachsen als Duplikate von Menschenkörpern in den Schoten heran. Hat das Duplikat eine bestimmte Größe erreicht, bricht die Schote auf und die Kopie reift fertig aus, wobei man das pilztypische Hyphengewebe am Anfang noch deutlich erkennt. Solche Körper-Doubles sind in der Natur keineswegs selten. In einem Artikel von Alberto G. Sáez und Encarnación Lozano (Nature, 2005, Vol. 433, S. 111) wird das erstmals 1942 von Ernst Mayr erwähnte Phänomen der "Geschwisterarten" geschildert. Zum Beispiel handelt es sich bei der Feigenwespe Pleistodontes imperialis, oder bei dem tropischen Schmetterling Astraptes fulgerator um mehrere genetische Arten, die aber morphologisch ununterscheidbar sind.

Aber zurück zum Körperfresser. Die adulten Fruchtkörper imitieren nicht nur den Phänotyp des Wirtes, sondern übernehmen auch bestimmte, im Gedächtnis des Wirts gespeicherte Informationen und Verhaltensweisen, wie Sprachvermögen und Erinnerungen. In Kaufmans Aufnahmen ist eindrucksvoll zu sehen, wie ein Infektionsmyzel von dem reifenden Duplikat in den Wirt hineinwächst und durch diese Verbindung die Informationen überträgt. Sobald die Kopie fertig ist und aus seinem vegetativen Zustand "erwacht", stirbt das Original ab.

Wie alle Ascomyceten bilden die adulten Fruchtkörper Ascosporen. Um den Vermehrungszyklus zu beschleunigen, wächst aus diesen jetzt aber nicht mehr, wie am Anfang, eine Blüte, sondern gleich eine neue Schote. Dies geschieht, wie in Kaufmans Aufnahmen zu sehen ist, in regelrechten Fabriken. Dort wachsen massenhaft Schoten, die dann von adulten Fruchtkörpern in die Nähe eines neuen Wirtes verbracht werden und dort ausreifen.


Der Pilz, der Weihnachten erfand

Wie erkennt man adulte Körperfresser? Für das ungeschulte Auge sind die Unterschiede kaum wahrnehmbar. Personen aus dem unmittelbaren Umfeld von Befallenen sprechen von genereller Emotionslosigkeit, stereotypem Verhalten, einem unbelebten Blick und ausgeprägtem TV-Konsum. Bevorzugt werden dabei stumpfsinnige Programme, wie das Standbild einer Uhr, oder Christiansen-Sendungen. Die redaktionseigenen Experten haben einen Versammlungsort der Freiburger Population identifiziert, bei der die genannten Eigenschaften besonders ausgeprägt sind. Man kann sie an Sonntagabenden (derzeit ab 2100 Uhr) in einem Keller der Freiburger Innenstadt beobachten, der sich bezeichnenderweise AGAR nennt. Dort wiegen sie ihre Körper zum ewig gleichen Rythmus – bumm-didi-bumm, bumm-didi-bumm – und wirken wie Parasolpilze im Sturm.

Auch an anderen merkwürdigen Orten treffen sich die Kopien mit Fremden. Hier jedoch werden verpackte Gegenstände ausgetauscht: Die oben erwähnten Schoten. Regional können solche Treffen jederzeit stattfinden, es gibt aber auch einen jährlichen, global synchronisierten Verbreitungsschub. Solche periodisch synchronen Ereignisse sind auch vom echten Bambus bekannt, bei dem gleiche Arten über sehr große Gebiete hinweg gleichzeitig blühen. Die Körperfresser halten ihren Schotenaustausch in weiten Teilen der Erde an einem einzigen Tag kurz nach der Wintersonnwende ab. Wir haben es also gerade wieder hinter uns. Sie fragen sich jetzt vermutlich erschrocken, warum Sie wieder mitgemacht haben. Ist jeder, der gegen Jahresende Päckchen verteilt und Menschen trifft, um die er sonst einen Bogen macht, ein Körperfresser? Mitnichten. Hier liegt ein faszinierender Abwehrmechanismus vor, den H. sapiens als Verteidigung gegen den Parasiten entwickelt hat. Denn auch Körperfresser können sich nur durch Verhaltensunterschiede identifizieren. Sie sind also täuschbar. In Gebieten mit hoher Körperfresser-Prävalenz liegt daher auf menschlichen Individuen ein hoher positiver Selektionsdruck, ihr Verhalten dem der Körperfresser anzupassen. Diese koevolutive Anpassung gibt einen Hinweis auf das Alter der Parasit-Wirt Beziehung. Die ältesten Dokumente datieren die erste ungewöhnliche Übergabe von Paketen auf das Jahr 0 und lokalisiert sie an einem Ort im nahen Osten. Offenbar war Kaufman dieser Zusammenhang unbekannt, sonst wäre es wohl kaum zu der haltlosen Hypothese der extraterrestrischen Herkunft gekommen, die in seinem Film durch die montierte Eingangsszene postuliert wird.


Die Bielefeld-Verschwörung

Menschen und Körperfresser leben seit Jahrtausenden in Koexistenz ohne sich gegenseitig auszurotten. Von Zeit zu Zeit kommt es aber zu einem Populationsungleichgewicht, bei dem ganze Orte restlos transformiert werden. Was geschieht mit solchen Orten? Betrachten wir den gut untersuchten Fall Bielefeld, auch bekannt unter dem Namen "Bielefeld Verschwörung". Dank der unermüdlichen Forschungsarbeit von Achim Held aus Kiel ist inzwischen belegt, dass Bielefeld – einst eine normale Stadt – transformiert wurde. Die Körperfresser umgehen die Widerstandsreaktionen des Wirts (sprich: der Bielefelder Stadtverwaltung) elegant, in dem sie den Schein bewahren und die Existenz der längst transformierten menschlichen Bevölkerung hartnäckig vortäuschen (Das Ortsschild steht immer noch!). Die perfiden Maßnahmen, die der Pilz dabei anwendet, sind in den lesenswerten Arbeiten von Held detailliert geschildert (siehe www.bielefeldverschwörung.de). Vermutlich gibt es neben Bielefeld noch viele weitere "tote oder scheintote" Orte – die ehemalige Hauptstadt der BRD steht bei Experten nicht ohne Grund schon seit langem unter Verdacht. Allerdings existiert hierzu noch nicht mal eine Schätzung der Dunkelziffer.




Letzte Änderungen: 15.03.2007