Editorial

Eigenzitate stinken ... selten

Was können Zitationsvergleiche ... nicht unbedingt?



Heute einmal keine fiktive Geschichte wie etwa Professor Windigmann oder Postdok Schmierig auf besonders "elegante" Art zu vielen Zitierungen kommen. Heute soll ein beliebtes Vorurteil unter die Lupe genommen werden. Es lautet: Viele Forscher würden durch maßloses Selbstzitieren eigener Arbeiten ihr Zitatekonto künstlich aufpolieren.

Dass solcherlei durchaus weitverbreitet sein könnte, scheint eine norwegische Studie zu belegen, die kürzlich in der Februar-Nummer der Zeitschrift Scientometrics erschien. Autor Dag Aksnes durchforstete darin auf extrem erbsenzählerische Weise die Referenzlisten von 47.000 wissenschaftlichen Arbeiten seiner Landsleute aus den Jahren 1981 bis 1996. Und er fand auf den ersten Blick Erschreckendes: Ein Fünftel aller Zitierungen waren Selbstzitate. Ja schlimmer noch: Nahm Aksnes lediglich die zitierten Paper mit Erscheinungsdatum innerhalb der letzten drei Jahren vor der jeweiligen Publikation ins Visier, entlarvte er gar 36% als Selbstzitate. Spitzenreiter insgesamt waren Chemie und Astrophysik mit 31% Eigenzitaten, gefolgt von der Molekularbiologie mit 26%, den Geowissenschaften mit 21%, sowie den Neurowissenschaften (18%) und der klinischen Medizin (17%).


Warum also Vorurteil? Zum einen deutet Aksnes Studie im gleichen Atemzug an, dass Eigenzitate offenbar nicht viel bringen. Denn über alle Disziplinen hinweg fand er, dass insbesondere Artikel, die insgesamt nur spärlich in den Referenzlisten nachfolgender Paper auftauchen, ihre wenigen Zitierungen fast ausschließlich den Autoren selbst verdanken.

Doch was heißt das? Paper, die nur wenig zitiert werden, müssen nicht schlecht sein. Vielmehr können wenige Zitate darauf hindeuten, dass nur ganz wenige Forscher überhaupt an dem Thema arbeiten. Was die Notwendigkeit eigene Vorarbeiten zu zitieren, deutlich steigert.

Zum anderen – und das ist damit schon angeklungen – sagt Aksnes Studie nichts darüber, wie viele der eigenen Publikationen in späteren Artikeln absolut sinnvoll und berechtigt zitiert werden. Er suggeriert einfach, dass alle Selbstzitate "böse" sind.


Das Gegenteil ist der Fall. Es liegt doch in der Natur der Sache, dass vor allem die eigenen Vorarbeiten und Resultate die nachfolgenden Experimente und Projekte diktieren. Ein gutes Projekt liefert innerhalb der Gruppe einen logischen Fluss aufeinander aufbauender Resultate – erst einmal unabhängig von anderen Labors. Absolut sinnvoll und berechtigt daher, dass die Gruppe immer wieder ihre eigenen Vorarbeiten zitiert. Man kann das übertreiben, sicherlich. Aber eine regelrechte "Zitationsverzerrung" ist doch sehr unwahrscheinlich.

Man stelle sich nur einmal vor: Forscher Ernst reinigt ein Protein und publiziert es. Danach isoliert er mit einer abgeleiteten Sonde das Gen. Wen soll Ernst zitieren? Jemand anders hat das Protein nicht gereinigt. Und schließlich muss er dem Leser doch angeben, wo dieser mehr über das Protein erfahren kann. Parallel hat er einen Expressionsvektor gebastelt und nette Analysen damit durchgeführt. Wieder zitiert er sein Reinigungspaper – und das zu Recht! Antikörper hat Ernst auch machen lassen und damit getestet, wann und wo im Organismus das Protein auftaucht. Natürlich steht auch hier das alte Proteinpaper in der Referenzliste. Und nichts ist schlimm dran.

Aksnes jedoch hätte Forscher Ernst pauschal als üblen Selbstzitierer gebrandmarkt.




Letzte Änderungen: 08.09.2004