Editorial

Mitgehangen, mitgefangen

Was können Zitationsvergleiche ... nicht unbedingt?



Die Leidenschaft des Zoologen Rainer Zufall waren Manteltiere. Tierchen wie die Seescheiden oder die Salpen gehören beispielsweise dazu, oder auch Appendikularien wie Oikopleura. Unter dem lateinischen Namen Tunicata bilden sie alle zusammen neben den Wirbeltieren und den Cephalochordata den dritten Unterstamm der Chordatiere.

Rainer Zufall kannte sie alle, konnte ihnen mühelos auch nach allerneuesten morphologischen und physiologischen Erkenntnissen ihre Plätze im Tunikaten-Stammbaum zuordnen. Darin war er Spezialist. Einer von ganz wenigen auf der Welt. Und er war noch nicht einmal habilitiert.

Doch über der heilen Welt der Systematiker braute sich allmählich ein Sturm zusammen. Die ersten Genome waren bereits komplett verfügbar, und alle Zeichen deuteten darauf hin, dass weitere Sequenzen bald nur so purzeln würden. Natürlich würden sich damit auch die völlig neue Möglichkeit eröffnen Organismen auf der Ebene ihrer Genome zu vergleichen. Das Schlagwort "Comparative Genomics" machte bereits die Runde – und was das für Taxonomie und Systematik bedeuten würde, war klar. Manche sprachen offen von einer bevorstehenden "Revolution".

Es half also nichts: Sollte diese Revolution in spe Rainer Zufall nicht einfach an den Rand spülen, musste er die neuen genomischen und bioinformatischen Methoden lernen. Und er hatte Glück: Eine europäische Stiftung finanzierte ihm zu diesem Zweck ein halbjähriges Stipendium am Joint Genome Institute (JGI) des US-Departments of Energy, eines der weltweiten "Powerhouses" der Genomerstellung.

Doch als Zufall in Kalifornien ankam, herrschte dort große Aufregung. Seit über einem Jahr arbeitete ein gehöriger Teil der Institutsbelegschaft am Delfin-Genom. Doch gerade, als das Ende des ehrgeizigen Projekts in Sicht kam, sickerte durch, dass das chinesische Beijing Genome Centre ebenfalls an einem "Flipper-Projekt", wie die Kalifornier es nannten, arbeiteten. Keiner wusste genau, wie weit die Chinesen waren, nur hatten sie in anderen Genomprojekten zuvor bereits bewiesen: Sie waren schnell und gut.

Auch wenn man sich am JGI ärgerte über den Blödsinn, zweimal das Gleiche zu sequenzieren, so wollten sie wenigstens die ersten sein. Alle mussten also ran – auch die, die eigentlich an anderen Projekten arbeiteten. Auf diese Weise, so kalkulierten die JGI-Bosse, könnte man in vier Wochen "durch" sein.

Natürlich wurde auch Rainer Zufall nicht verschont. Nach kurzem Crash-Kurs füttertete er Sequenzierroboter mit Delfin-DNA, ließ die hauseigene Software darüber laufen – und gab die Daten für die Analyse weiter.


Resultat war, dass Zufall am Ende fünf seiner sechs Monate am Delfin-Projekt des JGI arbeitete. Was genau genommen nicht schlimm war, denn die Methoden, die er lernen wollte, lernte er so auch.

Das JGI publizierte dann tatsächlich zuerst das Delfin-Genom. Was keinen mehr verwunderte, denn das "Flipper-Projekt" der Chinesen erwies sich als Gerücht. Statt dessen hatten diese den Zwergwal in der Pipeline. Natürlich stand Zufall mit auf dem JGI-Paper – als 78ter von 146 Autoren.

Zwei Jahre später hatte er mit diesem Paper seinem "Zitationskonto" über 400 Zitierungen zugeschlagen. Doch zu diesem Zeitpunkt war Zufall schon lange wieder zurück in Deutschland – und veröffentlichte molekulare Stammbäume der Seescheiden und Salpen. Mit durchschnittlich fünf Zitierungen pro Paper.



Letzte Änderungen: 08.09.2004