Hotspot Nordsee

Publikationsanalyse 2011-2020: Meeres- und Frischwasserbiologie
von Mario Rembold, Laborjournal 6/2022


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Korallenforschung im Labor (Foto: Emma Chadwick)

Editorial

(13.06.2022) Fast zwei Drittel der hochzitierten Meeres- und Frischwasserbiologen unseres Verbreitungsgebiets tummeln sich in Norddeutschland. Viele Zitierungen bringen vor allem Beiträge zur rRNA-Analyse.

Mit der Meeres- und Frischwasserbiologie schauen wir auf eine Disziplin, die in zweierlei Hinsicht hervorsticht – zumindest verglichen mit den meisten anderen Publikationsanalysen. Zum einen, weil dieses Mal nicht ein einzelnes Organsystem oder eine bestimmte Art von Erkrankung im Mittelpunkt steht, zum anderen, weil die klinische Forschung damit außen vor bleibt. Im Zentrum stehen nämlich die Wasserorganismen samt dem ökologischen Kontext, in dem sie leben. Diesmal blieben also keine Volkskrankheiten und deren Kandidaten-Gene in den Suchfiltern hängen – diejenigen Arbeiten also, mit denen Forscherinnen und Forscher sonst häufig die großen Zitierzahlen einheimsen.

Steht in den anderen Publikationsvergleichen der Mensch eher als Patient im Mittelpunkt, so taucht er hier wenn überhaupt als Teil eines Problems auf: Klimawandel, Umweltverschmutzung und die Bedrohung der Biodiversität. So etwa beim meistzitierten Review aus dem Analysezeitraum 2011 bis 2020, der sich dem Mikroplastik in den Weltmeeren widmet. Oder bei den meistzitierten Artikeln: Da kommen beispielsweise die Autoren der Arbeit auf Platz 8 zur Schlussfolgerung, dass man den negativen Einfluss des Menschen auf die Korallenriffe bislang wohl unterschätzt hat. Und das Paper auf Platz 7 – so verrät es schon der Titel – geht den Folgen des Klimawandels für das marine Leben auf den Grund.

Editorial
Abwasserforschung inklusive

Die Wasserlebewesen, insbesondere die Mikroorganismen unter ihnen, helfen uns aber auch gegen die Umweltverschmutzung. Zum Beispiel in Klärwerken. Hierüber schreiben zum Beispiel die Autoren des am neunthäufigst zitierten Artikels. Konkret geht es darum, Ammonium aus dem Abwasser zu entfernen (speziell zu diesem „Anammox“ - Stoffwechselweg siehe auch Link).

Ökologisch interdisziplinär

Allein Klima- und Umweltschutz im Zusammenhang mit den „Wasserforschern“ führen uns also schon in vollkommen unterschiedliche Richtungen: Mikrobiologie, das Design von Kläranlagen, chemische Eigenschaften von Kunststoffen und natürlich Treibhausgase und physikalische Wechselwirkungen zwischen Strahlung und Molekülen. Wir haben für die Paper-Tabellen aber bewusst nur Publikationen berücksichtigt, die auch einen klaren Bezug haben zur Biologie. Klimamodelle, geologische und agrarwissenschaftliche Aspekte zur Landnutzung und die Auswirkungen auf die Qualität des Trinkwassers oder auch rein verfahrenstechnische Studien zu Kläranlagen blieben unberücksichtigt.

Auch bei den meistzitierten Köpfen orientierten wir uns an diesen Ausschlusskriterien, allerdings fällt hier das Abgrenzen deutlich schwerer. Wer nämlich ökologischen Fragestellungen nachgeht, hat in der Regel einen interdisziplinären Hintergrund – und passt dann eben nicht in nur eine Schublade. Der Ökosystemwissenschaftler Klement Tockner (24.) aus Frankfurt/M. zum Beispiel schreibt in seinem meistzitierten Artikel über Dammbau zur Wasserkraftnutzung (Aquat. Sci. 77: 161-70); in anderen seiner Arbeiten geht es um die Kartierung von Flüssen. Andererseits publiziert er aber auch zu Biodiversität im Süßwasser; und bis er 2016 für vier Jahre ins Präsidentenamt des österreichischen Wissenschaftsfonds FWF wechselte, forschte er am Berliner IGB, dem Leibniz-Institut für Gewässerökologie und Binnenfischerei. Deshalb ist Tockner hier auch unter den meistzitierten Köpfen mit gelistet.

Ähnlich Thorsten Dittmar (9.) von der Uni Oldenburg: Der ist zwar Geochemiker, aber er untersucht auch ganz speziell, was mit der organischen Materie im Meer passiert. Stoffkreisläufe und marines Leben, insbesondere Plankton – das sind typische Tätigkeitsfelder von Ökologen und ökologisch orientierter Meeresbiologen.

Tools für rRNA-Sequenzen

Ein relevantes Indiz, solche „Köpfe zwischen den Stühlen“ im Zweifelsfall doch mit zu berücksichtigen, war für uns die jeweilige Institutsadresse. Allerdings arbeiten an Deutschlands großen meereswissenschaftlichen Einrichtungen auch Forscher, die sich dann doch weit abseits der Biologie allein auf die abiotischen Faktoren konzentrieren – und demnach hier nicht hineinpassen.

Grob gesehen ist es die Meeresforschung, die die Liste der meistzitierten Köpfe dominiert – und die bündelt sich im Norden Deutschlands. Allein in deren Top Ten taucht achtmal Bremen auf. So arbeitet Frank Oliver Glöckner, der meistzitierte Wissenschaftler im aktuellen Vergleich, am Marum, dem Zentrum für Marine Umweltwissenschaften der Universität Bremen. Rund 16.000 seiner 23.517 Zitierungen verdankt er vier Publikationen zu ribosomaler RNA. Denn nach wie vor ist die rRNA für Ökologen ein bewährtes Werkzeug, um insbesondere auf die Biodiversität von Mikroorganismen zu schauen und sie den Zweigen auf den Stammbäumen zuzuordnen. Dazu sammelt etwa die Datenbank SILVA rRNA-Daten, unterzieht diese Datensätze diversen Qualitätskontrollen und stellt auch Analyse-Tools zur Verfügung. Über SILVA berichten auch die Autoren des meistzitierten Artikels, der annähernd 10.000-mal zitiert ist. Federführend daran beteiligt ist Glöckner.

Entsprechende „Omics“-Projekte kennen wir bereits aus der humanmedizinischen Forschung als Schwergewichte in Sachen Zitierungen. Es gab schon Artikel mit hunderten Autoren, und wer im Verbreitungsgebiet arbeitet und auf solch einem Paper seinen Namen platziert hat, konnte es in der Vergangenheit mitunter schon durch eine einzige solche Beteiligung unter die meistzitierten Köpfe schaffen. Bei den Wasserforschern aber ist das anders: Auf keiner der vier Arbeiten zur rRNA-Analyse stehen mehr als zehn Autoren. SILVA und auch der im dritthäufigst zitierten Artikel thematisierte „SILVA Incremental Aligner“ (SINA) sind gerade bei den Ökologen nachgefragt, die direkt aus einem Biotop Proben entnehmen und nach zuverlässigen molekularen „Fingerabdrücken“ der Organismen suchen.

Aqua-Biologe oder nicht?

Und: Auf jedem der insgesamt vier Artikel unserer Liste, die irgendwie mit rRNA zu tun haben, stehen Autoren, von denen einige mindestens eine Zeit lang in einem meereswissenschaftlichen Institut tätig waren. Obwohl also nicht gleich in der Überschrift ein Bezug zur Meeres- und Frischwasserforschung ersichtlich ist, gehören diese Artikel aus unserer Sicht in das aktuelle Ranking.

Mit der rRNA sind wir dann auch bei den Mikroorganismen – und gelangen von hier aus zur Gewässer-Metagenomik. Dabei taucht unter anderen auch Peer Bork auf. Am EMBL in Heidelberg erforscht Bork mikrobielle Gemeinschaften und hat mit seinem Team nicht zuletzt auch durch Arbeiten am Darm-Mikrobiom von sich reden gemacht. Thematisch sehen wir ihn daher zwar durchaus als Mikrobiologie-orientierten Computational Biologist, aber nicht explizit als Aqua-Biologen, weshalb er hier nicht unter den Köpfen auftaucht. Dies obwohl er an den Artikeln auf Platz 6 und 10 mitgeschrieben hat – über das globale „Ozean-Mikrobiom“ sowie die Diversität eukaryotischen Planktons in den Meeren. Bork zeigt demnach beispielhaft, warum einige Namen zwar in den Autorenlisten der meistzitierten Artikel auftauchen, nicht aber in der Köpfe-Tabelle stehen.

Nicht weniger als 13 unserer meistzitierten Köpfe sind oder waren irgendwann innerhalb des Analysezeitraums in Bremen tätig, wo sich neben der Universität noch das Max-Planck-Institut für Marine Mikrobiologie befindet. Nehmen wir dazu Oldenburg sowie Bremerhaven und Helgoland mit ihren Niederlassungen des Alfred-Wegener-Instituts, Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung (AWI), so taucht der Norden insgesamt 19-mal auf – und vereinigt damit fast zwei Drittel der Köpfe auf sich. Regional liegt der Hotspot für die Wasserlebensforschung im Laborjournal-Verbreitungsgebiet also an der Nordsee.

Nur drei Forscherinnen

Daneben sehen wir dreimal Berlin als Adresse, dank des schon erwähnten Leibniz-Instituts für Gewässerökologie und Binnenfischerei. Hans-Peter Grossart (15.) ist der meistzitierte unter den dort Tätigen. Aber auch die Schweiz schlägt sich ganz gut, denn dreimal finden Repräsentanten der Eidgenössischen Anstalt für Wasserversorgung, Abwasserreinigung und Gewässerschutz ihren Weg unter die meistzitierten dreißig Köpfe. Das Wasserforschungsinstitut läuft auch unter dem eingängigeren Akronym Eawag, gehört zum Verbund der Eidgenössischen Technischen Hochschulen (ETH) und erstreckt sich über zwei Standorte in Dübendorf und Kastanienbaum. Von dort am häufigsten zitiert wurde mit Juliane Hollender auf Platz 14 eine der wenigen Frauen unter den meistzitierten Köpfen. Als Leiterin der Abteilung Umweltchemie ist sie vor allem Gewässer-Schadstoffen auf der Spur.

Die Forscherin mit den meisten Zitierungen ist jedoch Pelin Yilmaz, die bis 2021 das Bremer MPI als ihre Arbeitsadresse angab. Dort schrieb sie unter anderem an den beiden SILVA-Artikeln mit, einmal sogar als Erstautorin. Mit gut 13.000 Zitierungen belegt sie den sechsten Platz 6 unter den Köpfen.

Und nicht nur der Vollständigkeit halber sei auch noch Anna Klindworth (29.) als dritte Frau der Autoren-Liste genannt: Auch sie ist am Bremer MPI tätig, analysiert dort rRNA-Sequenzen – und ist Erstautorin des am zweithäufigst zitierten Artikels.


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Letzte Änderungen: 13.06.2022