Editorial

Gefragt in allen Genres

Publikationsanalyse 2011-2020: Klinische Chemie & Laboratoriumsmedizin
von Mario Rembold, Laborjournal 1-2/2022


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(07.02.2022) Labordiagnostik und Klinische Chemie spielen naturgemäß in fast allen medizinischen Disziplinen mit. Vor allem die Mitwirkung an humangenetischen Artikeln bringt hohe Zitierzahlen.

Im Alltag war Labordiagnostik für die meisten von uns eine Blackbox. Die Hausärztin gab uns irgendwann die Ergebnisse der Blutuntersuchung durch, und wir haben ihr einfach vertraut. Dann kam Corona. Auf einmal redete jeder mit bei Sensitivität und Spezifität. Manch einer, der in einer Kellerschublade einen Doktortitel wiederfand und damals „irgendwas mit Medizin“ gelernt hatte, verkündete, wie unzuverlässig angeblich so ein PCR-Test sei. Notfalls auch über YouTube und Telegram. Zum Glück gab und gibt es geduldige und sachliche Stimmen wie die von Sandra Ciesek und Christian Drosten – und wer ihnen zuhörte, weiß: In einem diagnostischen Labor wirft man nicht mal eben irgendein spontan gebasteltes Primer-Paar in den PCR-Ansatz und lässt das Produkt zum kurzen Draufschauen über ein Gel laufen, sondern es gibt vielmehr genau festgelegte Protokolle auf modernen Maschinen. Außerdem laufen interne Kontrollen mit, die Falsch-Positive fast immer entlarven.

Die Labormedizin ist also im heimischen Wohnzimmer angekommen: Manch ein Couch-Bundestrainer verwandelte sich in einen Experten für Immunglobuline und ließ schon im Frühsommer 2020 einfach mal seine Antikörper bestimmen. „Das hatte ich garantiert schon, ich war doch im Februar so schlimm erkältet!“

Corona-Premiere

Erstmals zieht mit der Klinischen Chemie und Laboratoriumsmedizin nun also auch SARS-CoV-2 in die Tabellen eines unserer Rankings ein. Ein Grund dafür ist, dass unser Analysezeitraum mit dem Jahreswechsel das Jahr 2020 mit erfasst. So finden wir auf Platz 10 der meistzitierten Artikel die Ergebnisse einer Studie mit COVID-19-Patienten, die im Januar und Februar 2020 in ein Krankenhaus in Wuhan eingeliefert worden waren. Forscher hatten sich retrospektiv die Krankheitsverläufe bis zum März angeschaut, um Risikofaktoren für Schwere und Mortalität zu ermitteln. Unter anderem flossen Blutwerte für diverse Zytokine und die Laktatdehydrogenase in die Auswertung ein – und je höher diese Werte, desto wahrscheinlicher war ein schwerer Verlauf.

An dieser Arbeit wirkte Harald Renz von der Uniklinik Marburg mit; es war mit Abstand sein am häufigsten zitierter Artikel im aktuellen Analysezeitraum. Andere Paper mit seinem Namen behandeln Asthma und Allergien, bleiben aber alle deutlich unterhalb der 300er-Marke. Unterm Strich aber sind es 4.652 Zitierungen, auf die Renz durch seine 129 Artikel kommt. Damit schafft er es mit Platz 14 souverän unter die dreißig meistzitierten „Köpfe“ und wäre hier letztlich auch ohne seinen Beitrag zum Wuhan-Paper vertreten gewesen.

Wen aber ordnen wir überhaupt der Klinischen Chemie und Labormedizin zu? Schauen wir allein auf die Publikationen, fällt es schwer, ein allgemeingültiges Kriterium zu finden. Schließlich handelt es sich um Forscherinnen und Forscher jener Community, die eigentlich überall mitmischen, wo Patientenproben auf Biomarker hin untersucht werden. Das kann eine Genomik-Studie zu Übergewicht oder Diabetes sein, für die man ja auch den Abgleich mit metabolischen Daten braucht. Oder eine Arbeit zu Herzinfarkt oder einem neuartigen Medikament.

Die Adresse zählt

Zwar führt die Datenbank Web of Science mit „Medical Laboratory Technology“ eine eigene Kategorie für Journals mit Bezug zu dieser Disziplin, der größte Teil der Arbeiten eines Labordiagnostikers erscheint jedoch in der Regel in ganz anderen Journals, die thematisch eher der wissenschaftlichen Fragestellung zuzuordnen sind als den Methoden, die zum Einsatz kommen. Deshalb war das Maß aller Dinge diesmal die Institutsadresse. Wer in einer Abteilung für Labordiagnostik oder Klinische Chemie arbeitet, dürfte sich dieser Gemeinschaft auch zugehörig fühlen. Selbst dann, wenn es zusätzlich noch eine weitere Kategorie gibt, in der sie oder er Expertise mitbringen.

Bei den drei Namen auf dem Siegertreppchen ist das die Endokrinologie. Mit großem Abstand vorn liegt Winfried März, tätig an der Medizinischen Universität Graz und an der Uniklinik Mannheim. Daneben arbeitet März noch mit dem Labordienstleister Synlab zusammen. Seine beiden meistzitierten Artikel sind sogenannte Global-Burden-of-Disease-Paper. Auch seine Mitwirkung an humangenomischen Arbeiten wirken sich positiv auf die eigenen Zitierzahlen aus. Fünfmal ist er als Mitwirkender in der Tabelle der meistzitierten Artikel vertreten.

Über 40.000 Zitierungen im Analysezeitraum – damit heimst März mehr als das Doppelte ein als Platz 2: Matthias Nauck aus Greifswald. Auch Nauck kooperiert mit Humangenetikern und landet auf sehr gut zitierten Multi-Autoren-Papern. Das gilt ebenso für Henri Wallaschofski auf Platz 3, der sich inzwischen in Erfurt niedergelassen hat, bis 2013 aber wie Nauck in der Klinischen Chemie & Labordiagnostik Uniklinik Greifswald tätig war.

Hochzitiert dank Humangenetik

Allein die drei Autoren auf den vorderen Plätzen beteiligen sich demnach an sehr unterschiedlichen Publikationen. Neben der genannten Zusammenarbeit mit Humangenetikern schreiben sie zu kardiologischen Fragestellungen, Diabetes, Immunologie oder wirken an epidemiologischen Studien mit großen Kohorten mit.

Hier nun die Frage: Welche Artikel und Reviews sehen wir in der aktuellen Publikationsanalyse denn überhaupt als „klinisch-chemisch-labordiagnostisch“ an? Allein Beiträge aus Fachblättern zu berücksichtigen, die sich der Kategorie zuordnen, würde dem Arbeitsfeld der Forscher nicht gerecht. Doch speziell auf diese Disziplin mit Schlagworten zu filtern, trifft es auch nicht. Wir könnten natürlich versuchen, speziell Arbeiten zur Entwicklung und Validierung von Labortests zu finden. Andererseits ist der Labordiagnostiker vor allem aber Ansprechpartner für Forscher aus unterschiedlichsten Disziplinen. Er liefert die Daten zu Biomarkern, für die bereits Verfahren etabliert sind, die aber nicht „mal eben“ jeder im eigenen Labor erheben kann.

Also sind wir pragmatisch vorgegangen: Wir haben jene Paper in die Tabellen aufgenommen, in denen Forscher aus der Klinischen Chemie und Laboratoriumsmedizin mit auf der Autorenliste stehen. Und: Mindestens einer dieser Forscher musste eine Adresse im Laborjournal-Verbreitungsgebiet haben.

Ausgeklammert haben wir auch diesmal wieder epidemiologische Arbeiten zu den großen Kohorten, in denen die statistische Auswertung angesammelter Datensätze im Vordergrund steht. Natürlich lässt sich über diese Entscheidung streiten. Denn gerade dieses systematische Datensammeln im ganz großen Stil – samt deren Statistikanalyse – hilft ja dabei, die Verbreitung von Krankheiten in Bevölkerungsgruppen zu erfassen, Korrelationen zu finden und Hypothesen zu formulieren. Der Nachteil dieser Studien für solch ein thematisch orientiertes Ranking ist aber, dass sie nicht nur hunderte Autoren aus sämtlichen Disziplinen vereinen, sondern sich auch kaum scharf und eindeutig einzelnen „Genres“ zuordnen lassen. Es geht in ein und demselben Paper fast immer um alle möglichen Erkrankungen und nicht darum, einen bestimmten Mechanismus zu verstehen. In mehreren Rankings hätten wir dann immer dieselben Artikel auf den vorderen Plätzen stehen – häufig Arbeiten irgendwo zwischen Meta-Analyse und Review.

Auch die hochzitierten humangenetischen Studien gehen uns immer wieder ins Netz, so auch diesmal. Hier steht aber meist eine recht konkrete biologische Fragestellung dahinter. Und ob ein genetischer Locus mit Übergewicht oder Diabetes assoziiert ist, klärt sich nur mit einem Blick auf die entsprechenden Biomarker.

Dass am Ende neun der zehn Artikel irgendwie mit Genloci, SNPs oder Risiko-Allelen zu tun haben, spiegelt wider, in welchen Publikationen die Labordiagnostiker hohe Zitierzahlen sammeln. Dabei begegnen uns neben März, Wallaschofski und Nauck zwei weitere Namen aus den Top-Ten: Hubert Scharnagl (5.) von der Medizinischen Universität Graz; und Joachim Thiery (7.), der bis 2020 an der Uniklinik Leipzig forschte, inzwischen aber Dekan an der medizinischen Fakultät der Uni Kiel ist.

Auf Platz 4 der „Köpfe“ sehen wir mit Henning Urlaub einen Wissenschaftler, der zwischen den anderen Namen aus der Reihe tanzt. Am Max-Planck-Institut für Multidisziplinäre Forschung in Göttingen arbeitet Urlaub nämlich viel am Massenspektrometer und interessiert sich für die Interaktion zwischen Proteinen und Proteinkomplexen. Bei 82 seiner 230 Artikel gibt er als Adresse aber explizit auch die Abteilung „Klinische Chemie“ am Uniklinikum Göttingen an. Sein Know-how zur Massenspektrometrie scheint demnach auch unter den Klinischen Chemikern gefragt. Weil er diese Adresse so regelmäßig nennt, haben wir ihn daher dieser Community zugeordnet.

Grenzen ziehen

Auf der anderen Seite gab es auch Einzelfälle, die uns als mögliche Kandidaten für dieses Ranking aufgefallen sind, die wir aber doch nicht berücksichtigten. Unter ihnen der Heidelberger Kardiologe Hugo Katus, der einen Immunassay zur Infarktdiagnostik entwickelte. Zwar sind 17 seiner Artikel explizit der labordiagnostischen Kategorie zugeordnet, doch kommt er insgesamt auf stolze 665 Artikel im Analysezeitraum, sodass sich der labordiagnostische Paper-Anteil stark relativiert.

Raphael Twerenbold vom Herz- und Gefäßzentrum der Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf (UKE) wiederum hat eine Professur für Biomarker-Forschung inne. Doch auch er dürfte sich vor allem der kardiologisch ausgerichteten Community zugehörig fühlen, sodass die 7.258 Zitierungen seiner 182 Artikel hier unberücksichtigt sind.

Beim Blick auf die regionale Verteilung sticht übrigens Österreich hervor: Sechs der Top 30 waren im Analysezeitraum dort tätig. Viermal ist dabei Graz genannt und taucht damit genauso oft auf wie Greifswald. Vorne liegen Bonn und Leipzig mit jeweils fünf Forschern, die dort ihr Klingelschild haben oder hatten.

Das Geschlechterverhältnis ist mit einem Frauenanteil von glatten zehn Prozent auch diesmal wieder alles andere als ausgeglichen.


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Letzte Änderungen: 07.02.2022