Editorial

Grün im Blick

Publikationsanalyse 2011-2015: Pflanzenforschung
von Mario Rembold, Laborjournal 06/2017


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Foto.: Bayer AG

Vielzitierte Pflanzenforscher sequenzieren gern und benötigen bioinformatisches Know-how. Daneben finden sich unter ihnen aber auch viele Ökologen. Das grüne Epizentrum im deutschsprachigen Raum ist Potsdam.

Ohne darüber nachzudenken füllen Sie Ihre Lungen zehn- bis zwanzigmal pro Minute mit Luft. So gut wie jedes der Sauerstoffmoleküle, das dabei in Ihr Blut gelangt, hatte irgendwann einmal Kontakt zu einer Chloroplastenmembran oder entstammt einem prokaryotischen Organismus, der Sonnenlicht als Energiequelle nutzt. Ohne Photosynthese wäre das reaktionsfreudige Element Sauerstoff nämlich vollständig in Mineralien oder CO2 gebunden – und uns gäbe es daher nicht!

So gesehen mag es erstaunen, dass die Pflanzen und Algen in unseren Publikationsanalysen solch ein Schattendasein führen. Selbst die treuen Leser dieser Rubrik stoßen in den Tabellen nur gelegentlich auf Forscher botanischer Institute. Zugegeben, ein Großteil der von uns observierten Disziplinen hat einfach keinen Bezug zur Botanik: Onkologie, Augenforschung oder Neurowissenschaften zum Beispiel. Und dort, wo prinzipiell auch grüne Organismen Gegenstand der Forschung sein könnten, dominieren die medizinisch ausgerichteten Wissenschaftler und deren Publikationen die Tabellen. Wer etwa als Physiologe einen Mechanismus aufdeckt, der die Entstehung einer kardiovaskulären Erkrankung erklärt, wird sicher häufiger zitiert als der botanische Kollege, der metabolische Wege rund um die Zellwandsynthese untersucht. Vor allem aber finden die Studien beider Autoren in vollkommen unterschiedlichen Communitys Beachtung.

Wer ist wirklich Pflanzenforscher?

Genau deswegen aber ist es sinnvoll, die Pflanzenforscher in einem eigenen Ranking zu würdigen – auch wenn einige von ihnen durchaus mal in anderen Disziplinen auftauchen. Detlef Weigel aus Tübingen vom Max-Planck-Institut (MPI) für Entwicklungsbiologie ist hier als reichlich zitierter Allrounder zu nennen. Von der Blütenentwicklung über Mechanismen zum Umgang mit oxidativem Stress und evolutionsbiologischen Fragestellungen bis hin zu Genomanalysen ist in seinen Papern alles dabei. In den Rankings zur Evolutions- und zur Entwicklungsbiologie belegte Weigel zuletzt jeweils Platz 1 der Köpfe-Liste, und unter den Molekulargenetikern landete er im vergangenen September auf der neunten Position. Ein Beweis dafür, dass auch jemand, der hauptsächlich an Arabidopsis forscht, in Communitys jenseits der botanischen Welt Aufmerksamkeit erlangen kann. Im aktuellen Pflanzenforscher-Ranking schafft es Weigel auf Platz 3 der meistzitierten Köpfe.

Natürlich bemühen wir uns in jeder Publikationsanalyse um eine möglichst klare Eingrenzung der Disziplin und eine Abgrenzung zu anderen „Genres“. Bei den Pflanzenforschern ist grundsätzlich ziemlich klar, woran sie arbeiten. Deswegen gilt hier als wichtigstes Kriterium, dass ein Autor im Analysezeitraum den Großteil seiner Artikel in Journals der Web of Science-Kategorie „Plant Sciences“ publiziert haben sollte. Wir haben außerdem geschaut, ob der jeweilige Forscher wirklich ein zentrales Interesse an Pflanzen als Organismen zeigt. So wurde Thomas Efferth nicht in die Liste aufgenommen, obwohl er zwischen 2011 und 2015 48-mal in Pflanzenfachblättern veröffentlicht hat. Efferth forscht aber am Institut für Pharmazie und Biochemie der Uni Mainz und ist an Wirkstoffen pflanzlichen Ursprungs interessiert, und an deren Effekten gegen Viren oder Tumoren. Sein Fokus liegt also auf der Pharmakologie und klinischen Anwendungen. Aus diesem Grund führen wir ihn als Pharmakologen, nicht als Pflanzenforscher.

Unter den Ökologen hingegen finden wir eine ganze Reihe von Autoren, die speziell botanische Themen beforschen: Zum Beispiel Nina Buchman (11.) von der ETH Zürich mit Arbeiten zur Ökophysiologie und Kohlenstoffkreisläufen; oder Markus Fischer (14.) von der Uni Bern, der Biodiversitätsänderungen durch invasive Pflanzen auf den Grund geht. Wer als Ökologe hingegen nicht speziell an Pflanzen interessiert ist, sondern beispielsweise terrestrische Lebensgemeinschaften im Waldboden erforscht, den haben wir nicht als Pflanzenforscher eingestuft, auch wenn er ein paar botanische Paper vorzuweisen hat.

Anders liegt der Fall bei Magnus Nordborg (18.) vom Gregor-Mendel-Institut in Wien: Von seinen 27 Artikeln des Analysezeitraums erschienen zwar auch „nur“ vier in pflanzenwissenschaftlichen Fachblättern, doch haben seine Arbeiten ebenso wie sein Institut einen klaren botanischen Hintergrund.

Insgesamt sehen wir viele Namen in der „Köpfe“-Liste, deren meistzitierte Artikel sich um Genomik, Transkriptomik oder neuerdings auch Methylomik drehen. Viele von ihnen sind auf Sequenziermethoden und Bioinformatik spezialisiert, publizieren aber dennoch regelmäßig in Botanik-Journals. Manuel Spannagl (6.) vom Helmholtz Zentrum München ist einer jener Vollzeit-Genomiker und taucht nur fünfmal in Pflanzenmagazinen auf. Allerdings geht es ihm dabei um botanische Fragestellungen, insbesondere rund um Gräser und Getreide. Das unterscheidet Spannagl von Forschern, die methodisch auf Sequenzierungen spezialisiert sind und dabei nur zufällig auch mal eine Arabidopsis-Basenfolge auf den Bildschirm bekommen. Entsprechend haben wir letztere nicht in diesem Ranking berücksichtigt, sie gehören in die Kategorie „Molekulargenetiker“.

Wenige Artikel, viele Zitate

Generell sind die „Omics“ heute aus keiner biologischen Grundlagendisziplin mehr wegzudenken, folglich haben sie sich auch unter den Pflanzenforschern breitgemacht. Rund die Hälfte unserer meistzitierten Köpfe ist im größeren Stil mit Sequenzdaten und deren Auswertung beschäftigt. Jedoch heimsten einige Omics-orientierte Pflanzenforscher mit vergleichsweise wenig Papern recht viele Zitate ein. Spannagl reichen 22 Artikel für eine souveräne Position innerhalb der Top Ten. Marc Lohse, bis 2014 am MPI für Molekulare Pflanzenphysiologie in Potsdam-Golm, schafft es mit nur 13 Artikeln auf Platz 8. Mehr als 1.700 Zitierungen, also sechzig Prozent seiner Gesamtzitate, verdankt Lohse dabei einem einzigen Paper, das nicht in die Botanik-Kategorie fällt. Die Autoren stellen darin ein Software-Tool namens „Trimmomatic“ vor, das bei der Auswertung von Illumina-Sequenzdaten helfen soll (Bioinformatics 30(15): 2114-20). Als Seniorautor weiterhin mitgeschrieben hat dieses Paper der fünftplatzierte Björn Usadel von der RWTH Aachen und dem Forschungszentrum Jülich.

Diese Beispiele zeigen, wie schwer es selbst bei einer auf den ersten Blick sehr klaren Disziplin wie der Botanik sein kann, Publikationsleistungen der Forscher miteinander zu vergleichen. Natürlich wird es gute Gründe geben, dass besagter Artikel von Lohse und Usadel so häufig zitiert wird – und es sei erwähnt, das hieran nur drei Autoren beteiligt waren, dass es sich also gerade nicht um ein Massenwerk mit endlosen Koautoren handelt. Nur sollte klar sein, dass nicht jeder Pflanzenforscher der Liste alle Zitierungen durch rein botanische Publikationen gesammelt hat.

Omics, Ökologie und Photovoltaik

Auch durch die meistzitierten Artikel ziehen sich die Omics als roter Faden: Genome von Senfkohl, Schneeklee, der Walderdbeere, Weizen und natürlich Arabidopsis standen auf der Agenda der Forscher. Auf Platz 1 eine Arbeit, in der die Autoren das Genom der Tomate mit verwandten Arten wie der Kartoffel vergleichen, um dann Rückschlüsse auf die Evolution von Pflanzenfrüchten zu ziehen. Hieran mitgeschrieben hat Heidrun Gundlach (7.) vom Helmholtz Zentrum München. Auf Platz 4 und 6 platzierten sich ökologisch ausgerichtete Artikel, einmal zum Einfluss von Dürren auf Pflanzen und andererseits zur Bedeutung naturbelassener Wälder für Lebensgemeinschaften. Auch bei der Zusammenstellung dieser Liste haben wir darauf geachtet, dass Pflanzen im Mittelpunkt des jeweiligen Artikels stehen. Es genügte nicht, dass ein Pflanzenforscher an einem Paper mitgeschrieben hat.


Pflanzenforscher bei der Arbeit? Foto: C. Boffeli, Big Appetites

Unter den meistzitierten Reviews sticht Platz 2 hervor. Die Autoren vergleichen hier die Effizienz der Photovoltaik-Technolo­gien mit pflanzlicher Photosynthese beim Speichern von Sonnenenergie. Demnach seien Photovoltaik-Anlagen im Jahresmittel effizienter, während Pflanzen aber kurzfristig höhere Werte erreichen können. Ein schönes Beispiel, dass Erkenntnisse aus der Botanik auch Disziplinen jenseits der Lebenswissenschaften inspirieren können – denn solch ein Review wird sicher nicht nur von Biologen gelesen.

Wo ist es am „grünsten“?

Werfen wir noch einen Blick auf die regionale Verteilung: Potsdam scheint unter Pflanzenexperten besonders beliebt zu sein. Zehn der Köpfe haben im Analysezeitraum zumindest teilweise dort geforscht, neun von ihnen am MPI für Molekulare Pflanzenphysiologie in Potsdam-Golm.

An dieser Stelle sei auch noch Platz 1 unserer „Köpfe“-Liste erwähnt: Alisdair Fernie leitet an ebenjenem MPI die Arbeitsgruppe „Zentraler Metabolismus“ und schaut sich neben Transkriptom-Profilen daher auch die kleineren Moleküle an.

Ebenfalls ein Anziehungspunkt für Forscher mit „grüner Pipette“ ist das Leibniz-Institut für Pflanzengenetik und Kulturpflanzenforschung (IPK) in Gatersleben. Fünf Wissenschaftler unseres Rankings waren irgendwann zwischen 2011 und 2015 dort tätig. Fünfmal finden wir auch den Standort Zürich in der Liste, mit einmal Basel und zweimal Bern sind die Schweizer insgesamt sogar achtmal dabei. Von den fünf Münchner Adressen in der Köpfe-Tabelle führen vier zur Abteilung Pflanzengenome und Systembiologie (PGSB) am Helmholtz Zentrum in Neuherberg.

In den nächsten Monaten mag es in unseren Rankings wieder etwas stiller werden um die Botanik. Aber Sie dürfen in dieser Zeit natürlich trotzdem bei dem einen oder anderen Atemzug daran denken, wem sie Ihre Luft zum Atmen verdanken.


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Letzte Änderungen: 12.06.2017