Editorial

Biodiversität interdisziplinär

Publikationsanalyse 2011-2015: Tier- & Pflanzenökologie
von Mario Rembold, Laborjournal 01/2017


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Illustr.: Villagra Lab/ Univ. Santiago de Chile

Wie bereits 2012 überzeugt die Schweiz als Ökologen-Standort. Nach wie vor steht Biodiversität im Mittelpunkt.

Die Welt ganzheitlich betrachten, etwa nach dem Motto „alles ist eins“. Nein, diesen Monat gibt es kein Esoteriker-Ranking, sondern es geht um die Ökologen! Aus deren Reihen interessieren uns diejenigen, die in irgendeiner Weise Tiere oder Pflanzen erforschen – samt deren Wechselwirkungen mit der Umwelt. Somit ist der thematisch mögliche Rahmen weit gefasst: Botanik, Zoologie, Physiologie und natürlich auch der Einfluss des Menschen auf die Artengemeinschaften. Zudem schaut sich der Ökologe nicht nur das Leben an sich an, sondern auch die Bühne, auf der sich ebenjenes zeigt: Boden, Wasser, Luft sowie Wind und Wetter. Der Bilderbuch-Ökologe wäre demnach ein Universal-Allrounder, der sich auskennt vom Virus bis zum Nashorn, vom Sandkorn bis zum Korallenriff und vom Weltklima bis zum Artensterben.

Im echten Forscheralltag spezialisiert sich natürlich auch jeder Ökologe mehr oder weniger stark auf einen Themenkreis und erfüllt dabei nicht immer das Klischee des Naturburschen, der in Gummistiefeln durch Sümpfe und Wälder streift. Um schon mal exemplarisch ein paar Fälle aus der Tabelle der meistzitierten Köpfe herauszugreifen:

Der Botaniker Jonathan Gershenzon (21.) interessiert sich für den Geschmack und Geruch von Pflanzen. Am Jenaer MPI für chemische Ökologie untersucht seine biochemisch ausgerichtete Arbeitsgruppe die Biosynthese der verantwortlichen Pflanzenstoffe. Hört sich erstmal nicht nach Ökologie an, doch das Team hat speziell die übel riechenden und schwer genießbaren Geschmacksrichtungen im Blick – und geht insbesondere der Frage nach, inwiefern Pflanzen sich damit vor Fraßfeinden und Pathogenen schützen.

Biochemiker, Klimaforscher,...

Die Arbeitsgruppe „Umweltphysik“ um Nicolas Gruber (28.) verfolgt den Weg des Kohlendioxids (und anderer lebensrelevanter Moleküle) zwischen Ozean und Atmosphäre. Ebenso begegnen wir Forschern, die klimatischen Veränderungen auf den Grund gehen. So etwa Thomas Hickler (14.) vom Frankfurter Forschungszentrum Biodiversität und Klima (BiK-F), der unter anderem voraussagen will, wie sich künftig die Vegetationszonen auf der Erde entwickeln.

... Modellierer und Mathematiker...

Modellierung und Mathematik gehören folglich ebenso zum Handwerkzeug moderner Ökologen. Mancher hat sich gar komplett darauf spezialisiert – wie etwa Carsten Dormann (9.) von der Uni Freiburg, der darüber sogar ein Lehrbuch mit dem wenig massentauglichen Titel „Parametrische Statistik“ geschrieben hat (Springer Spektrum, ISBN 978-3-642-34786-3).

Editorial

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Die Beispiele lassen schon erahnen, dass wir Grenzen ziehen müssen, um sinnvoll einen Blick in die Community der Tier- und Pflanzenökologen werfen zu können. Ob der Geochemiker, der Wetterexperte oder das Mathe-Ass nun als Ökologe durchgeht oder nicht, hängt maßgeblich davon ab, welchen wissenschaftlichen Fragen er mit Hilfe seines Handwerks auf den Grund geht. Wichtigster Anhaltspunkt für die aktuelle Publikationsanalyse war für uns daher eine Liste mit rund hundert ökologisch ausgerichteten Journals. Wer im Analysezeitraum regelmäßig als Autor in diesen Zeitschriften auftaucht, der rechnet sich höchstwahrscheinlich selbst ebenjener Gemeinschaft von Tier- und Pflanzenökologen zu.

... aber keine Mikrobiologen

Schaut man nach Autoren von Artikeln, in denen Ökologie-relevante Schlüsselworte fallen, stößt man indes auf wesentlich mehr Kandidaten. Viele von ihnen leisten ebenfalls wichtige Beiträge zum Verständnis von Lebensgemeinschaften und Interaktionen zwischen verschiedenen Spezies. Trotzdem haben wir einige von ihnen bewusst außen vorgelassen. So etwa die Mikrobiologen und Molekulargenetiker – obwohl aus deren Federn vielzitierte Paper zu metagenomischen (und damit auch artübergreifend relevanten) Analysen stammen.

Hätten wir diese Trennlinie nicht gezogen, fänden wir zum Beispiel Peer Bork in diesem Ranking, der am EMBL in Heidelberg und am Berliner Max-Delbrück-Centrum das Darm-Mikrobiom erforscht. Ja, auch die Mikroben sind essentiell für die Ökologie von Tieren und Pflanzen, aber deren Erforscher setzen dann doch eigene Schwerpunkte, bilden eine eigene Community und werden daher auch mit einer separaten Publikationsanalyse gewürdigt – ebenso wie die Molekulargenetiker. Aus demselben Grund haben wir auch Toxikologen hier nicht berücksichtigt, obwohl sich einige von ihnen mit Umweltgiften und deren Auswirkungen auf Tiere und Pflanzen beschäftigen.

Ganz vermeiden lassen sich Überschneidungen mit anderen „Genres“ aber nicht. Nehmen wir beispielsweise Ulf Riebesell (17.), Hans-Otto Pörtner (34.) und Ole Seehausen (42.), die auch in der Publikationsanalyse zur Meeres- und Frischwas­serbiologie auftauchen. Jeder von ihnen hat aber einen klaren ökologischen Schwerpunkt und ein Interesse an Tieren, Pflanzen oder zumindest Phytoplankton.

Biodiversität ist hip

Wer die Namen der meistzitierten Köpfe dieses Monats googelt, wird vor allem auf das Stichwort „Biodiversität“ stoßen. Wie verändert sich die Vielfalt und Zusammensetzung von Artengemeinschaften eines Biotops durch menschliche Einflüsse? Welche Unterschiede gibt es zwischen Ackerland und Naturwäldern? Welche Rolle spielen Invasoren, die in fremde Biotope einwandern? Hier gibt es Schnittmengen mit Agrarwissenschaften, so wie bei Teja Tscharntke am Institut für Nutzpflanzenwissenschaften der Universität Göttingen. Tscharntke, der mit fast 3.000 Zitaten die Liste der meistzitierten Köpfe anführt, hat an Artikeln zur Landnutzung und globalen Nahrungssicherheit mitgeschrieben. Sein Team beteiligt sich außerdem an Studien zur Bedeutung wildlebender Insekten für die Bestäubung von Nutzpflanzen.

Auch bei den meistzitierten Artikeln steht die Biodiversität ganz oben: Das Zootaxa-Paper auf Platz 1 liefert eine Inventur der Artenvielfalt im Tierreich, wonach rund 1,5 Millionen Tierarten beschrieben sind – ein Viertel davon übrigens Käfer. Unter den 139 Autoren kommt ein knappes Dutzend aus dem deutschsprachigen Raum, so etwa Jason Dunlop, Kurator im Berliner Naturkundemuseum (siehe auch LJ online: Editorial). Als Arthropoden-Experte und Evolutionsbiologe taucht er aber nicht unter den meistzitierten Köpfen auf, weil sein Forschungsschwerpunkt eben nicht bei ökologischen Fragestellungen liegt.

Dafür finden wir auf Platz 3 der Artikelliste eine ganze Reihe der meistzitierten Köpfe, darunter auch zwei Namen aus den Top Ten: Markus Reichstein (2.) und Sönke Zaehle (6.). Wer an diesem Artikel über eine Datenbank zur Dokumentation von Pflanzeneigenschaften mitgeschrieben hatte, heimste damit zum Zeitpunkt unseres Redaktionsschlusses schon mehr als 500 Zitierungen ein.

Bei den Reviews steht eine Arbeit an erster Stelle, die sich einer Anwendung im Ackerbau zuwendet: Pflanzenkohle, die man dem Boden beimischt, um dessen Fruchtbarkeit zu steigern. Mitgeschrieben hat unter anderem auch der Berliner Matthias Rillig (30). Die Autoren haben die Literatur durchforstet nach Effekten, die die Pflanzenkohle auf die Lebensgemeinschaften im Boden ausübt.

Wenig Frauen, viele Schweizer
Zum Schluss noch ein paar Zahlen, Daten und Fakten zu den meistzitierten Köpfen: Zwar steht Diversität ganz oben auf der Liste der Tier- und Pflanzenökologen, doch zeigt sich die Community in Sachen Geschlechterverteilung äußerst eintönig: Gerade mal vier Frauen finden wir in den Top 50.

Dafür aber sind Schweizer willkommen in der Szene. Vierzehn Forscher des Rankings waren im Analysezeitraum an einem Institut in der deutschsprachigen Schweiz tätig, angeführt von der Stadt Zürich.

Getoppt werden die Schweizer nur von Jena – ein Städtename, der siebenmal und damit am häufigsten in der Liste auftaucht. Fünfmal im Zusammenhang mit dem Max-Planck-Institut (MPI) für Biogeochemie. Österreich schafft es zweimal ins Ranking, nämlich mit Stefan Dullinger (45.) aus Wien und Michael Bahn (33.) aus Innsbruck. Nachbar Schweiz dagegen sichert sich allein in den Top Ten gleich doppelt so viele Positionen.

Setzt man diese Daten in Relation zu den Einwohnerzahlen der Länder, dann hat das Ranking der Tier- und Pflanzenökologen im deutschsprachigen Raum demnach einen klaren Sieger: die Schweiz!


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Letzte Änderungen: 06.02.2017