Buntgemischte Truppe

Publikationsanalyse 2007-2010: Entwicklungsbiologie
von Lara Winckler, Laborjournal 09/2013


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Editorial

Stammzellen, microRNAs und Blütenbildung gehören zu den Topthemen, Hot Spots sind Tübingen und Köln dank zweier starker Gruppen.

Die Entwicklung eines Organismus‘ ist das Ergebnis exakter zeitlicher und räumlicher Kontrolle der Genexpression, weshalb man die Entwicklungsbiologie heute weitgehend mit der Entwicklungsgenetik gleichsetzt. Mit ihrer Hilfe will man etwa verstehen, wie sich Zellen während der Embryogenese spezialisieren und bestimmte Gewebe und Organe bilden. Oder man beleuchtet Entwicklungsstörungen wie Chromosomenaberrationen, die das Down-Syndrom verursachen. Viele Modelle gelten der Apoptose, die etwa bei der Metamorphose von der Kaulquappe zum Frosch von zentraler Bedeutung ist, der Degeneration der Häute zwischen den Fingern und Zehen oder dem Tod von Zellen in Glaskörper und Linse des Auges, was diese lichtdurchlässig macht. Seit einigen Jahren interessieren sich Entwicklungsbiologen zudem für die Entstehung von Krebs, unter ihnen etwa Walter Birchmeier (16.) und sein Team am MDC Berlin.

Doch nicht nur die Ontogenese des Menschen und seine Krankheiten sind Gegenstand entwicklungsbiologischer Projekte – auch wenn viele Modelle letztendlich Rückschlüsse auf den Menschen ermöglichen sollen. Beliebte Laborhaustiere sind Zebrafisch (Danio rerio), dessen durchsichtige Larven sich für alle Welt sichtbar entwickeln – Joachim Wittbrodt (46.) am Centre for Organismal Studies (COS) Heidelberg weiß das ebenso zu schätzen wie Carl-Philipp Heisenberg (30.) und sein Team am Institute of Science and Technology Austria (IST Austria) in Klosterneuburg, an das er 2010 umsiedelte. Jirí Friml (5.) und Eva Benková (15.) taten es ihm gleich und kehrten im selben Jahr aus dem nicht-deutschsprachigen Ausland „heim“ ans IST Austria.

Editorial
Stammzellen und microRNAs

Daneben sind Salamander, die durch ihre Regenerationsfähigkeit bestechen, bei Entwicklungsbiologen gern gesehene Gäste, genauso übrigens wie Süßwasserpolypen (Hydra). Die Kieler Zoologen um Thomas Bosch (27.) nahmen die Cnidarier in ihren Labor-Zoo auf, um an ihnen Musterbildung, Stammzelldifferenzierung sowie die Entwicklung des Immunsystems zu studieren. Auch Krallenfrösche (Xenopus laevis und tropicalis) paddeln zuweilen noch durchs spartanische Laboraquariums-Ambiente. An ihnen bewies der englische Embryologe John Gurdon seinerzeit, dass aus jeder Zelle prinzipiell ein ganzer Organismus entstehen kann, wenn man sie entsprechend neu programmiert – eine Erkenntnis, für die Gurdon 2012 zusammen mit Shinya Yamanaka, der 2006 induzierte pluripotente Stammzellen (iPS) aus Maus-Bindegewebszellen erzeugte, den Nobelpreis für Physiologie oder Medizin erhielt. Diese Neuprogrammierung geschieht unter anderem mit Hilfe einer Robert-Koch-Preis-gekrönten Erkenntnis des Münsteraner Stammzellforschers Hans Schöler (2.), dass nämlich der Transkrip­tionsfaktor Oct‑4 für die Aufrechterhaltung der Pluripotenz in humanen embryonalen Zellen zuständig ist. iPS faszinieren die Community unverändert, wie der meistzitierte Artikel der Jahre 2007-2010 zeigt.

Auch Invertebraten wie Caenorhabditis elegans dienen als Modelle. Bei dem Wurm ist das Schicksal jeder einzelnen somatischen Zellen bekannt, was ihn besonders attraktiv macht für die Untersuchung etwa der neuralen Entwicklung und für die Alternsforschung. Ein weiteres Top-Modell ist Drosophila melanogaster, bei der die Forscher regelmäßig in hemmungslose Kreativität verfallen und der Community Gennamen bescheren wie breathless (Trachäen-Entwicklung), hamlet (entscheidet zwischen zwei Neuronen-Morphologien), oder tinman (Herzentwicklung).

Unter den 50 Entwicklungsbiologen, deren Artikel aus den Jahren 2007-2010 bis heute am stärksten zitiert wurden, sind auch die Pflanzenforscher gut aufgestellt. Beliebtestes Pflänzchen ist die Ackerschmalwand (Arabidopsis thaliana), an der etwa die Gruppe um George Coup­land (9.), Max-Planck-Institut für Züchtungsforschung Köln, die Blühinduktion untersucht, oder Detlef Weigel (1.) und seine Mitarbeiter am MPI für Entwicklungsbiologie Tübingen nach den molekularen Mechanismen suchen, die den Pflanzen die Anpassung an die Umwelt erlaubt. Dabei verlagert sich die Forschung immer mehr auf microRNAs, die auch die Pflanzenentwicklung beeinflussen. Zwei Themenkomplexe, die den Beifall der Community finden, weshalb Köln und Tübingen zu den am stärksten vertretenen Städten gehören.

So vielfältig die Modellorganismen, so klar ist der Auftrag: Herausfinden, wie eine korrekte Entwicklung funktioniert, um eine gestörte Entwicklung irgendwann korrigieren zu können. Na denn, ans Werk...


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Letzte Änderungen: 30.08.2013