Kanäle und Krebs

Publikationsanalyse 2006-2009: Hals-Nasen-Ohren-Forschung
von Lara Winckler, Laborjournal 09/2012


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Foto: Valua Vitaly/Fotoli
Editorial

Die Top 50 der HNO – fast komplett aus Deutschland – orientieren sich mehr und mehr in Richtung Sinnesphysiologie.

Die Otorhinolaryngologie ist die Lehre von Ohren, Nase, Hals und Rachen – Anatomie und Funktion ebenso wie Fehlfunktionen und Erkrankungen. Dies schließt erbliche Störungen ein, Verletzungen, Infektionen oder auch Krebs und verschiedene andere Tumoren. Nicht selten werden auch unsere Sinne in Mitleidenschaft gezogen, besonders Hören, Riechen, Schmecken und die vestibuläre Wahrnehmung (Gleichgewichtssinn). Aus diesem Grund nehmen die Sinnesphysiologen, zu deren Hoheitsgebiet die Erforschung der Hör-Riech-Schmeck-Ereignisse gehört, einen nicht unbeträchtlichen Teil der Plätze unter den 50 Hals-Nasen-Ohren-Forschern des deutschsprachigen Raums ein, deren Artikel aus den Jahren 2006 bis 2009 bis heute am häufigsten zitiert wurden.

Editorial
Chemische Sinne vorne

Doch die Sinnesphysiologie konzentriert sich nicht allein auf die Rezeptoren in den Organen. Viele Sinnesphysiologen verfolgen auch die Weiterleitung und Verarbeitung der Reize im Gehirn; die meisten firmieren gar direkt unter dem Titel Neurophysiologe oder arbeiten Hand in Hand mit diesen zusammen. Da die Neurowissenschaften jedoch zu weit vom eigentlichen Thema dieser Analyse wegführen würden und zudem in gleich zwei eigenen Vergleichen betrachtet werden, ziehen wir beim Nervensystem die Grenze. Kanäle ja, ausschließlich Neuronen und Hör-Riech-Schmeck-Zentren im Gehirn – nein.

Aber auch ohne die Neurobiologen belegen Sinnesphysiologen unter den Hör-Riech-Schmeck-Forschern Top-Positionen und stellen allein fünf der zehn bis heute meistzitierten HNO-Spezialisten. Allen voran der Spezialist der chemischen Sinne Riechen und Schmecken, Thomas Hummel (1.), HNO-Klinik Dresden, der zusammen mit seinen Kollegen Gerd Kobal (44.), Uni Erlangen, und Hilmar Gudziol aus Jena den bis heute meistzitierten Artikel lieferte – eine Studie über einen Riechtest namens „Schnüffelstab“. Oder die Homburger Experten für chemische Kommunikation, Trese Leinders-Zufall (36.) und Frank Zufall (36.) (siehe auch LJ 1-2/2012, Seite 40), oder Heinz Breer (33.), Zoophysiologe an der Uni Stuttgart-Hohenheim.

Die Sinnesphysiologen sind aber keineswegs unter sich. Neben Hörstörungs-Forschern wie Thomas Lenarz (3.), Direktor der HNO-Klinik an der MH Hannover und Cochlea-Experte, und den Tinnitus-Gruppen um Stefan Plontke (14.), Hörforschungszentrum Tübingen, und Tobias Kleinjung (18.) von der Regensburger Oto-rhinolaryngologie finden auch zahlreiche Krebs- und sonstige Tumorforscher sowie einige Genetiker ihren Platz unter den Top 50. Dazu gehört etwa Markus Pfister (26.), HNO-Klinik Tübingen, der das Taubheitsgen Otoferlin und die Schwerhörigkeit im Alter erforscht. Genauso übrigens wie Régis Nouvian und Tobias Moser (6.) von der Molekularen Hirnphysiologie an der Göttinger Uniklinik, die einen Artikel über Otoferlin unter den zehn meistzitierten platzierten.

Und schließlich gibt es Mischungen aus mehreren Fachrichtungen, wie etwa bei der Gruppe um Marlies Knipper (4.) vom Tübinger Hörforschungszentrum, die Physiologie und epigenetische Faktoren der verschiedenen Innenohr-Entwicklungsphasen untersucht. Oder die Rhinitis-Forscher Friedrich Horak (10.) und Siegfried Jäger vom Allgemeinen Krankenhaus Wien, die sich in der HNO-Kunde ebenso zu Hause fühlen wie in der Immunologie. Ein Zugehörigkeitsgefühl, das offenbar auch die Community teilt. Sie zitierte Horaks und Jägers Studie zu einer Immuntherapie gegen Rhinitis so ausführlich, dass der Artikel es auf Platz 2 der meistzitierten schaffte. Bei manchem HNO-Forscher ergeben sich aus der Nähe zu den Sinnesrezeptoren oft auch gemeinsame Projekte mit Dermatologen, wie etwa bei dem Allergologen Thomas Hoffmann (5.), Oropharynxkarzinom-Experte und Vize-Direktor der Essener HNO-Klinik.

Ballung in Süddeutschland

So breit gefächert die Ursachen für Hör-, Riech- und Schmeckschwächen sind – organisch, genetisch, neurologisch oder auch physiologisch –, so vielfältig sind die Disziplinen, aus denen sich Oto-rhinolaryngologen rekrutieren. Doch bei aller Bandbreite bleiben die HNO-Kundler aus Deutschland praktisch unter sich. Einziger Österreicher ist Horak.

Unter den deutschen HNOlern fallen besonders zwei Städte auf, die jeweils fünf der Top 50 stellen: die HNO-Klinik Erlangen-Nürnberg und Tübingen mit Wissenschaftlern aus Otorhinolaryngologie und dem angegliederten Hörforschungszentrum, die erst im Januar mit der durchaus überraschenden Erkenntnis aufwarteten, dass ein Viagra ähnlicher Stoff die Sinneszellen im Ohr vor Lärmschäden schützt (Nat Med 2012, 18(2):252-9). Auf dass niemandem Hören und Riechen oder gar der Spaß daran vergehe.



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Letzte Änderungen: 07.10.2012