Editorial

Abgrenz-Konflikte

Publikationsanalyse 2006-2009: Anatomie
von Lara Winckler, Laborjournal 07-08/2012


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Foto: julien tromeur/Fotolia

Die Anatomie wurde 2006 bis 2009 von den Neurowissenschaften beherrscht. Hotspots waren – und sind – Frankfurt, München und Zürich.

Die Anatomie – die Lehre vom Aufbau der Organismen – lebt vom Auf- und Kleinschneiden. Anatomen interessieren sich für Lage, Aussehen und Aufbau von Körperteilen bis hinunter auf die Molekülebene sowie für deren krankhafte Veränderungen. Die Anatomie ist damit prädestiniert für die Vermischung mit zahlreichen anderen Disziplinen, wie auch Annals of Anatomy, die Zeitschrift der Anatomischen Gesellschaft, deutlich macht: Molekular-, Zell- und Reproduktionsbiologie ebenso wie Immun-, Entwicklungs- und Neurobiologie; außerdem Neuroanatomie und -immunologie, klinische und vergleichende Anatomie samt Histologie und neuerdings Embryologie sowie Alterns- und Altersforschung.

Die Grenzen zu anderen Disziplinen verschwimmen oft fast bis zur Unkenntlichkeit, weshalb wir uns in dieser Publikationsanalyse darauf beschränken, gelernte Anatomen bzw. an Anatomischen Instituten Beschäftigte aufzulisten. Von diesen haben sich in den Jahren 2006-2009 auffallend viele auf die Neurowissenschaften spezialisiert oder bearbeiteten Neuro-Projekte – darunter gut die Hälfte der 50 bis heute meistzitierten Anatomen im deutschsprachigen Raum. Gehirn und Nervensystem sind offenbar hinreichend unerforscht, um immer neue Forschergenerationen in ihren Bann zu ziehen – und stetig feinere Analysemethoden und höher auflösende Mikroskope tragen ihren Teil ebenso dazu bei.

Vor allem Gehirn

Doch trotz all der neumodischen Techniken und Methoden findet sich auch in der Neuroanatomie noch die „klassische“ Methode des Zergliederns. Heiko Braak (4.) und Kelly Del Tredici-Braak (12.) schwören darauf. Sie fertigen – wie sie selbst zugeben sehr zeitaufwändige – Serienschnitte durch ganze Gehirne an, mit denen Braak seinerzeit die Hirnveränderungen bei Alzheimer und Parkinson klassifizierte und die sechs Braak-Stadien definierte (siehe auch LJ 10/2011, S. 25). Eine Methode, die auch weiterhin die Anerkennung der Community findet – ein Artikel des Ehepaars über die neurofibrilläre Pathologie bei Alzheimer brachten die Kollegen auf Platz 3 der bis heute meistzitierten Artikel aus den Jahren 2006-2009.

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Andere arbeiten an Hirnmodellen in 3D, wie Katrin Amunts (2.), Psychiatrie der RWTH Aachen und Direktorin am Institut für Neurowissenschaften und Medizin (INM) am Forschungszentrum Jülich, die sich auf Sprache und visuelle Verarbeitung spezialisiert hat. Weitere Projekte drehen sich um Interaktionen zwischen Nerven- und Immunsystem sowie die strukturelle Reorganisation nach Gehirnverletzungen – Thema etwa von Robert Nitsch (5.), seit 2009 Professor für Mikroskopische Anatomie an der Uni Mainz. Zum Thema molekulare Mechanismen von Lernen und Gedächtnis finden sich ebenfalls Anatomen, etwa Hippocampus-Experte Michael Frotscher (6.), seit 2011 Direktor des Institut für Strukturelle Neurobiologie am Uniklinikum Hamburg-Eppendorf, wie auch für die Rolle des Hippocampus bei der Kontrolle von Verhalten, Spezialgebiet der Zürcher Anatomen Hans-Peter Lipp (11.) und David Wolfer (13.).

Ungeachtet der Übermacht des Gehirns erfreuten sich auch andere Organe und Gewebe der Aufmerksamkeit der Anatomen. So untersucht Felix Eckstein (3.), Direktor der Anatomie an der Paracelsus Medizinischen Privatuniversität Salzburg, per MRT Morphologie, Funktion und Krankheiten des Bewegungsapparates, speziell Osteoarthritis und Osteoporose. 2003 beschloss Eckstein, die Bildanalyse von Gelenkknorpel zu Geld zu machen und gründete zusammen mit Reinhard Putz die Chondrometrics GmbH als Spin-off der LMU München.

Einige Anatomen verknüpften „ihr“ Organ mit der Neurobiologie – wie im Fall von Wolfgang Kummer (9.), Direktor der Gießener Anatomie, die Kontrolle von Herz und Lunge durch autonomes und sensorisches Nervensystem. Wieder andere betreiben molekularbiologische Anatomie, wie Beat Schwaller (21.), der an der Fribourger Anatomie Ca2+-Homöostase und Signalübermittlung durch Ca2+-bindende Proteine untersucht. Oder wie der Würzburger Anatom Detlev Drenckhahn (25.), der die Funktionen von Bestandteilen des Zytoskeletts erforscht.

Und auch die Krebsforscher haben ihre Nische in der Anatomie gefunden, etwa der Kieler Rolf Mentlein (40.) oder Gisela Keller (35.) von der Pathologischen Anatomie an der TU München.

Obwohl in der Mediziner-Ausbildung unabdingbares Handwerkszeug, ist die Anatomie in der Forschung aufgrund ihrer Zerfaserung kaum mehr als eigenständige Disziplin auszumachen. Herzspezialisten messen sich nun mal nicht mit Knorpelforschern, sondern mit Kardiologen. Genauso ist dieser Vergleich daher zu betrachten: als reine Auflistung.



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Letzte Änderungen: 26.09.2012