Editorial

Darwins Erben

Zitationsvergleich 2000 bis 2003: Evolutionsbiologen
von Lara Winckler, Laborjournal 05/2006


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Seit Darwin bei einem Teller Schildkröten-Suppe die ersten Ansätze seiner Evolutionstheorie entwickelte, hat sich einiges getan in der Evolutionsforschung. Heute wird das Feld von Mikrobiologen und Bioinformatikern beherrscht, die Evolution wird auf DNA-Ebene durchleuchtet.

Seit Darwin vor 150 Jahren die Evolutionstheorie formulierte, hat sich die Evolutionsforschung stark gewandelt. Heute streiten sich die Forscher nicht mehr nur über gemeinsame Vorfahren von Mensch und Schimpanse; heute geht es darum, die Evolution auf allen Ebenen der Lebenswissenschaften zu untersuchen. Manche Wissenschaftler gehen dabei so weit, den Artbegriff an sich in Frage zu stellen. Führt man etwa Darwins Vorstellung des kontinuierlichen Wandels einer Art in eine andere als Folge von Anpassungen an den Lebensraum zu Ende, hebt man damit die Trennung zwischen den Arten auf. Ernst Mayr, der Evolutionsforscher des 20. Jahrhunderts, entwicklete in den 40er Jahren das"Biologische Artenkonzept", das eine Art als Fortpflanzungsgemeinschaft begreift. Auch als"Synthetische Evolutionstheorie" bekannt, ist dieses Konzept eine Vereinigung der Darwinschen Evolutionstheorie mit den Erkenntnissen der Zellforschung, Genetik und Populationsbiologie. Darauf baut die moderne Evolutionsbiologie auf.


Affen und Mikroben

Unter den Evolutionsbiologen im deutschsprachigen Raum fallen drei große Parteien auf: Zum einen sind da die"klassischen" Evolutionsforscher, die sich weiterhin mit dem Vergleich Mensch-Schimpanse beschäftigen, allerdings auf Genom-Ebene. Zu ihnen zählen Svante Pääbo (9.), Leiter der Genetik am MPI für Evolutionäre Anthropologie (MPI-EvA) Leipzig, und seine Mitarbeiter Henrik Kaessmann (41.), Wolfgang Enard (37.) und Arndt von Haeseler (26.).

Axel Meyer (12.) vom Lehrstuhl für Zoologie und Evolutionsbiologie der Uni Konstanz ist ebenfalls Evolutionsgenetiker. Er untersucht die evolutionäre Konservierung regulatorischer Elemente in Wirbeltier-Hox-Genen sowie die Beschleunigung von Evolutionsraten durch Genduplikationen und die funktionelle Divergenz von einst duplizierten Genen.

Die Bioinformatiker unter den Evolutionsbiologen stellen die zweite große Gruppe in diesem Ranking dar. Sie betrachten mittels funktioneller Genom-Analyse das gesamte Geschehen in Zellen, auf allen Ebenen - RNA, DNA, Proteine etc. - und vergleichen es mit anderen Organismen. Dank vielzitierter Artikel über die Genome von Mensch und Maus tummeln sie sich auf den ersten sechs Plätzen.

Peer Bork (1.) von EMBL Heidelberg und Max-Delbrück-Centrum (MDC) Berlin hat die höchste bisher in einem LJ-Zitationsvergleich erreichte Zahl von Zitierungen vorzuweisen, und auch seine Mitarbeiter stehen nicht schlecht da: Richard R. Copley (2.) betreibt seit 2003 in Oxford Sequenzanalysen, Jörg Schultz (3.) an der Bioinformatik Würzburg. Tobias Doerks (4.), Evgeny Zdobnov (5.) und Ivica Letunic (6.) sind am EMBL in Heidelberg geblieben.

Und schließlich gibt es noch die Mikro-Evolutionsbiologen, die sich etwa mit der Entstehung genetischer Diversität bei den unterschiedlichen Bakterienpopulationen beschäftigen, allen voran Rudolf Amann (7.) von der Molekularen Ökologie am MPI für Marine Mikrobiologie in Bremen und Michael Wagner (8.), inzwischen an der Mikrobiologie an der TU München - beides"Schüler" des Münchner Mikrobiologen Karl Heinz Schleifer. Wagner und seine Mitarbeiter untersuchen die Entstehung phylogenetischer Diversität zwischen geographisch getrennten Mikroben, bei der auch ökologische Faktoren eine wichtige Rolle spielen. Amann und sein Team konzentrieren sich dabei auf marine Mikroben, untersuchen etwa Schwankungen in der Zusammensetzung von Bakterienpopulationen bei Veränderungen der wässrigen Umwelt.

Diese enge Verbindung zwischen Evolution, also der phylogenetischen Veränderung der Organismen, und Umweltfaktoren hat in vielen Ländern zum Zusammenschluss dieser beiden Fachgebiete in eigenen Institute geführt; nur Deutschland verschließt sich weiterhin gegen diese Erkenntnis.

In Österreich und der Schweiz jedoch existieren schon seit einiger Zeit Institutes for Ecology and Evolution. An der ETH Zürich etwa untersucht Paul Schmid-Hempel (30.) ökologische Faktoren in der Entomologie, wie die Entstehung der Immunabwehr bei Insekten.

Zwei Einzelkämpfer finden sich im Vergleich: Der Hamburg Mathematiker Hans-Jürgen Bandelt (15.) erforscht die Variationen mitochondrialer DNA und sucht nach geographischen Mustern in unterschiedlichen (menschlichen) Populationen. Jan Klein (21.) von der Immungenetik am MPI für Biologie Tübingen untersucht die Evolution der Haupthistokompatibilitätskomplexe (MHC) und deren Konvergenz zwischen Organismen wie Mensch und Primaten.


Wer ist dabei?

Da die Lebenswissenschaften in vielerlei Hinsicht Phänomene untersuchen, die Ursache oder Wirkung von Evolutionsprozessen sind, tragen auch die meisten biologischen Teildisziplinen Erkenntnisse bei, die im Rahmen von Evolutionstheorien gedeutet werden können - wie etwa die Morphologie, Zell- und Immunbiologie und auch die Mikrobiologie. Doch ist nicht jeder Wissenschaftler, der sich im Rahmen seiner Arbeit auch mal kurz Gedanken über die stammesgeschichtliche Herkunft seines Moleküls, Organismus' etc. macht, gleich ein Evolutionsbiologe.


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Letzte Änderungen: 08.06.2006