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Zitationsvergleich 1999 bis 2001: Molekularbiologie (Molekulargenetik)
von Ralf Neumann, Laborjournal 4/2004


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Editorial
Auch wenn man eine enge Definition anlegt, wird die Molekularbiologie weiterhin stark überdurchschnittlich zitiert.

Die Molekularbiologie als Disziplin zu erfassen ist gar nicht so einfach. Schließlich drängte sie durch ihren enormen methodischen Siegeszug innerhalb der letzten 50 Jahre in nahezu jede andere biologische oder biomedizinische Disziplin hinein. Was heute unter anderem vielfach durch das vorgestellte Adjektiv "Molekular" angezeigt wird: Molekulare Neurobiologie, Molekulare Ökologie, Molekulare Zellbiologie,... Das ureigene Profil der Molekularbiologie musste dadurch jedoch zwangsläufig verwässern.


RNA und Ribosomen,...

Biologiehistoriker wie Robert Olby unterscheiden daher eine "weite" Definition der Molekularbiologie von einer "engen". Die "weite" Definition sieht die Molekularbiologie ganz allgemein als Disziplin von der Struktur und der Funktion biologischer Makromoleküle. Die "enge" Definition fasste der Berliner Wissenschaftshistoriker Hans-Jörg Rheinberger 1995 in seiner Kurzen Geschichte der Molekularbiologie als "Erforschung des genetischen Informationsflusses und seiner molekularen Details" zusammen. Und er schreibt darin weiter: "In diesem Zusammenhang wird heute oft auch der Ausdruck ‘molekulare Genetik’ verwendet... Man kann sagen, dass die Molekularbiologie in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts gewissermaßen in einen Doppelstatus hineingewachsen ist: als Spezialdisziplin (molekulare Genetik) im Rahmen der übrigen biologischen Disziplinen, und als allgemeines, die ganze Biologie durchziehendes experimentelles und theoretisches Paradigma (molekulare Biologie)."
Editorial

Ein Zitationsvergleich "Molekularbiologie (Molekulargenetik)" kann nur die enge Definition verwenden, um nicht rettungslos Äpfel mit Birnen zu vergleichen. Gefragt waren also Forscherinnen und Forscher, die Phänomene bearbeiten wie Replikation, Spleißen oder allgemeine Genexpression. Die etwa Struktur und Funktionsweise von Chromosomen oder Ribosomen untersuchen. Oder die beispielsweise Vorgänge wie RNA-Transport durch die Kernmembran oder Chromosomensegregation erforschen.

Die aktuell "Zitationsstarken" Themen der Molekularbiologie sind bei einem Blick in die Listen schnell identifiziert. Die zehn meistzitierten Paper der Jahre 1999-2001 mit Beteiligung aus dem deutschen Sprachraum verteilen sich grob wie folgt: Viermal RNA-Interferenz, viermal Chromatinstruktur und Epigenetik, sowie zweimal Ribosomenstruktur.

Wobei ein Paper mit einem Riesenabstand über allen thront: Das Nature-Paper rund um den damaligen Göttinger Thomas Tuschl zur RNA-Interferenz in kultivierten Säugerzellen. Mit bald 1000 Zitierungen dürfte es zu den meistzitierten Artikeln seit Beginn des 3. Jahrtausends überhaupt zählen. Für diesen Vergleich umso bemerkenswerter, da es mit Mai 2001 erst gegen Ende unseres Bewertungfensters herauskam.

Tuschl brachte zudem noch weitere Zitations-"Blockbuster" zum gleichen Thema - teilweise mit seiner damaligen Gruppe am Göttinger MPI für biophysikalische Chemie - auf die Plätze 3, 6 und 10 unseres Vergleichs. Kein Wunder, dass er daher auch auf Platz 1 unsere "Köpfe"-Liste auftaucht. Aber mit welcher Quote? 2.400 Zitierungen mit "nur" acht Artikeln. Macht 300 Zitate pro Artikel. Schafft das eigentlich noch sonst wer?


...Epigenetik und Kerntransport

Umso ärgerlicher daher, dass "Tom" Tuschl heute als schmerzliches Paradebeispiel für den "Brain Drain" erfolgreicher deutscher Nachwuchsforscher in die USA gilt. Obwohl er am Ende ein Angebot der Max-Planck-Gesellschaft hatte, ging der heute 37-Jährige im letzten Jahr an die Rockefeller University in New York. Was wurde da gejammert.

Doch zurück zu unserem Vergleich: Klar, dass Tuschls Mitarbeiter Winfried Lendeckel, Sayda Elbashir und Jens Harborth sich als Koautoren ebenfalls weit vorne auf den Plätzen 3, 4 und 9 platzieren konnten.

Während neben Tuschl und Co. nur noch Reinhard Lührmann (10.) als weiterer RNA-Forscher in der 50er-Liste auftaucht, verteilt sich das Thema "Ribosomenstruktur" auf insgesamt drei Orte: die Max-Planck-Forschungseinheit für Ribosomenstruktur in Hamburg unter Leitung der Israelin Ada Yonath (22.); die "AG Ribosomen" am Berliner MPI für molekulare Genetik; sowie den ehemaligen Göttinger Genomiker Thomas Hartsch (25.), der mittlerweile bei der Bioinformatik-Firma Genedata in Basel arbeitet.

Noch mehr Köpfe und Gruppen repräsentieren das Thema "Chromatinstruktur und Epigenetik" innerhalb der Top 50. Am weitesten vorne die drei Gruppen vom Wiener Institut für Molekulare Pathologie (IMP) um Kim Nasmyth (2.), Thomas Jenuwein (6.) und Jan-Michael Peters (14.), sowie das Team um den Ex-EMBL-Forscher Peter Becker von der Uni München (12.). Das Wiener IMP brachte auf diese Weise ganze 13 Forscher unter die Top 50.

Doch noch ein weiteres starkes Thema schimmert beim Blick durch die Köpfe-Liste durch, auch wenn dazu kein Paper unter den Top Ten erscheint: Der Transport von RNA und Proteinen durch die Kernmembran: Immerhin vier der 15 Erstplatzierten werden hauptsächlich für dieses Thema zitiert. Und zwar - im Vergleich mit anderen Life Science-Disziplinen - ebenfalls weit überdurchschnittlich.

An zitierstarken Themen scheint es also auch der "engen" Molekularbiologie weiterhin nicht zu mangeln.


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Letzte Änderungen: 08.09.2004