Editorial

Die bühnenaffine Alzheimer-Kapazität

Winfried Köppelle


Rätsel

(24.02.2017) Er ist der Superstar der Demenzforschung – und laut dem Gitarristen einer legendären US-Rockband „der beste Hammond-Orgel-Spieler, den ich je gehört habe“.

Was wäre gewesen, wenn sich die beiden schon 1997 getroffen hätten? Damals war der Gesuchte noch ein unbekannter Associate Professor am Neurologie-Department der Harvard University, der in seiner Freizeit begeistert in die Tasten seiner Hammond-Orgel griff. Okay, nicht ganz unbekannt – immerhin hatte er kurz zuvor zwei Gene mitentdeckt, deren Veränderung den frühzeitigen Ausbruch der Alzheimerkrankheit vorantreiben. Nie im Leben wäre er aber auf die Idee gekommen, er, der kleine Hobby-Keyboarder, könnte als Gastmusiker bei einer der erfolgreichsten Rock-Bands der USA mitwirken. Und doch – hätten sich die beiden schon damals getroffen, der musikalische Neurologe und der notorisch drogensüchtige Toxic Twin an der Lead-Gitarre, dann hätte beim Titelsong des kommerziell erfolgreichsten Films 1998 und gleichzeitig ersten Nummer-eins-Hit dieser für ihre Exzesse und extravaganten Kostümierungen berüchtigten Band womöglich ein leibhaftiger Harvard-Wissenschaftler die Tasten bedient.

Das Treffen fand tatsächlich statt, auch ins Tonstudio gingen die beiden – doch erst ein Jahrzehnt später. In der Zwischenzeit betätigte sich unser Mann in seinem Hauptberuf und stieg vom kleinen Uniprofessor zu einem globalen Star der Forscherszene auf. Wann immer es um Demenzerkrankungen, deren Entstehung, deren Erblichkeit und deren künftige Therapie geht, so fällt inzwischen auch der italienisch-stämmige Name des Gesuchten.

High-Impact-Paper am Fließband

In seiner Studienzeit in New York trat er allabendlich in diversen Musikkneipen auf; doch bereits als 25-jähriger Doktorand schrieb er Wissenschaftsgeschichte: Er war Mitwirkender an der ersten Studie, die genetische Marker zum Auffinden eines Krankheits-verursachenden Gens benutzte. Die daraus resultierenden Publikationen zur Huntington-Krankheit in Nature (1983) und Science (1984) sollten beileibe nicht seine einzigen High-Impact-Paper bleiben. Denn er nutzte die neue Methode umgehend, um weiteren neurodegenerativen Erbkrankheiten auf den Grund zu gehen. Binnen weniger Jahre war auch die genetische Ursache für die familiäre Form der Alzheimer-Krankheit (FAD) gefunden, die bereits in jungen Jahren zu geistigem Verfall führt: das APP-Gen. Und wer kam 1995 den Presenilin-Genen auf die Spur, die ebenfalls für FAD verantwortlich gemacht werden? Genau: ebenfalls er und seine Kollegen.

Die Alzheimer-Krankheit und die Suche nach deren Ursachen treiben unseren „Rock Star of Science“ bis heute um – und die Hoffnung, ein Heilmittel für das Demenzsyndrom zu finden, das seine geliebte Großmutter zu einer paranoid-aggressiven Fremden machte. Und da das Wort „unmöglich“ für einen Amerikaner bekanntermaßen nicht existiert, ist auch die Firma, die dieses Heilmittel einmal herstellen soll, längst gegründet. 2010 schließlich trat unser Gesuchter mit der Hypothese an die Öffentlichkeit, die typischen Amyloid-Ablagerungen im Gehirn von Demenzkranken könnten eine natürliche Immunreaktion auf Infektionen sein; vor kurzem sorgte seine Gruppe in Boston mit einem aus Stammzellen konstruierten, dreidimensionalen Labormodell der Alzheimer-Demenz für Aufsehen.

375 Veröffentlichungen hat er bis heute angehäuft, darunter elf in Nature, vierzehn in Science, fünf in Cell und sieben im New England Journal of Medicine. Dabei ist der Gesuchte, vom Time-Magazin zu einer der hundert einflussreichsten Personen der Welt erklärt, erst 58 Jahre alt. Zusammen mit Johnny Depp ist er übrigens auf dem 2012 erschienen Album der eingangs erwähnten Band zu hören. Wie heißt er?




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Die gesuchte, bühnenaffine Alzheimer-Kapazität ist der amerikanische Neurowissenschaftler Rudolph Tanzi (*1958). Tanzi, tätig in Harvard und am Massachusetts General Hospital, ist einer der weltweit führenden Demenzforscher – unter seinen mehr als 400 Veröffentlichungen finden sich die drei meistzitierten zur Alzheimerschen Krankheit. Seine Arbeitsgruppe beschäftigt sich mit deren genetischen Ursachen, speziell mit denen der familiären Variante (FAD) und den dafür verantwortlichen Genmutationen PSEN1/2 und APP, die er alle drei mitentdeckte. Ferner ist Tanzi an diversen weiteren Projekten beteiligt, die sich mit neurologischen Störungen beschäftigen; hat mehrere Sachbuch-Bestseller zum Thema verfasst und spielt professionell Keyboard und Mundharmonika, gelegentlich auch mit der Rockband Aerosmith und NIH-Direktor Francis Collins.