Editorial

Der kompromisslose Erfinder

Winfried Köppelle


Rätsel

(09.12.2014) Ohne Rücksicht auf Verluste trieb er seine Projekte voran, rottete dabei beinahe die Menschheit aus und erwürgte sich schließlich aus Versehen selbst.

Er inhalierte halogenierte Kohlenwasserstoffe im Selbstversuch und wusch sich öffentlich mit hochgiftigen Bleiverbindungen die Hände – und lobte die Zweckmäßigkeit dieser von ihm erfundenen Substanzen. Seinen Zeitgenossen galt der energische Maschinenbau-Ingenieur als Held; ein umtriebiger Tüftler und Geschäftemacher, der lautstark die von qualmenden Schornsteinen flankierte Schnellstraße ins 20. Jahrhundert vorantrieb. Spätere Generationen sahen in ihm eher den skrupellosen Umweltverpester, der Leid und Tod von Millionen zu verantworten hatte. Sogar einen Nobelpreis verlieh man für die Entdeckung der von ihm verursachten Schäden.

Geboren wurde er – wo sonst? – im Land der unbegrenzten Möglichkeiten, wo man Kaugummi-Magnaten und Zuckerbrause-Hersteller ebenso bewundert wie Waffenhändler und Atomraketenbauer. Sein Großvater war Erfinder (mutmaßlich der Bandsäge), sein Vater ebenso (von fortschrittlichen Fahrzeugbereifungen), und der Sprössling folgte zeitlebens der Familientradition. Nun mag man über endlos im Kreis umlaufende Sägeblätter und luftgefüllte Gummiräder denken, wie man will – jedenfalls bewähren sich diese bis heute. Was der Filius hingegen ausbrütete, vergiftet bis heute unsere Körper.

Erfinder des legalen Nervengifts

Zunächst jedoch, nach seinem Maschinenbaustudium, konstruierte er Registrierkassen. Dann stieg er beim größten Automobilbauer Amerikas ein und machte sich daran, die Achillesferse des Verbrennungsmotors zu beseitigen: das sogenannte „Klopfen“ – die unerwünschte, unkontrollierte Selbstentzündung des Luft-Kraftstoff-Gemischs im Brennraum. Sein als „Anti-Knock-Compound“ gefundener Benzinzusatz war wenige Jahre später in jeder Zapfsäule dieser Welt enthalten, und als Vizepräsident der Herstellerfirma verdiente er an jeder verkauften Gallone mit.

Dass er ein gefährliches, das Gehirn irreparabel schädigendes Nervengift in die Welt gesetzt hatte, störte weder die Zulassungsbehörden noch den Gesuchten. Um die verbleibenden Kritiker zum Schweigen zu bringen, wusch er sich vor versammelter Presse mit seiner Erfindung die Hände und inhalierte anschließend noch eine Minute. „Jeden Tag“ könne er das machen, ohne Gesundheitsprobleme zu bekommen, belog er seine Zuschauer. Eine Schwermetallvergiftung setzte ihn ein Jahr lang außer Gefecht. Sein Teufelszeug, das sich zunehmend in der Nahrungskette anreicherte, wurde in Deutschland übrigens erst 1988 verboten.

Man glaubt es kaum, aber die andere berühmt-berüchtigte Erfindung des Gesuchten, „dazu da, das Glück der Menschheit zu mehren“, sollte diese sogar noch nachhaltiger schädigen: eine neue Familie von Wundergasen – gesundheitsfreundlich, nicht entzündlich, und vor allem: billig herstellbar. Angeblich benötigte er nur drei Tage, um das erste davon zu erfinden. Binnen weniger Jahre ersetzten die neuen Gase als industrielle Kältemittel weit problematischere Verbindungen wie Methylchlorid und Ammoniak, die bis dahin bei Gerätedefekten so manche Familie ausgelöscht hatte. Erst 1974 bröckelte die Legende – und heute wird der Gesuchte als derjenige gesehen, der den Erdball und dessen Bewohner schleichend mit Blei vergiftete und später auch noch die Ozonschicht zerstörte.

Der größte Umweltverschmutzer aller Zeiten nahm ein makabres Ende: Mit 51 Jahren an Kinderlähmung erkrankt und seitdem ans Bett gefesselt, bastelte er sich eine Seilwinden-Konstruktion, mit der er sich ohne fremde Hilfe aus seiner Liegestatt hieven konnte. Doch eines Morgens erschien er nicht zum Frühstück: Er hatte sich in seiner eigenen Erfindung verheddert und zu Tode stranguliert. Wie heißt er?




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Der gesuchte, kompromisslose Erfinder ist der amerikanische Maschinenbauer und Chemiker Thomas Midgley (1889-1944). Dieser erweckte zwei Geister zum Leben, die die Menschheit an den Rand der Ausrottung brachten: 1921 das Antiklopfmittel Tetraethylblei (TEL), das Kraftstoffen zugesetzt den Globus mit giftigem Blei verseuchte, und 1930 die Fluorchlorkohlenwasserstoffe (FCKW), die der Ozonschicht beinahe den Garaus machten. „Menschengemachte Moleküle sind einzig dazu da, das Glück der Menschheit zu mehren“, verkündete er – und belog die Öffentlichkeit vorsätzlich über deren dramatische Folgen. Seine Entwicklungen und Patente machten Midgley schwerreich. Mit 55 Jahren stangulierte sich der inzwischen Körperbehinderte mit seiner letzten Erfindung selbst zu Tode – einer Seilwinde, um selbständig aus dem Bett zu gelangen.