Editorial

Der unglückselige Landarzt

Winfried Köppelle


Rätsel

(06.03.2014) Den Superstar der Naturforschung als erbitterten Gegner und dauernde private Schicksalsschläge – kein Wunder, dass es mit ihm kläglich endete.

Neulich amüsierte sich ein langjähriger Miträtsler, die Briten hätten international die Nase vorne, was seltsame Käuze in Laborkitteln betreffe. Da mag er recht haben. Britische Wissenschaftler ließen sich Tische aus Dinosaurierkot bauen (siehe rechts), schrieben begeisterte Abhandlungen über das Leben von Regenwürmern (Charles Darwin), und pusteten sich Tabakrauch durchs löchrige Trommelfell, wenn sie sich nicht gerade systematisch mit Gasen vergifteten oder in wallenden Gewändern umherliefen (J.B.S. Haldane).

Nun raten Sie mal, welche Nationalität der dieses Mal gesuchte Wissenschaftler besitzt! Aufgewachsen ist er in einem Küstenstädtchen, unweit turmhoher, ins Meer ragender Felsklippen, die aus fossilierten Resten allerlei Urzeitgetiers bestehen. Folgerichtig begeisterte sich unser Mann schon früh für das Sammeln der geologischen Kuriositäten, die sich unter seinen Füßen ausbreiteten. Einmal, so die Legende, sei er, der gefragte Landarzt, auf Hausbesuch gewesen; seine Frau vertrieb sich währenddessen die Zeit mit Spazierengehen. Bei seiner Rückkehr präsentierte sie ihm ihren Zufallsfund: versteinerte Zähne gewaltigen Ausmaßes. In welchem Maul hatten sie einst gesteckt? In dem eines Nashorns, wie ein französischer Star-Anatom vermutete? Oder in dem einer bislang unbekannten Riesenechse, wie unser Arzt vorschlug?

Mysteriöse Zähne vom Riesenrind

Sobald er die Zähne einer genaueren Untersuchung unterzogen und seinen anfänglichen Irrtum erkannt hatte, änderte der Experte aus Frankreich seine Meinung; er und andere berühmte Kollegen unterstützten den hier Gesuchten fortan nach Kräften. Dieser fand derweil weitere Knochen und entwickelte das spekulative Bild einer stummelpfotigen Riesenechse, die – wie man inzwischen weiß – vor 113 Millionen Jahren von der Erde verschwand und heute scherzhaft als das „Rindvieh“ ihrer Zeit tituliert wird. Der Gesuchte hatte als Erster ein Exemplar jener systematischen Einheit von Landwirbeltieren bestimmt, die 170 Millionen Jahre lang die Ökosysteme der Erde dominierte und später zu einer Ikone der Populärkultur wurde.

Sein enormes Forschertalent sollte ihm jedoch kein Glück bringen – im Gegenteil: Unser erfolgreicher Quereinsteiger zog sich den Groll eines chronisch übelgelaunten, prominenten Platzhirsches zu: Die gefundenen Zähne seien von einem Säugetier und somit nichts Besonderes! Unser Mann jedoch war fest davon überzeugt, auf der richtigen Fährte zu sein. Eifrig entdeckte, forschte und publizierte er weiter – und korrigierte nebenbei so manchen Fehler seines eitlen und mächtigen Kollegen. Taktisch klug war auch das nicht, denn dieser legte ihm fortan Steine in den Weg, wo er nur konnte.

Derweil liefen unserem Landarzt die Patienten davon, und weil es ihm peinlich war, Eintritt zu verlangen, schlitterte auch sein Privatmuseum in die Pleite. Die Scheidung von seiner Frau und der Tod seiner Lieblingstochter gaben ihm den Rest: Bankrott, nach einem schweren Verkehrsunfall verkrüppelt und wegen chronischer Schmerzen morphiumsüchtig geworden, starb er an einer medikamentösen Überdosis.

Sein Gegenspieler triumphierte: Als einflussreicher Herausgeber hatte er viele Publikationen seines Kontrahenten verhindert. Außerdem prägte er das Taxon, unter dem bis heute die „Riesenechsen“ klassifiziert wurden, verschwieg aber in den begleitenden Veröffentlichungen die Schlüsselrolle des Rivalen. Nach dessen Ableben verschaffte er sich die deformierte Wirbelsäule des Toten und stellte sie öffentlich zur Schau.

Gesucht ist der Name des unglückseligen Landarztes, dem es zeitlebens an Glück wie an Geld mangelte.




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Der gesuchte, unglückselige Landarzt ist der englische Chirurg und Geologe Gideon Mantell (1790-1852). Er erkannte als erster, dass die sonderbaren Knochenfragmente, die seit Jahrhunderten gefunden wurden, die Reste ausgestorbener Reptilien sind. Mit dem Iguanodon beschrieb Mantell als Erster eine Dinosaurier-Spezies und leistete weitere wertvolle Beiträge zur frühen Paläontologie. Ermutigt vom großen französischen Naturforscher Georges Cuvier und zeitlebens angefeindet vom britischen Star-Forscher Richard Owen machte er sein Hobby zum unbezahlten Halbtagsjob, ging mit seiner Arztpraxis pleite, erlitt psychische wie physische Schicksalsschläge und starb verarmt. Seinem Rivalen Owen blieb es vorbehalten, 1842 den Begriff „Dinosauria“ zu prägen – obwohl er jahrelang Mantell und dessen Theorie von den Urzeitreptilien abgelehnt hatte.