Editorial

Der fossilienhungrige Feinschmecker

Winfried Köppelle


Rätsel

(03.02.2014) Er scherte sich nicht um Konventionen – er verzehrte seltsame Dinge, ließ sich einen Esstisch aus versteinertem Kot anfertigen und hielt skurrile Haustiere.

Erschrocken duckten sich die Hörer hinter ihre Pulte. Was hatte der schräge Kauz jetzt bloß wieder vor? Erst neulich war er während einer Geologievorlesung wild mit den Armen rudernd durch den Hörsaal gehüpft, um seinen Studenten zu verdeutlichen, wie die versteinerten Fußspuren riesiger Vögel einst entstanden sein könnten. Und jetzt rannte er mit wehenden Rockschößen auf sie zu, den riesigen Schädel einer Hyäne in der einen Hand, und brüllte denjenigen, der das Pech hatte, ganz vorne zu sitzen, ungeduldig an: „Was regiert die Welt!?“

Dieser wich schreckensbleich, viel zu verwirrt, um zu antworten, zurück bis zur Rückenlehne. Der erregte Professor stieß den Schädel dem Platznachbarn vors Gesicht und wiederholte die Frage. „Ich... äh ... keine Ahnung...“, wisperte dieser.

„Der Magen!!“, lärmte es da wie Donnerhall, „der Magen regiert die Welt! Die Großen fressen die Kleinen, und die Kleinen die noch Kleineren!“

Fortan platzten die Vorlesungen des als sonderbar verrufenen Mannes aus allen Nähten. Er vermochte Wissenschaft so anschaulich zu vermitteln wie kein anderer.

Mit 17 hatte er in Oxford eine Ausbildung zum Theologen begonnen, jedoch mit Vorliebe naturwissenschaftliche Vorlesungen besucht – und als er acht Jahre später zum Priester ordiniert wurde, hatte ihn längst die Leidenschaft für weltliche Gesteinsformationen gepackt. Zu Pferde erkundete er die britische Insel, wurde sodann Hochschullehrer und galt in der höheren Gesellschaft bald als Exzentriker, der nie ohne seine blaue Sammeltasche aus dem Haus ging. Seine Frau, eine geschätzte Fossilienzeichnerin, war oftmals mit dabei; ihre Hochzeitsreise führte die beiden an diverse europäische Ausgrabungsstätten.

Leckerbissen in skurrilem Ambiente

18 Jahre, ehe sein berühmter Kollege Owen den Begriff „Dinosauria“ prägte, beschrieb er aufgrund von Fossilienfunden die erste „große Eidechse“, und auch sonst sorgten seine Arbeiten schon zu Lebzeiten für großen Wirbel – etwa als er in einer Höhle eine Ansammlung fossiler Knochenreste fand: die Gebeine und Kotreste prähistorischer Raubtiere. Unser Mann untersuchte sie akribisch, doch was er fand, wollte nicht so recht zur damals gängigen Sintfluttheorie passen. Im Laufe der folgenden 15 Jahre konvertierte er daher zu fortschrittlicheren Theorien, etwa der von Charles Lyell, dass die Landschaften einst durch Gletscher und nicht durch biblische Ereignisse geformt wurden. Im gleichen Jahr entdeckte er ein außerordentlich gut erhaltenes Skelett mit ockergefärbten Knochen samt Grabbeigaben. Er identifizierte es zunächst als männlich, beschrieb es dann jedoch fälschlicherweise als das einer „römischen Lady“ mit zweifelhafter Profession. Ohne es zu ahnen, hatte er den ersten fossilen Fund der Gattung Homo überhaupt gemacht.

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Privat hatte es sich unser Sonderling zum Lebensziel gemacht, von jeder Tierart mindestens einmal gekostet zu haben. Es galt als skurrile Ehre, zu einer seiner Dinnerpartys eingeladen zu werden und von den dort gereichten Leckerbissen kosten zu dürfen. Am ekligsten hätten Maulwurf und Schmeißfliege geschmeckt, heißt es. Während solcher Festmähler war man umgeben von seltsamen Tieren, die frei im Haus umherliefen und manchmal aufgegessen wurden, und saß an einem Tisch, dessen Oberfläche aus hochglanzpoliertem, versteinertem Kot bestand.

Sogar nach seinem Tod spielte er seinen Nachkommen noch einen Streich: Just an der von ihm Jahre zuvor persönlich ausgesuchten Grabstelle stießen die Spaten der Bestatter auf einen riesigen Kalksteinblock. Erst nach einer Sprengung gelang es, den Sarg unseres Mannes in dem von ihm so geliebten Element zu versenken. Wie heißt er?




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Der gesuchte, fossilienhungrige Feinschmecker ist der englische Geologe und Paläontologe William Buckland (1784-1856). Buckland war nicht nur ein berüchtigter Exzentriker (siehe Seite 61), sondern veröffentlichte auch vielbeachtete Arbeiten zu Fossilienfunden ausgestorbener Tiere. Anfangs versuchte er, diese mit der biblischen Arche-Noah-Legende in Einklang zu bringen, konvertierte dann jedoch zur plausibleren Gletschertheorie. Berühmt wurde er durch die Erstbeschreibung eines der ersten Dinosaurier (Megalosaurus) sowie die Entdeckung des ersten Fossils eines Individuums der Gattung Homo (die „Red Lady of Paviland“). Buckland war im Gelände grundsätzlich mit Robe, Zylinder und blauer Sammeltasche unterwegs, hielt sich zuhause einen freilaufenden Zoo exotischer Tiere und war zweimal Präsident der Geological Society of London.