Editorial

Der hartnäckige Wegbereiter

Winfried Köppelle


Rätsel

(21.02.2013) In jahrzehntelanger, geduldiger Forschungsarbeit entwickelte er ein lebensrettendes Heilverfahren für Leukämiekranke.

Einen Schneeball ins Gesicht zu bekommen kann eine Schmerzensgeldzahlung auslösen. In unserem Fall war das eiskalte Wurfgeschoss jedoch der Beginn einer 73 Jahre dauernden Beziehung, die mit dem Nobelpreis gekrönt wurde.

Der Schneeball flog im Winter 1939/40 durch die Luft und beendete sein kurzes Dasein im verdutzten Antlitz der hier gesuchten Person. Ort des Geschehens: der Campus der Universität von Austin/Texas. Die Untat wurde umgehend geahndet: Unser Mann nötigte die Übeltäterin zu einem gemeinsamen Spaziergang. Es war der Beginn einer wunderbaren Freundschaft. Bald teilte er mit der attraktiven Dame nicht nur die Wohnung, sondern auch drei Kinder.

Der Gesuchte ist ein echter Hinterwäldler, der Sohn eines Landarztes, dessen Vorfahren einst mit dem Planwagen nach Texas einwanderten. Mit 17 begann er in der Landeshauptstadt Chemieingenieurwesen zu studieren; nach bestandener Abschlussprüfung hängte er ein Medizinstudium dran. Um seinen Lebensunterhalt zu finanzieren, jobbte er auch als Kellner in einem Studentinnen-Wohnheim. Dabei ereignete sich die geschilderte Schneeball-Episode.

Als er mit 23 an die Medical School der vermögendsten Privathochschule der Welt wechselte, wo begabte Minderbegüterte umsonst studieren dürfen, gab seine Gattin ihr Journalistikstudium auf. Sie ließ sich zur Laborantin ausbilden, um ihren Mann zu unterstützen – an der Laborbank, aber auch als Geldbeschafferin und regelmäßige Lektorin seiner Fachartikel. Seite an Seite arbeiteten die beiden fortan, im Laborkittel genauso wie mit Schlips und Halskette. Die fortwährende Hilfe seiner Frau, der „Mutter seines Erfolgs“, sei unbezahlbar gewesen, betonte er immer wieder.

Problem der Gewebeabstoßung

Die Dozenten der erwähnten Bildungseinrichtung weckten sein Interesse an den Themen, die ihn zeitlebens nicht mehr loslassen sollten: das Knochenmark als blutbildendes Organ, dessen Fehlleistungen und deren Behebung. Anfangs an Hunden, später an Menschen erkundete das Paar die Ursachen sowie mögliche Behandlungsstrategien von Leukämien. Sie erprobten erste, primitive Transplantationen und mussten erkennen, dass die Praxis komplizierter war als all ihre schönen Theorien. Speziell an der Graft-versus-Host-Disease – wenn die T-Lymphozyten eines Spenderorgans gegen den Empfängerorganismus rebellieren – biss sich unser Paar die Zähne aus. Jahrelang. Die Abstoßung von Fremdgewebe ist ein fortwährendes Problem, seit der französische Chirurg Alexis Carrel ab 1902 erste Techniken zur Organverpflanzung und Gefäßchirurgie entwickelte. Zwar hatte der australische Immunologe Frank Macfarlane Burnet 1941 in The Production of Antibodies Epochales zur zellulären Immuntoleranz postuliert – etwa ein neuartiges Konzept der „Eigenheit“ und „Fremdheit“. Doch konnte er seine visionären Ansichten experimentell nicht beweisen; dies gelang erst zwölf Jahre später dem Engländer Peter Medawar und dessen Kollegen.

Dass Zellen auf ihrer Oberfläche molekulare Marker tragen, die sie dem Immunsystem als „eigen“ oder „fremd“ anzeigen, war bis in die 1960er Jahre hinein unbekannt – und doch war klar: Transplantationen zwischen genetisch unterschiedlichen Individuen würden knifflig werden. Daher konzentrierte sich unser Mann zunächst auf eineiige Zwillinge – und wagte Mitte der 1950er Jahre die welterste Knochenmark-Transplantation, publiziert 1957 im New England Journal of Medicine. Zwanzig weitere Jahre sollte es dauern, ehe bei Nicht-Verwandten das gleiche gelang.

Wie heißt der Mann, dem Fachkollegen versicherten, er beschäftige sich mit etwas, das nie funktionieren werde und der trotz aller Skepsis schließlich unzählige Leukämie-Patienten heilte, darunter den Star-Tenor Jose Carreras?




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Der gesuchte, hartnäckige Wegbereiter ist der amerikanische Krebsforscher und Arzt Donnall „Don“ Thomas (1920-2012). Dem „Vater der Knochenmarkstransplantation“ gelang Mitte der 1950er Jahre bei eineiigen Zwillingen die weltweit erste derartige Operation; in den folgenden Jahrzehnten dann auch bei genetisch nicht identischen Geschwistern sowie Nicht-Verwandten. Seine Frau Dorothy („Dotty“), eine gelernte Journalistin, arbeitete zeitlebens eng mit ihm zusammen. Thomas ist der Spiritus rector für rund eine Million Knochenmarkstransplantationen, die bis heute durchgeführt wurden. Den ihm 1990 verliehenen Medizin-Nobelpreis (die Hälfte seines Preisgelds spendete er der Krebsforschung) teilte sich Thomas mit seinem Landsmann Joseph Murray, der als Erster erfolgreich eine Niere transplantiert hatte.