Der Schnellalarmierer

Ralf Neumann


Editorial

Rätsel

(06.09.2022) Sequenzvergleiche sind heute selbstverständliche Routine. Unsere Gesuchte erkannte als eine der Ersten deren Wert.

Seit vier Jahren hatte unsere Gesuchte bereits ihren PhD, als sie im Alter von 27 Jahren mit ihrem Ehemann in die US-amerikanische Hauptstadt zog. Dort bekam das Paar zwei Töchter, weswegen die junge Mutter sich für die nächsten sechs Jahre erstmal wieder aus der Forschung zurückzog.

War sie als studierte Mathematikerin in der Zeit ihrer Promotion sowie des ersten Postdocs in Quanten- und Elektrochemie unterwegs, so kehrte sie nach ihrer „Babypause“ Ende der 1950er-Jahre mit einem weiteren Postdoc-Stipendium an der University of Maryland in die Forschung zurück. In der Gruppe eines damaligen Spektroskopie-Pioniers ging es dabei um die Analyse chemischer Bindungen.

Danach hätte es das allerdings schon gut gewesen sein können mit ihrer wissenschaftlichen Karriere. Denn als sie ihren ersten Förderantrag auf ein eigenes biophysikalisches Projekt stellte, erteilte ihr der Fördergeber eine herbe Abfuhr. Den Gutachtern war offenbar ausgerechnet die „Babypause“ der Antragstellerin sauer aufgestoßen. Denn als schlichten Grund für die Ablehnung musste diese lesen, dass sie ja „seit einiger Zeit keinen wirklich engen Kontakt mehr zu diesem komplizierten und sich rasch entwickelnden Gebiet“ gehabt habe.

Editorial

Doch die derart Verprellte hatte das Glück, das die Tüchtigen sich bisweilen einfach verdienen. An einer Universität unweit ihres Arbeitsplatzes war ein Professor für Physiologie, Biophysik und Radiologie schon längst auf sie aufmerksam geworden. Als dieser dann 1960 mit Unterstützung der National Academy of Sciences und des National Re­search Council eine gemeinnützige Organisation für biomedizinische Forschung gründete, stellte er sie kurzerhand ein – und versorgte sie überdies mit einer Professur für Physiologie und Biophysik an seiner Universität.

Doch warum rekrutierte ihr Gönner ausgerechent unsere Gesuchte? Dessen Vision war damals, die gerade aufkommende Computertechnik für die biomedizinische Forschung zu nutzen – und ganz offensichtlich sah er in unserer Gesuchten darin eine Geistesverwandte.

Was wiederum nicht schwer war. Schließlich hatte sie bereits während ihrer Doktorarbeit den Zugang zu einem von IBM betriebenen „Computing Lab“ genutzt, um eine Methode zur automatischen Berechnung der Resonanzenergien von polyzyklischen organischen Molekülen mithilfe von Lochkarten-Maschinen zu entwickeln. Und auch aktuell hatte sie gerade begonnen, in einer Kooperation mit ihrem Spektroskopie-Chef sowie einem Astrophysiker, der später viel Aufsehen mit populärwissenschaftlichen Schriften erregen sollte, Computer-Programme zu schreiben, mit denen man die Gleichgewichts-Konzentrationen von Gasen in den Atmosphären der verschiedenen Planeten kalkulieren konnte. Resultat waren unter anderem Veröffentlichungen in Nature und Science.

Geschuldet war dieses „Nebenprojekt“ ihrem großen Interesse an Fragen zum Ursprung des Lebens. Vor diesem Hintergrund stürzte sie sich auch auf ihr neues Projekt: Proteine. Wiederum hatte sie das Glück, mit einem der leistungsstärksten Computer ihrer Zeit arbeiten zu können – und nutzte ihn, um in echter Pionierarbeit Programme zur Bestimmung von Proteinsequenzen und deren Vergleich zu schreiben. Wobei sie zwischendrin zur „schlankeren“ Handhabung in den Programmen schnell mal den Ein-Buchstaben-Code für die Aminosäuren einführte.

In Rahmen dieser Arbeiten erkannte sie schließlich auch die Möglichkeit, durch Sequenzvergleiche die evolutionären Zusammenhänge von Organismen abzuleiten. Kurzerhand sammelte sie daher alle damals bekannten Proteinsequenzen und stellte sie Mitte der Sechzigerjahre in einem Protein-Atlas zusammen – die erste Sequenz-Datenbank überhaupt, wenn auch damals noch in Buchform. Erst später gab es die stets erweiterten Auflagen auf Magnetband, bevor sie zunächst per Telefon und dann schließlich online abrufbar wurden.

Aber dies war längst noch nicht alles, was die Computer-gestützten Analysen unserer Gesuchten nach und nach über Proteine offenbarten. So erkannte sie etwa die hierarchische Organisation von verwandten Sequenzen – und führte als Resultat das Konzept der Protein-Superfamilie ein. Ebenso enthüllten ihr die Sequenzvergleiche das evolutionäre Prinzip der konservierten Regionen. Und weiterhin fielen ihr interne Duplikationen in einigen Proteinen auf – woraus sie nachfolgend die Hypothese entwickelte, dass funktionelle Proteine einst aus aufeinanderfolgenden Tandem-Duplikationen von kurzen abiotischen Peptiden entstanden sein könnten.

Gegen Ende ihrer Karriere landete sie dann nochmal einen besonderen Clou: Aus Protein- sowie mittlerweile auch DNA-Sequenzen leitete sie einen umfassenden phylogenetischen Baum ab, der die frühe Evolutionsgeschichte abbildete und entscheidend dabei half, den symbiotischen Ursprung der Eukaryoten festzuklopfen.

Kein Wunder, sehen heute angesichts all dessen viele unsere Gesuchte als Begründerin der Bioinformatik an. Sie starb mit nur 57 Jahren an einem Herzinfarkt.

Wie heißt sie?





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Die „Vergleichversteherin“ ist Margaret Oakley Dayhoff, die das große Potenzial von Rechner-gestützten Sequenzvergleichen erkannte – und damit als Begründerin der Bioinformatik gilt..