Editorial

Not macht erfinderisch
Produktübersicht: Produkte für die SARS-Cov-2 Forschung

Produkte für die SARS-Cov-2 Forschung im Überblickpdficon

(08.02.2021) Um den Kampf mit SARS-CoV-2 auf Augenhöhe zu führen, müssen Forscher so viel Wissen wie möglich über das Virus erlangen. Zahlreiche, eigens für die SARS-CoV-2-Forschung entwickelte Produkte unterstützen sie dabei.

Seit etwas mehr als einem Jahr hält SARS-CoV-2 die Welt in Atem: Ein winziges RNA-Virus, dessen knapp 30.000 Nukleotide lange RNA kaum mehr als zwei dutzend Proteine codiert, tötet in dieser Zeit fast zwei Millionen Menschen, bringt Gesundheitssysteme und Intensivstationen an ihre Kapazitätsgrenzen, bremst ganze Volkswirtschaften aus, lässt ratlose Politiker und andere Entscheidungsträger um Jahre altern und zwingt die halbe Menschheit in die Knie.

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Ob wie hier zu sehen mit einem Nanoporen-Sequenzierer oder mit anderen Geräten: Wenn man das Katz-und-Maus-Spiel mit SARS-CoV-2 gewinnen will, muss man mehr sequenzieren. Foto: Johns Hopkins APL

Nach der ersten Schockstarre reagierte die Biotechindustrie sehr schnell mit einer Flut von Produkten, die Biowissenschaftlern bei der Erforschung von SARS-CoV-2 helfen soll. Von der kleinsten Start-up-Klitsche bis zum Biotech-Giganten verschoben so gut wie alle Unternehmen, die bereits vor der SARS-CoV-2-Pandemie in Virus-Forschung und -Diagnostik oder verwandten Feldern unterwegs waren, ihren Schwerpunkt in Richtung SARS-CoV-2. Natürlich taten sie dies nicht nur aus reiner Menschenfreundlichkeit: Mit SARS-CoV-2-Forschungsprodukten lässt sich auch jede Menge Geld verdienen – und es winken großzügige staatliche Finanzspritzen, von denen insbesondere kleine Start-ups profitieren können.

Am Anfang der Pandemie konzentrierten sich viele Firmen auf die klassische Diagnostik von RNA-Viren mithilfe der RT-qPCR. Kaum wurde die RNA-Sequenz von SARS-CoV-2 am 10. Januar 2020 veröffentlicht, machten sich Oligo-Spezialisten wie TIB Molbiol aus Berlin ans Werk und synthetisierten die ersten PCR-Primer gegen vielversprechende Ziele des SARS-CoV-2-Genoms wie E-, RdRP- und N-Gen. Nur kurze Zeit später kamen Hersteller von RNA-Extraktions-Kits, Reverse-Transkriptase-PCR-Kits sowie qPCR-Kits aus den Startlöchern und passten den Inhalt ihrer Pappschachteln und Vials an die Spezifika von SARS-CoV-2 an. Obwohl die Firmen die Produktion der Kits mitsamt benötigten Puffern und Reagenzien bis zum Anschlag ausweiteten, reichten die Kapazitäten schon bald nicht mehr aus, um den immensen weltweiten Bedarf auch nur annähernd zu decken.

Auf der Suche nach Alternativen erinnerten sich einige Molekularbiologen an die schon in den Neunzigerjahren entwickelten, aber seither im Dornröschenschlaf gelegenen isothermalen Amplifikationsverfahren – allen voran die Loop-Mediated Isothermal Amplification (LAMP). Diese benötigt zwar bis zu einem halben dutzend Primer. Dafür vervielfältigt sie die Nukleinsäure mithilfe einer Strangverdrängenden Polymerase bei konstanter Temperatur, wodurch der teure qPCR-Cycler wegfällt. Das war natürlich ein gefundenes Fressen für Firmen wie New England Biolabs, deren LAMP-Polymerasen lange Zeit nur von wenigen Spezialisten genutzt wurden. Inzwischen dürfte sich ihr Umsatz aber sehr erfreulich entwickelt haben, wenngleich die RT-LAMP-basierte SARS-CoV-2 Diagnostik noch immer ein Schattendasein gegenüber der allmächtigen RT-qPCR-Diagnostik führt.

Der RT-LAMP-Nachweis von SARS-CoV-2 ist aber noch längst nicht ausgereizt und wird von etlichen Gruppen weiter optimiert – wobei teilweise erstaunliche Allianzen entstehen. So hat sich zum Beispiel der Experte für circadiane Rhythmen und Nobelpreisträger Michael Rosbash von der Brandeis University in Waltham, USA, mit Stanley Perlman verbündet, der an der University of Iowa die Pathogenese von Coronaviren-Infektionen in Mäusen untersucht.

Das Duo verbesserte nicht nur die Visualisierung des RT-LAMP-Testergebnisses durch den neuen pH-Farbstoff LAMPShade Violett, der deutlich kontrastreicher ist als klassische Farbstoffe wie Phenolrot. Perlman und Rosbash fanden auch einen Weg, mit dem sie RT-LAMP-taugliche RNA schnell, günstig und reproduzierbar aus Speichelproben extrahieren können (medRxiv doi: https://doi.org/10.1101/2020.12.26.20248880).

RNA aus Speichel

Aufgrund der großen Heterogenität von Speichel ist es alles andere als einfach, aus Speichelproben brauchbare RNA zu gewinnen. Die beiden Amerikaner nutzen hierzu jedoch einen einfachen Trick: Sie inaktivieren die Speichelproben zunächst bei 65 Grad Celsius und fügen anschließend magnetische Silika-Beads in einem optimierten RNA-Extraktionspuffer hinzu. Um zu verhindern, dass nicht der ganze Sabber, sondern nur die RNA an den Beads hängen bleibt, immobilisieren sie diese an kleinen Magnetstäben und waschen sie gründlich mit Wasser. Anschließend eluieren sie die Beads direkt in Reaktionsgefäße, die die LAMP-Reagenzien enthalten.

Nach Perlman und Rosbash liegt das Detektionslimit ihres auf 386-Well-Platten übertragbaren StickLAMP-Protokolls bei knapp vier Virenkopien pro Mikroliter in einer 200-Mikroliter Speichelprobe. Der Test dauert ungefähr eine Stunde, die Kosten pro Probe sind mit fünf Dollar überschaubar.

Rosbash ist aber nicht der einzige Nobelpreisträger, der derzeit versucht, saubere RNA für SARS-CoV-2-Tests aus Speichelproben zu extrahieren. Auch Jennifer Doudna werkelte mit ihren Kollegen vom Innovative Genomics Institute (IGI) der University of California, Berkeley, an einem SARS-CoV-2-Test, der mit Speichelproben funktioniert. Ihr sogenanntes IGI-Free Asymptomatic Saliva Testing (IGI-FAST)-Verfahren basiert auf einer automatisierten RT-qPCR. Doudnas Gruppe testete IGI-FAST an mehr als 10.000 Speichelproben von Angehörigen des Berkeley Campus, die diese selbst entnommen hatten. Die RNA-Isolierung aus Speichel bereitete auch den kalifornischen Forschern zunächst erhebliche Probleme. Letztendlich brachten sie das Protokoll aber zum Laufen und erreichten mit dem Hochdurchsatz-Test ein stabiles Detektionslimit von 3.000 RNA-Kopien pro Milliliter (medRxiv doi: https://doi.org/10.1101/2021.01.10.21249151).

Mehr Vorlaufzeit

Bis die ersten poly- und monoklonalen Antikörper gegen ausgesuchte Epitope von SARS-CoV-2-Proteinen angeboten wurden, die zum Beispiel für ELISAs oder andere Immunoassays eingesetzt werden, dauerte es naturgemäß etwas länger. Auch die rekombinante Expression von SARS-CoV-2-Proteinen benötigte etwas mehr Vorlaufzeit als die einfache Adaption von qPCR- oder LAMP- Assays an SARS-CoV-2. Inzwischen haben jedoch zahlreiche Firmen rekombinante Varianten der wichtigsten SARS-CoV-2-Proteine in ihr Produkt-Portfolio aufgenommen, die sie in den gängigen Expressions-Systemen herstellen, wie zum Beispiel CHO- oder HEK-Zellen. Die Zahl der essenziellen Struktur- und NichtStrukturproteine (NSPs) von SARS-CoV-2 ist im Grunde auch sehr überschaubar. Etwa zwei Drittel des Genoms bestehen aus dem Replikase-Gen am 5`-Ende, das in die zwei überlappenden offenen Leserahmen ORF1a und ORF1b unterteilt ist. Die von diesen exprimierten Polyproteine 1a und 1b werden zu 16 NSPs prozessiert, die das Virus für die Replikation und Transkription des Genoms benötigt. Die Strukturproteine Spike-, Envelope-, Membrane- und Nucleocapsid-Protein, die für den Aufbau der Virushülle verantwortlich sind, werden hingegen von den am 3`-Ende aufgereihten Genen S, E, M und N codiert. Hinzu kommen noch sechs weitere, weniger gut charakterisierte Proteine.

SARS-CoV-2 mutiert mit einer Mutationsrate von etwa 1,1x10-3 Nukleotid-Substitutionen pro Stelle und Jahr, das entspricht einem Austausch jeden elften Tag (Science 371: 464-5). Der größte Teil dieser Mutationen verändert die Fitness des Virus und seine Anpassung an den Wirt weder positiv noch negativ. Mittlerweile tauchen jedoch vermehrt Varianten auf, die bei Epidemiologen und Immunologen die Alarmglocken klingeln lassen. Zu diesen zählen insbesondere die Abstammungslinien B.1.1.7, B.1.351 sowie P.1 (B.1.1.28-Abkömmling), die Forscher zuerst in England (B.1.1.7), Südafrika (B.1.351) und Brasilien (P.1) entdeckten. Typisch für diese sind mehrere Punktmutationen im Spike-Protein des Virus, kombiniert mit einer Deletion im offenen Leserahmen 1b.

Sehr auffällig ist zum Beispiel die Punktmutation N501Y in der Rezeptorbinde-Domäne (RBD) des Spike-Proteins, die in allen drei Linien zu finden ist. SARS-CoV-2 entert die Wirtszelle, indem es mit der Rezeptorbinde-Domäne des Spike-Proteins an den Zellrezeptor ACE2 andockt. Virologen befürchten deshalb, dass Mutationen in der RBD den Eintritt des Virus in die Zelle erleichtern und seine Übertragungsrate erhöhen könnten. Gleichzeitig steigt mit ihnen die Gefahr für sogenannte Escape-Mutanten. Diese Flucht-Mutanten könnten Antikörpern entgehen, die der Körper nach einer durchgemachten Infektion oder Impfung gebildet hat. Die Folge wären vermehrte Reinfektionen nach bereits überstandener Krankheit beziehungsweise eine abnehmende Effektivität von Impfstoffen.

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Spucken für die Wissenschaft. Jennifer Doudnas Gruppe in Berkeley etablierte einen automatisierten SARS-CoV-2-Test, der auch mit Speichelproben funktioniert. Foto: Spencer Diamond

Blamable Vorstellung

Um dieses Worst-Case-Szenario zu verhindern, versuchen Virologen und Bioinformatiker die Evolution des Virus möglichst genau im Blick zu behalten, indem sie das Virus-Genom so oft wie möglich sequenzieren. Vorreiter ist hier das britische COVID-19 Genomics UK Consortium, das bisher über 200.000 der gut 400.000 in der GISAID-Datenbank gesammelten SARS-CoV-2-Sequenzen lieferte. Kaum ins Gewicht fallen dagegen die etwas mehr als 2.000 Sequenzen, die bis Januar 2021 von deutschen Forschern eingestellt wurden.

Wie blamabel Deutschland bei der Sequenzierung von SARS-CoV-2 im internationalen Vergleich dasteht, kann man sehr schön in einer Kurzmitteilung des Japaners Yuki Furuse im International Journal of Infectious Diseases nachlesen (103: 305-7). Richtig weh tut eine Grafik, in der Furuse die Zahl der SARS-CoV-2-Sequenzierungen pro COVID-19-Fall für 50 Länder darstellt. Dass das Vereinigte Königreich, Island, Neuseeland, Australien oder die Demokratische Republik Kongo hier meilenweit vor Deutschland liegen, ist nicht besonders überraschend. Dass aber auch Länder wie Panama, Bangladesch oder Südafrika kaum schlechter oder sogar besser abschneiden, ist schon sehr ernüchternd.

Um die Sequenzierung voranzutreiben, hat das Bundesministerium für Gesundheit deshalb am 19. Januar 2021 die Coronavirus-Surveillanceverordnung (CorSurV) in Kraft gesetzt. Mit 220 Euro, die Labore pro Sequenzierung vergütet bekommen, will Jens Spahn sie dazu bringen, mehr zu sequenzieren. 200 Millionen Euro sollen hierfür insgesamt zur Verfügung gestellt werden.

Von diesem Geldsegen dürften nicht nur die Hersteller von NGS-Sequenzierern profitieren. Auch die Produzenten von SARS-CoV-2-Sequenzier-Kits, die sich zum Teil schon mächtig ins Zeug gelegt haben, werden sich darüber freuen. So hat zum Beispiel die auf Click-Chemie-basierte Labelling- und Sequenzier-Kits spezialisierte Firma Baselick, ein neuartiges Kit für die Herstellung von Bibliotheken für die LongRead-Sequenzierung von SARS-CoV-2 herausgebracht.

Statt vieler kurzer Fragmente, wie für die weitverbreitete ShortRead-Sequenzierung mit Illumina-Geräten, produziert dieses Kit nur drei Fragmente, auf denen die codierenden Gene für Spike-, Envelope-, Membrane- sowie Nucleocapsid-Protein enthalten sind. Die LongRead-Sequenzierung der überlappenden Abschnitte liefert sehr genaue Sequenzen und ist deshalb insbesondere für das Mutanten-Screening geeignet.

Die hohe Sequenzier-Genauigkeit gilt aber offensichtlich nur, wenn das Kit für die Sequenzierung auf den knapp 500.000 Euro teuren Sequell-Geräten von PacBio eingesetzt wird. Mit den weitaus günstigeren und auch viel weiter verbreiteten Nanoporen-Sequenzierern MinION und GridION von Oxford Nanopore Technologies funktioniert das Kit zwar auch, wenn man die entsprechenden Adapter verwendet. Baseclicks CEO Thomas Frischmuth weist aber auf Nachfrage von Laborjournal darauf hin, dass die Fehlerraten bei entsprechenden Tests mit den GridION-Geräten für die Feinmutations-Analyse zu hoch waren.

Mit NGS-basierten Methoden kann man SARS-CoV-2 und andere Viren nachweisen und gleichzeitig in den Sequenzen nach neuen oder bereits etablierten Mutationen suchen. Ein Beispiel hierfür ist das SARS-CoV-2-Research-Panel der US-Firma Twist Bioscience. Auf diesen sind tausende Nukleinsäure-Fragmente immobilisiert, die das Virus-Genom abdecken.

Die Viren-RNA in den Proben wird zunächst in cDNA umgeschrieben, die anschließend zu einer NGS-Bibliothek für die Illumina-Sequenzierung prozessiert wird. Die cDNAs der Bibliothek werden danach mit sogenannten Unique Dual Indices (UDIs) versehen und auf das Panel aufgetragen. Sequenzen, die mit dem passenden Pendant auf dem Panel hybridisieren, werden angereichert und anschließend sequenziert.

Ganz ähnlich funktionieren auch andere NGS-basierte Nachweisverfahren für SARS-CoV-2, etwa das von der Wiener Firma Lexogen für Massen-Screenings angebotene QuantSeq-SARS-CoV-2-Panel. Statt auf einem Chip wie bei Twist Bioscience findet die Reaktion jedoch in den Wells einer konventionellen 96-Well-Platte statt. Auch hier wird die Virus-RNA zunächst revers transkribiert, wobei jede Probe gleichzeitig einen individuellen Barcode erhält. Die cDNAs dieser Platte werden anschließend im Näpfchen einer neuen Platte gesammelt, in dem sowohl die Synthese des zweiten Strangs als auch die anschließende PCR-Amplifikation durchgeführt werden. Während der Amplifikation wird jeder cDNA-Pool zudem mit einem von 384 UDIs versehen. Die hieraus resultierenden cDNA-Pools werden erneut zusammengelegt und enthalten schließlich 36.864 Proben, die in einem Rutsch sequenziert werden.

Zwei Fliegen mit einer Klappe

Lexogens Gründer und Chef für Innovationen, Alexander Seitz, sieht in der gleichzeitigen Detektion und Sequenzierung einen großen Vorteil NGS-basierter Testverfahren. „Mit NGS-Tests kann man zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen: den Nachweis des Virus und die Detektion von Mutationen. Deswegen haben wir uns im März 2020 sofort daran gemacht, einen Hochdurchsatz-Screening Test auf Basis unserer QuantSeq Technologie zu entwickeln. Es war klar, dass es zu Mutationen kommen wird – das haben RNA-Viren so an sich. Wir werden uns mit den Mutationen noch sehr lange herumschlagen, Impfungen hin oder her. Für uns ist es jedoch kein Problem, entsprechende Amplikons einzufügen, um die Hotspots, zum Beispiel das Spike-Protein abzudecken, oder mit unserem CORALL Workflow ganz einfach die gesamte Sequenz von bis zu 9.216 Proben auszulesen. Für beides benötigen wir nur 24 Stunden.“

Das kostet dann zwar ein paar Euro mehr. Angesichts infektiöserer Varianten und zunehmend wahrscheinlich werdender Escape-Mutanten dürfte dieses Geld aber gut angelegt sein.

Produkte für die SARS-Cov-2 Forschung im Überblick pdficon


(Erstveröffentlichung: H. Zähringer, Laborjournal 1-2/2021, Stand: Januar 2021, alle Angaben ohne Gewähr)




Letzte Änderungen: 08.02.2021