Editorial

Proben für 2D-Gele

Unbefriedigende Lösungen

Hubert Rehm



Das große Problem der Proteomforschung ist immer noch und wird es für lange Zeit bleiben, alle Proteine der Probe in Lösung zu bekommen. Immer wieder tauchen daher Leitfäden für "ideale Solubilisierungsbedingungen" in der Literatur auf. Was ist davon zu halten?

Das beste Lösungsmittel ist bis heute SDS, aber selbst diese Seife solubilisiert nicht alles und zudem taugt sie nicht für den ersten Schritt der 2D-Elektrophorese, die isoelektrische Fokussierung (IEF). Es gibt deswegen immer wieder Idealisten, die versuchen, zum Heil der Forschergemeinde, ideale Solubilisierungsbedingungen für die IEF auszuknobeln. Manchmal schreiben sie ein Paper darüber. So auch Brian Stanley et al. von der Queens University in Kingston, Kanada (Proteomics 2003, 3: 815-820).

Als Ausgangsgewebe verwendete Brian das menschliche Myokard, an Detergenzien SDS und drei Sulfobetaine: CHAPS, SB3-10 und ASB-14. Seine Erkenntnisse: Unterschiedliche Detergenzien solubilisieren - in Gegenwart von Harnstoff und Thioharnstoff - unterschiedlich. So extrahiert SB3-10 mehr saure Proteine, ASB-14 mehr neutrale und basische Proteine. Die IEF wurde in SB3-10 durchgeführt. Beachten Sie: SB3-10 ist unlöslich in Puffern, die mehr als 5M Harnstoff und 2M Thioharnstoff enthalten. SB3-10 löst daher weniger hochmolekulare Proteine als CHAPS und ASB-14.

Nun kann man eine Seife fürs Solubilisieren verwenden und eine andere für die IEF. Brian hat das getan und kommt zu der nicht überraschenden Erkenntnis, dass ein Detergenz, das gut solubilisiert, nicht unbedingt auch gut fokussiert. Das Extrembeispiel ist SDS. Damit bekommt man zwar die meisten Proteine in Lösung (570 Flecken im Vergleich zu 400-460 Flecken mit den Sulfobetainen), doch lassen sich SDS-Proteinkomplexe nicht fokussieren. Sie können zwar das SDS-Solubilisat mit einer IEF-verträglichen Seife verdünnen, doch verdünnen sie dann auch die Probe, das heißt, sie können nur noch wenig Protein auf das IEF-Gel laden.

Auch die Sulfobetaine solubilisieren und fokussieren unterschiedlich. So gibt das schlechte Solubilisierungsmittel SB3-10 die beste Auflösung im 2D-Gel, während das gute Solubilisierungsmittel ASB-14 die schlechteste Auflösung zeigt. Mit ASB-14 ziehen die Proteine zum Beispiel lange horizontale Schmierstreifen zum basischen Ende des Gels.

Wird in SB3-10 solubilisiert und danach in SB3-10, CHAPS oder ASB-14 fokussiert, unterscheiden sich die drei Seifen wiederum in bestimmten Bereichen des 2D-Gels. Fokussieren in SB3-10 sei besser für saure Proteine von niedrigem Molekulargewicht, während ASB-14 bestimmte neutrale und basische Proteine besser zur Geltung bringe.

Brian schlägt vor, verschiedene Solubilisierungs- und Fokussierungsbedingungen zu kombinieren. Wolle man beispielsweise basische Proteine untersuchen, empfehle es sich, mit ASB-14 zu solubilisieren und mit SB3-10 zu fokussieren. Wolle man den ganzen Proteinbereich untersuchen, extrahiere man am besten mit ASB-14 und fokussiere in CHAPS.

Kann man der Sache trauen?

Ganz traue ich Brians Ergebnissen nicht. Was heißt zum Beispiel "in SB3-10 wird besser fokussiert als in ASB-14"? Um wieviel Einheiten besser fokussiert? Kann man "besser fokussieren" quantitativ messen? Wahrscheinlich schon, zum Beispiel indem man die Fläche mehrerer Vergleichsproteine bezogen auf die Intensität vergleicht. Stanley et al. haben das aber nicht getan. Sie werden das Gel angeguckt, den Daumen gehoben und mit Pi multipliziert haben, und das SB 3-10 Gel hat am besten abgeschnitten. Letztlich die Wertung eines Kunstbetrachters.

Vielleicht, verehrter Leser, entwerfen sie ein Programm, das die Fokussierung und Qualität von 2D-Gelen quantitativ erfaßt. Dann können sie auch ein Paper in Proteomics schreiben und zudem eine Biotechfirma aufmachen und reich werden - oder auch nicht.

Für Diagnosen in der Medizin und auch für Therapieversuche, wäre es interessant, das Proteom von definierten Gewebestücken beziehungsweise Zellen oder Zellgebieten kennen. Tumorzellen oder von Viren befallene Zellen exprimieren ja bestimmte Proteine häufiger beziehungsweise seltener als ihre normalen oder nicht infizierten Gegenstücke. Das könnte nicht nur zur Diagnose dienen, das könnte auch auf den Krankheitsmechanismus schließen lassen.

Doktorarbeiten für Mediziner

Zellen lassen sich am besten auf histologischen Schnitten identifizieren. Warum also nicht aus histologischen Schnitten die interessanten Gebiete ausschneiden und deren Proteom untersuchen?

Unter uns gesagt: Ob sich damit wirklich ein Krankeitsmechanismus aufklären lassen wird, sei dahingestellt. Aus der Thematik ließen jedoch sich zahllose ideale Doktorarbeiten für Mediziner schneidern. Statt Statistiken anzulegen, für die sich kein Mensch interessiert, könnten die zukünftigen Dr. med. ihre histologischen Kenntnisse verwerten, würden lernen, mit 2D-Gelen und Lasermikrodissektion umzugehen und weil so ein Gel im allgemeinen mehrere Flecken aufweist, müßten sie auch bis drei zählen können.

Aber leider, leider gab es bisher Probleme mit diesen Untersuchungen. Normalerweise werden histologische Schnitte mit Formalin fixiert. Daraus Protein zu extrahieren, ist wie angenagelte Birnen von einem Baum schütteln: Es kommt nichts dabei herunter. Man kann zwar auf Schnitte aus tiefgefrorenem Gewebe ausweichen. Deren Proteine sind zwar leicht extrahierbar, aber dafür ist die Qualität der Schnitte schlecht. Was tun?

Mit Ehanol könnte es gehen

Fixieren Sie die Schnitte mit Ethanol/Paraffin. Die histologische Qualität soll vergleichbar sein der zu formalinfixierter Schnitte, aber das Ethanol gehe schonender mit den Proteinen um, behaupten Mamoun Ahram et al. vom National Cancer Institute in Bethesda. In der Tat gibt es Leute, die ihre Organe fast täglich in verdünnten Alkohollösungen baden und dabei noch einen recht vergnügten Eindruck machen. Mamoun Ahram et al. haben untersucht, ob man mit Extrakten von Ethanol-fixierten Schnitten vernünftige 2D-Gele erhält (Proteomics 2003, 3: 413-421).

Ihre Botschaft ist: Es geht, aber es geht nicht gut. So lassen sich aus ethanolfixierten Schnitten etwa 25 % weniger Proteine extrahieren als aus Schnitten von gefrorenem Gewebe. Manche Proteine fehlen ganz. Des weiteren sind die Proteine im 2D-Gel schlechter fokussiert, und schließlich gibt es mehr vertikalen Schmier. Dass Proteine fehlen ist nicht erstaunlich: die dürften während der Fixierung, immerhin 24 Stunden bei 4 °C mit zunehmenden Konzentrationen Ethanol, ausgewaschen werden. Die schlechte Fokussierung führen die Autoren auf DNA und Reste von Paraffin zurück.

Nach Abhilfen habe n sie gesucht, aber keine gefunden. Weder vorherige Aceton-Fällung noch bessere Entparaffinierung der Schnitte mit Xylol-Substituten (Sub-X) zeigte Wirkung. Sub-X soll allerdings billiger und gesünder sein. Auch wurde versucht, die Extraktion aus den Schnitten zu verbessern: durch Erhitzen mit SDS und was den verzweifelten Forschern sonst noch so einfiel. Das Ergebnis war das gleiche oder schlechter.


Die gute Botschaft: Mikrodissektion klappt!

Doch eine gute Botschaft gibt es: An ethanolfixierten Schnitten ist eine Laser Capture-Mikrodissektion möglich. Leider erhält man dabei nur halb so viel Protein wie mit vergleichbarem Material aus gefrorenem Gewebe. Des weiteren gibt es Probleme mit dem Färben und eine Färbung ist nötig. Wie soll man sonst die zu dissektierenden Zellen identifizieren?

Für gewöhnlich färbt man Schnitte mit Eosin und Hämatoxylin. Eine Eosinfärbung verschob den scheinbaren IEP der Proteine ins Saure. Anscheinend bindet das negativ geladene Eosin fest an kationische Reste - wie man es von einem guten Färbemittel erwartet. Proteine aus Hämatoxilin gefärbten Schnitten dagegen zeigten keine Änderungen im IEP. Auf die Ausbeute hatte Hämatoxylin auch keine Auswirkungen. Die Konsequenz: Schnitte nur mit Hämatoxilin färben!

Im Großen und Ganzen sei die Proteombestimmung an ethanolfixierten Schnitten brauchbar, behaupten die Autoren. Zum Beweis haben sie die Proteinzusammensetzung zweier Regionen eines Prostataschnittes verglichen: Einer Region, die normale epitheliale Zellen enthält, und einer benachbarten Region, die aus Krebszellen besteht. Der Unterschied im 2D-Gel Muster war augenfällig, allerdings sehen die Gele recht scheußlich aus.

Proteomforschung an ethanolfixierten Schnitten ist nichts für Ästheten.



Letzte Änderungen: 08.09.2004