Editorial

Programmierbare Genexpression - Künstliches Transkriptionssyste

Andrea Pitzschke


(13.05.2022) Für konventionelle Genexpressions-Systeme verwenden Biowissenschaftler meist starke konstitutive oder induzierbare Promotoren sowie die dazu passenden Transkriptionsfaktoren aus der Natur. Weitaus effektiver und sicherer sind Transkriptions-Plattformen, die auf synthetischen Promotoren und Transkriptionsfaktoren basieren.

Promotoren sind die wichtigsten Werkzeuge von Biowissenschaftlern, wenn sie die Genexpression in einer Zelle kontrollieren wollen. In der Regel verwenden sie dazu einen induzierbaren Promotor, der die Expression des von ihm gesteuerten Gens nach einem Stimulus antreibt. Soll die Genexpression nur örtlich begrenzt oder in einem definierten Entwicklungszustand angekurbelt werden, nutzt man Zelltyp- oder Gewebe-spezifische Promotoren. Bei den Promotoren ist meist das eine oder andere Sequenz-Motiv modifiziert, etwa um höhere Expressionslevel zu erhalten oder die Hintergrundaktivität im nichtinduzierten Zustand zu drosseln. Endogene oder von außen zugegebene transgene Transkriptionsfaktoren binden an spezifische Sequenzen des Promotors und aktivieren oder reprimieren hierdurch die Genexpression.

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Künstliche Transkriptionssysteme schieben die Genexpression effizienter an als natürliche. Fotomontage: RallyBRC

Natürliche oder Natur-basierte Promotoren und Transkriptionsfaktoren zur gezielten Genexpression zu verwenden, hat jedoch einige Tücken. Die Promotoren enthalten zum Beispiel oft Motive, die von verschiedenen Transkriptionsfaktoren erkannt werden. Die Genexpression kann hierdurch an Orten und zu Zeiten anspringen, an denen dies gar nicht erwünscht ist. Oder der gewählte Transkriptionsfaktor wird von einem modifizierten Promotor so stark in Beschlag genommen, dass er seinen eigentlichen Pflichten nicht mehr nachkommen kann und die Expression der von ihm abhängigen Gene stärker oder schwächer wird – je nachdem, ob er als Aktivator oder Repressor wirkt.

Vermeiden lassen sich diese unkontrollierbaren Interaktionen zelleigener Promotoren und Transkriptionsfaktoren durch synthetische Transkriptionssysteme. Ein fremder Transkriptionsfaktor erkennt die zelleigenen Promotoren genauso wenig wie ein synthetischer Promotor einen natürlichen Transkriptionsfaktor. Geschickt gewählt und kombiniert ermöglichen diese sogenannten orthogonalen genetischen Schaltkreise Ort, Zeitpunkt und Intensität der Genexpression akribisch genau zu steuern. Sie bilden ein synthetisches Transkriptionssystem, das im Idealfall präziser, effizienter und kontrollierbarer arbeitet als ein zelleigenes.

Vorlage aus der Natur

Einen perfekten Promotor zu gestalten, der von einem dazu passenden Transkriptionsfaktor effektiv und spezifisch erkannt wird, ist aber nicht ganz einfach. Eine gute Vorlage dafür liefert die Natur, etwa in Form des CRISPR-Cas9-Systems, bei dem eine guideRNA (gRNA) die Nuklease Cas9 zu einer Zielsequenz führt. Inaktiviert man die Nukleaseaktivität von Cas9 und fusioniert das tote Enzym (dCas9) mit einem Transkriptions-Aktivator wie zum Beispiel VP16, VP64 oder VPR, so transportiert dCas9 diesen huckepack zu einer von der gRNA anvisierten Zielsequenz.

Auf diesem Prinzip beruhen viele orthogonale genetische Schaltkreise für pflanzliche, tierische und mikrobiologische Systeme. Die Bauweise der synthetischen Promotoren ist immer dieselbe: Vor einen minimalen Promotor werden Kontrollelemente (Operatoren) geschaltet, die als Bindestellen für Transkriptionsfaktoren dienen.

Die Ausgestaltung synthetischer Transkriptionssysteme ist aber noch längst nicht ausgereizt. Timothy K. Lus Team am Massachusetts Institute of Technology in Cambridge, USA, hat sich die einzelnen Komponenten näher angeschaut und an verschiedenen Stellschrauben gedreht, um sie zu optimieren (bioRxiv doi: org/10.1101/2020.12.11.420000). Erklärtes Ziel der Gruppe ist es, eine Plattform für vorhersagbare und feinabgestimmte genetische Schaltkreise zu schaffen, die eine konsistente Genexpression in unterschiedlichen Zelltypen und für unterschiedliche Zielgene ermöglicht.

Die US-Amerikaner konzentrierten sich für die Optimierung auf vier entscheidende Faktoren des künstlichen Transkriptionssystems: gRNA-Sequenz, Anzahl der gRNA-Bindestellen des synthetischen Operators, den Einbau zusätzlicher Elemente in Operator oder Transkriptionsfaktor sowie die Kombination mehrerer Schaltkreise in derselben Zelle.

Los ging die Optimierung mit dCas9-VPR als synthetischem Transkriptionsfaktor, CHO-Zellen als Wirtszellen und dem von dem System gesteuerten Fluoreszenzprotein mKate. Als gRNA kamen synthetische Sequenzen infrage, die im Genom des Hamsters nicht vorkommen und keine Überkreuz-Reaktionen verursachen können. Das Team konstruierte eine entsprechende gRNA-Bibliothek und konzentrierte sich schließlich auf acht darin enthaltene gRNA. Diese gRNA-Motive platzierte es jeweils in acht Kopien vor einen minimalen Promotor und erhielt hierdurch acht verschiedene Operatoren.

Transfizierte die Gruppe CHO-Zellen mit dCas9-VPR sowie den Operatoren, war die mKate-Fluoreszenz je nach gewählter gRNA unterschiedlich stark. Tauschte sie VPR gegen VP16 oder VP64 aus, verstärkte sich das Reportersignal nicht. Die Forscher führten die weiteren Experimente deshalb mit dCas9-VPR durch. Dabei fanden sie eine einfache Gesetzmäßigkeit für die Operatoren: Je mehr gRNA-Bindestellen diese enthalten, desto stärker ist die Expression. Diese Regel gilt nicht nur für Hamsterzellen, sondern auch für Zellen aus Ratte, Maus oder Mensch.

Variiert man die Zahl der Bindestellen sowie die gRNA-Sequenzen, kann man schwache, mittlere oder starke Operatoren konstruieren. Der stärkste Operator, den die Gruppe herstellte, hatte 16 Bindestellen. Er verstärkte die Genexpression etwa 74-mal mehr als der schwächste Operator mit nur zwei Bindestellen.

Doch selbst aus einem Operator mit 16 gRNA-Bindestellen lässt sich noch mehr herauskitzeln. Dazu müssen sich die einzelnen Spieler des synthetischen Transkriptionssystems aber möglichst zahlreich am richtigen Ort versammeln. Um dies zu gewährleisten, statteten Lus Mitarbeiter dCas9-VPR mit einem Kernlokalisations-Signal (2xNLS) aus. Eine noch größere Wirkung erzielten sie mit einem synthetischen, 5´ vor dem Zielgen integrierten Intron, das die Expression verdreifachte.

Ausgestattet mit dem zusätzlichen Intron, einer passenden gRNA sowie einem Operator mit 16 gRNA-Bindestellen schwoll die Expression in CHO-Zellen sogar um das 167-fache gegenüber einem System mit schwachem Operator an. Leider ging den Zellen dabei nach wenigen Wochen die Luft aus. Trotz Integration des genetischen Schaltkreises in das Chromosom der CHO-Zellen schwand die Expression des Reportergens. Dies änderte sich erst, als die Gruppe den Selektionsmarker Blastizidin mithilfe eines 2A-Self-Cleavage-Peptid-Linkers in der 3´-Position an dCas9-VPR hängte, um die Expression des Zielgens in Langzeit-Kulturen zu stabilisieren.

CHO-Zellen mit diesen enorm gesteigerten Expressionsraten schreien förmlich danach, anstelle von Fluoreszenzproteinen therapeutisch relevante Proteine zu produzieren. Lus Team nutzte das System zum Beispiel für die Herstellung der humanen monoklonalen Antikörper JUG444 sowie anti-hPD1. Um biologisch aktive Antikörper zu erhalten, exprimierte die Gruppe die leichten und schweren Ketten der Antikörper mithilfe unabhängiger transkriptioneller Einheiten, die vom selben Operator gesteuert wurden. Einziger Wermutstropfen: Die CHO-Zellen wachsen offensichtlich langsamer, wenn sie die Antikörper mit voller Leistung produzieren – die Verdopplungszeit verlängerte sich in diesem Fall von 22 auf 34 Stunden. Dieses kleine Manko lässt sich aber gut verschmerzen, denn als Ausgleich dafür funktioniert das synthetische Transkriptionssystem auch in humanen HEK293-Zellen. Je nach Konstellation von gRNA und Operator sind die Expressionsraten in diesen 17 bis 400 Prozent höher als mit dem häufig eingesetzten konstitutiven Promotor EF1a.

Verschiedene Ebenen

Für die Konstruktion des synthetischen Transkriptionssystems erstellte Lus Mannschaft eine Klonier-Plattform, mit der sich das System einfach „programmieren“ lässt. Die Plattform ist modular aufgebaut und in drei Ebenen eingeteilt, in denen Bibliotheken mit den benötigten Gen-Konstrukten hergestellt werden. Die Bibliothek auf der ersten Ebene enthält Eintrittsvektoren für die Gateway-Klonierung, die für verschiedene Kontrollelemente der Transkription codieren – etwa einzelne gRNA, synthetische Operatoren mit stromaufwärts gelegenen gRNA-Bindestellen, Effektorgene, induzierbare und konstitutive Promotoren sowie dCas9-VPR.

Mittels Gateway-Klonierung werden die Komponenten aus der ersten Ebene mit Expressionsvektoren auf der zweiten Ebene kombiniert. Auf der dritten Ebene werden die Module der zweiten Ebenen schließlich zu kompletten genetischen Schaltkreisen zusammengefügt, indem transkriptionelle Einheiten aneinandergehängt und Selektionsmarker ergänzt werden.

Damit die generierten genetischen Schaltkreise dauerhaft in die transfizierten Zellen integriert werden, enthalten sie zusätzliche strukturelle Komponenten, wie zum Beispiel Positional Codes, welche die ortsspezifische chromosomale Integration im Genom mithilfe einer Rekombinase ermöglichen. Die Gruppe nutzte dafür die von ihr entwickelte Multi-Landing-Pad-Technik (Nucleic Acids Res. 46(8): 4072-86). Diese Strategie umgeht unkontrollierbare Gen-Disruptionen und stellt sicher, dass die Gene auf dem gewünschten Locus landen.