Editorial

Eine gute Vorbereitung ist alles
Liquid Handling & Probenvorbereitung

Andrea Pitzschke


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Foto: Evobliss

(08.06.2020) Die Probenvorbereitung ist entscheidend für die Aussagekraft der massenspektrometrie-basierten Proteomik. Ein neues universelles Protokoll erhöht die Reproduzierbarkeit. Wer für die Probenvorbereitung zudem mit einem Liquid Handler liebäugelt, sollte einen Blick auf die immer ausgereifteren Open-Source-Modelle werfen.

Omics-basierte Analyseverfahren holen aus einer Probe möglichst viele Informationen heraus. Bevor sich Bioinformatiker aber an die Analyse der erhaltenen Daten machen können und zum Beispiel Muster im Proteom gesunder, erkrankter und geheilter Probanden erkennen, müssen die unzähligen Proben erst einmal für die Analyse vorbereitet werden. Der Weg von der Probe bis zur Datenanalyse ist jedoch weit und voller Fallen. Ein authentisches Abbild des Proteoms erhält nur, wer alle darin enthaltenen Proteine erfasst – unabhängig von ihren Löslichkeiten, posttranslationalen Modifikationen oder anderen physikochemischen Eigenschaften. Vergleiche zwischen Proben ergeben nur dann Sinn, wenn jeder Schritt der Probenvorbereitung mit gleicher Präzision erfolgt: Aufschluss, Reduktion und Alkylierung, Proteinreinigung, enzymatische Zerlegung in Peptide sowie die darauf folgende Injektion in das Massenspektrometer.

Die meisten Probenvorbereitungs-Protokolle wurden für ein ganz bestimmtes Ausgangsmaterial entwickelt, etwa Lebergewebe, oder sie widmen sich dezidiert einem einzelnen Experimentierschritt. Um die Kompatibilität der einzelnen Verfahren hat sich dabei so gut wie niemand gekümmert, obwohl dies die Probenvorbereitung erleichtern und die Ergebnisse reproduzierbarer machen würde. Einer Gruppe um Jeroen Krijgsveld vom Deutschen Krebsforschungszentrum in Heidelberg sowie Gregg Morin vom BC Cancer Research Centre in Vancouver wurde der Flickenteppich der Probenvorbereitungs-Methoden dann doch zu unübersichtlich. Sie entwickelte deshalb das sogenannte SP3-Verfahren (Nat. Protoc. 14: 68-85).

Zielgerichtetes Troubleshooting

SP3 steht für Single-pot, solid phase-enhanced sample preparation. Mit SP3 können Proteomiker verschiedenste Proben aufbereiten und die dazu nötigen Schritte optimieren. Das Protokoll enthält zudem ein zielgerichtetes Troubleshooting. Das ist auch nötig, denn schließlich geht der Trouble gleich zu Beginn der Probenvorbereitung los. Und zwar mit einem Interessenkonflikt zwischen hoher Extraktionseffizienz und der Kompatibilität der Proben mit der Flüssigkeitschromatographie-Massenspektrometrie (LC-MS). Rabiate Detergenzien lösen auch noch das letzte Fünkchen Protein aus einer Probe heraus, stören aber die Enzyme, die danach für die Proteinfragmentierung eingesetzt werden. Die SP3-Technik ist hingegen über einen weiten Konzentrationsbereich mit gängigen Detergenzien, chaotropen Substanzen, Salzen und Lösungsmitteln kompatibel, weil sie etwaige Inhibitoren von Verdau-Enzymen wieder loswird. Da die Reinigung von Proteinen mithilfe kommerzieller oder selbst hergestellter Säulchen oft mit hohen Verlusten und einer verzerrten Zusammensetzung einhergeht, verwenden die Heidelberger magnetische, mit Carboxylgruppen ummantelte Kügelchen (Beads) mit Durchmessern von 0,7 oder 1 Mikrometer.

Der Proteinextrakt wird im Gewichtsverhältnis von eins zu zehn zur vorgelegten Bead-Suspension gegeben und mit einem Volumen Ethanol versetzt. Der Alkohol verdrängt das Wasser aus der Hydrathülle der Proteine, die dadurch hydrophiler und von den Kügelchen angezogen werden (hydrophilic capture). Ob beim Binden beziehungsweise dem anschließenden Waschen mit achtzigprozentigem Ethanol alles nach Plan läuft, kann man mit der SDS-PAGE oder mithilfe der Elektronenmikroskopie verfolgen. Proteinfreie Kügelchen liefern unter dem Elektronenmikroskop ein relativ homogenes Bild. Sind sie dagegen mit Proteinen beladen, erscheinen sie in Form vieler kleiner Aggregate.

Anhand einer akribischen Aufstellung verschiedener Szenarien liefert die kanadisch-deutsche Gruppe exakte Anhaltspunkte, wie viele Kügelchen bei Proteinmengen von 0,01 bis 500 Mikrogramm und Probenvolumen von 10 bis 500 Mikroliter nötig sind. Als Richtwert dient hierbei die Proteinausbeute von einer Million Zellen, die bei etwa 40 Mikrogramm liegt.

Mögliche Fehlerquellen

Wenn Kügelchen beim Waschen oder Eluieren übermäßig zusammenklumpen, ist die Proteinkonzentration eventuell zu hoch. Es könnte aber auch sein, dass Nukleinsäuren stören, die von den Carboxylgruppen angezogen werden. DNA und RNA kann man enzymatisch mit Benzoase an den Kragen gehen; oder mechanisch mit Ultraschall sowie Zirkoniumoxid-Kügelchen, die sie zerschlagen (bead beating). Nach mehrmaligem Waschen stünde danach die Elution der Proteine an. Proben für MS-Analysen kann man aber auch direkt mit Trypsinlösung versetzen und erst die zerlegten Peptide durch Zugabe von Trifluoressigsäure von den Kügelchen lösen.

Effizienz war auch der Leitgedanke, als Jeroen Krijgsvelds Team in Heidelberg SP3 für den Hochdurchsatz fit machte (Mol. Syst. Biol. 16(1): e9111). AutoSP3 rattert mithilfe eines Liquid Handlers durch das SP3-Protokoll und erledigt 96 Proben in einem Aufwasch. Alkylierung und Reduktion finden noch „Off-Deck“ statt, der Rest läuft dann automatisch. Vom manuellen SP3 auf die automatische Version umzustellen, war jedoch ein aufwendiger Prozess. Trotz der grundsätzlich gleichen Experimentierschritte arbeitet ein Roboter anders als ein Mensch, das musste in der Programmierung berücksichtigt werden. Krijgsveld und sein Mitarbeiter Torsten Müller erinnern sich: „In der Realität bedeutete dies, unzählige Stunden vor einem laufenden Roboter zu verbringen und jeden einzelnen Schritt zu beobachten, in Notizen festzuhalten und zu optimieren. Schritt für Schritt wurde jeder pipettierte Mikroliter und jede Millimeter-Bewegung des Roboters angepasst, um das Protokoll zum Laufen zu bringen.”

Mit lysierten HeLa-Zellen als Ausgangsmaterial perfektionierten die Heidelberger die Arbeitsabläufe des Protokolls hinsichtlich Volumina, Input-Mengen, Höheneinstellung des Liquid Handlers et cetera. Vom gesundheitlich unbedenklichen und günstigeren Ethanol mussten sie wieder auf das giftige Acetonitril umsteigen, weil Ethanol unkontrolliert aus der Pipettenspitze nachtropft und so die Gleichbehandlung der Proben vereitelt. Durch die kleinen Volumenkapazitäten der Mikrotiterplatte müssen viele Waschschritte mit relativ wenig Flüssigkeit auskommen. Warum nimmt man nicht einfach Deep-Well-Platten mit tieferen Löchern, die mehr Waschflüssigkeit aufnehmen und weniger Waschschritte benötigen würden? Das mag bei reichlich Probenmaterial funktionieren. Für Krijgsveld, dessen Gruppe mit teilweise winzigen Gewebemengen oder wenigen Zellen arbeitet, wäre der damit einhergehende Proteinverlust aber inakzeptabel. „Die kleinen Volumina bei autoSP3 sind tatsächlich gewollt, um die Sensitivität des Prozesses zu erhöhen.”

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Jeroen Krijgsvelds Gruppe am DKFZ in Heidelberg entwarf ein universelles Probenvorbereitungs Protokoll für die Proteomik. Foto: DGMS

Bedenken hinsichtlich der Reproduzierbarkeit und möglicher Kreuzkontamination von Proben räumten die Forscher in Testserien mit zehn Mikrogramm Protein aus HeLa-Zellen aus. Der Liquid Handler ist so eingestellt, dass die Pipettenspitze nicht mit den Proben in Kontakt kommt. Er saugt ein entsprechend großes Flüssigkeitsvolumen an und arbeitet die Platte danach Well für Well ab. Eine im 96-Well-Format aufbereitete LC-MS-Probe kostet etwa einen Euro. Fünfhundert bis tausend Proteine lassen sich aus hundert bis tausend Zellen reproduzierbar quantifizieren. Die hierzu nötigen hundert Nanogramm Ausgangsmaterial sollte man selbst aus kleinen Gewebeproben, etwa von Biopsien, zusammenbekommen.

Für alle Proben-Typen

„Praktisch alle Proben-Typen“, kann man mit autoSP3 beziehungsweise SP3 aufbereiten, betonen Krijgsveld und Co. Während Leberproben vergleichsweise gut erschließbar sind, ist bei festerem Material, wie zum Beispiel Herzgewebe oder in Paraffin eingelegtem Gewebe, eine rabiatere Behandlung notwendig – etwa in Form von Detergenzien, Salzen oder einer intensiveren Ultraschallbehandlung. Deshalb ist es auch keine gute Idee, verschiedene Probenarten in derselben Platte abzuarbeiten, weil diese in den Wells gleich behandelt würden. Was für einen Gewebetyp hohe Ausbeuten verspricht, kann aber bei der Probe im benachbarten Well vollständig in die Hose gehen. Sind für die verschiedenen Proben-Typen jedoch nur unterschiedlich lange Verdau-Zeiten nötig, um optimale Ausbeuten zu erzielen, können sie auch gemeinsam aufbereitet werden. Dieser letzte Schritt erfolgt Off-Deck im Thermocycler. Niemand muss warten, bis er 96 Proben beisammen hat, ihre Anzahl sollte aber ein Vielfaches von acht betragen. Das Gerät lässt sich so programmieren, dass es eine 96-Well-Platte spaltenweise bearbeitet und die nichtgewünschten Spalten ignoriert. Mit einer Nutzer-Schnittstelle wollen die Heidelberger Forscher die Effizienz von autoSP3 zudem weiter verbessern.

Wie sich autoSP3 bei der Suche nach tumorspezifischen Peptiden schlägt, untersuchten Krijgsvelds Mitarbeiter anhand von Patienten, die an einem Lungenadenokarzinom litten, das zu den nicht-kleinzelligen Lungenkarzinomen (NSCLC) zählt. Als Startmaterial verwendeten sie Formalin-fixierte und Paraffin-eingebettete Gewebeproben (FFPE), die vorab einzeln aufgeschlossen wurden. Mithilfe von autoSP3 fanden sie in Proben der Patienten das Protein PIGT, eine Untereinheit des Glycosylphosphatidylinositol-Transamidase-Komplexes, die im papillären Subtyp signifikant überexprimiert wurde. Dies bestätigte frühere Studien, die ebenfalls eine Überexpression von PIGT in NSCL-Karzinomen fanden.

Auch für COVID-19-Analyse

AutoSP3 scheint geradezu prädestiniert für den Einsatz in der COVID-19-Analyse. So könnte man damit zum Beispiel eine Proteom-Datenbank von Autopsie-Proben anlegen. Zwar scheint es diesbezüglich noch keine Anstrengungen zu geben, doch auch Krijgsveld könnte sich dies vorstellen – und ergänzt: „Das wäre eine phantastische Anwendung. Ultraschall ist in Kombination mit autoSP3 ideal für die standardisierte Präparation großer Probenkohorten. Da COVID-19 eine neue Krankheit ist, wissen wir noch wenig über dessen Pathophysiologie. Zumal neben der Lunge offensichtlich auch sehr viele andere Organe betroffen sind. Natürlich richten sich die gegenwärtigen Anstrengungen auf Nachweis-Tests und die Impfstoffentwicklung. Dennoch würden Biopsie-Proben von Organen, die eventuell aus unterschiedlichen Altersgruppen stammen, die tiefergehende Charakterisierung von Geweben erleichtern, die direkt als Ziel des Virus oder durch sekundäre Effekte betroffen sind.

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Der Open Source Liquid Handler FINDUS ist nicht nur äußerst günstig, sondern auch sehr vielseitig. Hier wurde er für die Peptidsynthese umgerüstet. Foto: SLAS

Untersuchungen auf Ebene des Proteoms könnten wichtige Informationen zum Verständnis der betroffenen Zellfunktionen liefern. Unser autoSP3-basiertes Verfahren würde die Aufbereitung der Proben für das Erstellen von Proteom-Profilen vereinheitlichen. Dies könnte zum Verständnis der Krankeitsmechanismen beitragen oder die Identifikation von Proteinen erleichtern, die als Reaktion auf das Virus im Blut des Wirts auftauchen, etwa Antikörper gegen Virus-Antigene.”

Die Aufbereitung großer Probenzahlen an einen Roboter zu delegieren, spart eine Menge Zeit. Kommerzielle Geräte, wie das bei autoSP3 eingesetzte System, kombinieren die Funktionen mehrerer Einzelgeräte zum Beispiel Horizontalschüttler, Heizblock und Magnet-Rack. Der Roboterarm reicht die Probenplatte zwischen den einzelnen Stationen weiter, während die frischbestückten Pipettenspitzen des Pipettierkopfes eine vorgelegte Flüssigkeit aufnehmen und in bereitstehende Gefäße pipettieren. Die Flüssigabfälle landen anschließend genauso in einem dafür vorgesehenen Container wie die verbrauchten Spitzen.

Die eingesparte Zeit hat aber ihren Preis. Für einen Liquid Handler legt man leicht 30.000 Euro und mehr auf den Tisch. Fraglich ist, ob die vielen Funktionen des Automaten je gebraucht werden. Nüchtern betrachtet sind Liquid Handler für viele Gruppen oft unwirtschaftlich. Das ruft natürlich Do-It-Yourself (DIY)-Fans auf den Plan, die ihre eigenen Liquid Handler konstruieren und dadurch nicht nur Geld sparen: In selbstgebauten Liquid Handlern kann man auch Funktionen unterbringen, die kommerzielle Geräte oft nicht bieten, oder unnötige weglassen. Ein weiterer Vorteil ist der modulare Aufbau, der ein einfaches Umrüsten ermöglicht.

Günstig und ausgereift

Inzwischen findet man etliche detaillierte Anleitungen für den Bau von Open Source Liquid Handlern. Ein erstaunlich ausgereiftes und dennoch spottbilliges Modell präsentierte im letzten Jahr Tanja Schirmeisters Gruppe vom Institut für Pharmazie und Biochemie der Universität Mainz, mit Fabian Barthels als Erstautor (SLAS Technology 25(2): 190-99).

Der Open Source-Gedanke des Mainzer Liquid Handlers manifestiert sich bereits in seinem Namen: Fully Integrable Noncommercial Dispensing Utility System oder kurz FINDUS. Wie er funktioniert, erklärt sein Konstrukteur Fabian Barthels: „Das Kernstück von FINDUS ist eine Luftverdrängungs-Pipette, wie sie in jedem Labor zu finden ist. Die Bedienung erfolgt beim gewöhnlichen Handbetrieb normalerweise mittels Fingerdruck und der Rückstellkraft einer Feder bis zum fühlbaren Druckpunkt. Diese Federmechanik samt Handgriff haben wir bei FINDUS entfernt, so dass der Pipettierkolben über ein Getriebe bewegt werden kann. Durch die Drehung eines Schrittmotors wird der Pippettierkolben nach oben gezogen und kann eine Flüssigkeit aus einem Reservoir aufsaugen. Bei der Flüssigkeitsabgabe dreht sich der Motor in die entgegengesetzte Richtung.“

Wer schon einmal eine zähflüssige Lösung wie PEG, Glycerol oder Tween mit einer manuellen Pipette pipettiert hat, weiß, wie schwierig es ist, halbwegs reproduzierbare Ergebnisse hinzubekommen. Hat FINDUS das besser im Griff, obwohl er auch mit einer manuellen Pipette bestückt ist? Ja, sagt Fabian Barthels, und nennt die Gründe: „Bei viskosen Flüssigkeiten bestehen bei einer klassischen Pipette zwei Hauptprobleme. Zum einen wird das eingestellte Volumen nicht vollständig in die Pipettenspitze aufgenommen und zum anderen kann die Flüssigkeit über die Benetzung der Außenseite der eingetauchten Spitze ungewollt transferiert werden. Bei der klassischen Pipette versucht man diese Probleme in der Regel durch reverses Pipettieren zu lösen. Dabei nimmt man eine zusätzliche Flüssigkeitsmenge in die Spitze auf, die anschließend verworfen wird. Zusätzlich wischt man auch noch die Spitze ab.“

Auch dafür, dass dies dennoch meist nicht zu reproduzierbaren Ergebnissen führt, hat Barthels eine schlüssige Erklärung: „Das liegt an der kleinen Öffnung der Pipettenspitze und der Elastizität der Luftsäule in der Spitze. Wenn man schneller pipettiert, als die Flüssigkeit fließen kann, geht ein Teil der aufgewendeten Kolbenbewegung als Kompressions- und Reibungswärme verloren. Um reproduzierbare Ergebnisse zu erzielen, muss man den Kolben der Pipette also sehr langsam und vor allem gleichmäßig bewegen. Der Schrittmotor von FINDUS kann den Pipettierkolben praktisch beliebig langsam verschieben: Ein bis vier Millimeter Kolbenhub pro Sekunde haben sich je nach Viskosität als praktikabel erwiesen. Die Benetzung der Außenseite der Pipettenspitze ist bei FINDUS sehr gering, da die Spitze immer nur minimal in das Reservoir eintaucht.“

Inzwischen ist FINDUS ein fester Bestandteil in Schirmeisters Labor. „Wir verwenden ihn für die Probenvorbereitung bei Enzym-Assays zum Beispiel bei der Wirkstoffentwicklung. Seine Hauptaufgaben sind vor allem komplexe Pipettierschemata in 96-Well-Platten. Die erste eigenständige Studie, in der wir alle Enzym-Assays sowie eine Peptidsynthese mit FINDUS durchgeführt haben, wurde kürzlich veröffentlicht (ChemMedChem. 15: 839-50).“

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Der EvoBot-Liquid Handler ist in drei Ebenen aufgeteilt. Die unterste kann zum Beispiel mit einem Mikroskop oder einer Kamera bestückt werden. Die Kolben der in den Pipettierkopf eingebauten Spritzen werden mit einem Schrittmotor auf und ab bewegt. Foto: Appl. Sci.

Verblüffte Zuhörer

Wenn Barthels seinen Pipettierroboter vorstellt, erntet er bei den Zuhörern immer wieder Erstaunen über die niedrigen Kosten des Systems. „Für zwanzig- bis dreißigtausend Euro erhält man Liquid-Handling-Systeme, die so gut wie alle Pipettieraufgaben lösen können. Wenn ich jemandem erzähle, dass die Materialien und der 3D-Druck von FINDUS circa 350 Euro kosten, vermutet das Gegenüber meist einen versteckten Kostenpunkt, etwa einen teuren 3D-Drucker. Der 3D-Drucker, den wir verwenden, kostete aber ebenfalls weniger als 300 Euro. Der Entwickler eines kommerziellen Liquid-Handling-Systems hat mir einmal geschrieben, dass er es unfair finde, die Vorlagen für den 3D-Druck vollständig frei zugänglich zu machen. 3D-gedruckte DIY-Laborgeräte sind aber seit ein bis zwei Jahren sehr stark im Kommen.“

Die Bewegungen und Aktionen von FINDUS steuert ein Mikrocontroller, der auf der Open-Source-Elektronik-Plattform ARDUINO basiert. Die Hardware besteht im Wesentlichen aus Leiterplatten mit zahlreichen Anschlüssen und aufgelöteten Buchsenleisten. Die mit dem 3D-Drucker hergestellten Komponenten sind aus dem Kunststoff Polyethylenterephthalat-Glycol (PETG) gefertigt und werden mit einer Open-Source-Software (FreeCAD) konstruiert. Ein Überzug mit Epoxidharz verleiht besonders beanspruchten Komponenten die nötige Robustheit. Für den Nachbau von FINDUS veranschlagt Barthels fünfzig Stunden für den 3D-Druck der Teile und nochmal etwa die gleiche Zeit für den Zusammenbau.

Um einen Multitasking-fähigen Labormitarbeiter aus Fleisch und Blut auch nur teilweise ersetzen zu können, muss ein Pipettierautomat oder -Roboter mit unterschiedlichen Elementen auf der Arbeitsbühne (Deck) hantieren können. Zu diesen zählen zum Beispiel ein Gestell (Rack) mit Probengefäßen oder eine Mikrotiterplatte im Zentrum des Decks, die von diversen, genau positionierten Elementen umgeben sind – etwa Spitzenboxen, Flüssigkeitsreservoire, ein Heizblock sowie ein Abfallgefäß. Der bewegliche Roboterarm muss sich exakt an die Positionen dieser Elemente bewegen und die dort notwendigen Arbeitsschritte ausführen: Etwa frische Spitzen aus einer Box aufstecken, Flüssigkeiten aufnehmen und in das Probengefäß überführen, Spitzen in das Abfallgefäß abwerfen, oder auch Proben schütteln und diese erhitzen beziehungsweise kühlen.

Diesen Anforderungen wird auch der Open Source Liquid Handler EvoBot gerecht, den die Gruppe des dänischen Robotik-Forschers Kasper Stoy an der Universität Kopenhagen zusammenbaute (Appl. Sci. 10: 814). Wie beim FINDUS wird auch der Pipettiervorgang des EvoBots von zwei kleinen Schrittmotoren angetrieben. Diese bewegen jedoch nicht den Kolben einer umgebauten manuellen Pipette, sondern die Kolben von zwei Spritzen, die in den Pipettierkopf integriert sind – eine für die größeren Volumina, die andere für die kleineren.

Auch die Dänen fertigten die kleineren Komponenten des Liquid Handlers mit dem 3D-Drucker. Die größeren wie zum Beispiel Aluschienen, auf denen sich der Pipettierkopf des EvoBots entlangbewegt, oder die Aufnahme des Pipettierkopfes stammen aus dem Baumarkt oder wurden mit einem Laserschneider aus dem Kunststoff Polyoxymethylen (POM) herausgebrannt.

Drei Arbeitsebenen

Der EvoBot ist in drei Arbeitsebenen aufgeteilt. In der obersten, der sogenannten Operationsbühne, bewegt sich der Pipettierkopf linear hin und her. Unter dieser Etage befindet sich das Experimentier-Deck, das mit verschiedenen Gefäßen, Platten, Racks oder Geräten bestückt werden kann. Die unterste Ebene dient schließlich als Beobachtungsplattform, auf der zum Beispiel Kameras oder Mikroskope montiert werden können.

Der Pipettierkopf lässt sich mit wenigen Handgriffen gegen ein Schwerlast-Modul tauschen, das zum Beispiel einen Scanner oder ein anderes schweres Gerät trägt. So installierte etwa die Gruppe um Michael Wagner vom Karlsruher Institut für Technologie einen anderthalb Kilo schweren Scanner für die optische Kohärenztomographie auf dem Schwerlast-Träger, um mit diesem das Wachstum von Mikroorganismen in Biofilmen zu beobachten (Biofilms and Microbiomes 6: 18).

Bei fast allen Liquid-Handling-Verfahren kommt die Flüssigkeit in Kontakt mit einem festen Bestandteil des Geräts. Das gilt nicht nur für klassische Pipettierroboter, deren Spitzen direkt in die Flüssigkeiten eintauchen, sondern auch für Mikrofluidik-basierte Instrumente, bei denen die Berührungspunkte innerhalb der kleinen Kanäle liegen. Entsprechend groß ist bei diesen Kontakt-Verfahren die Gefahr von Kontaminationen. Ausschalten lässt sie sich nur mit kontaktfreien Liquid-Handling-Techniken, die meist akustische Wellen für die Manipulation von Flüssigkeiten nutzen. Mit der digitalen Akustofluidik-Technik, die Tony Huangs Gruppe von der Duke University in Durham, USA, entwickelte, kann man aber nicht nur winzige Nanoliter-Tropfen mit Schallwellen bewegen, sondern auch bis zu hundert Mikroliter große Volumina (Nat. Commun. 9: 2928).

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Bei der digitalen Akustofluidik werden Flüssigkeitstropfen von winzigen elektrischen Schallerzeugern transportiert, die rasterförmig auf einem Chip angeordnet sind. Foto: Nat. Commun.
Transport mit Schallwellen

Die Schallwellen für den Transport der Flüssigkeitstropfen werden von sogenannten Interdigitaltransducern (IDT) erzeugt, die in einen Chip aus piezo-elektrischem Lithiumniobat (LiNbO3) integriert sind. Um die Tropfen von der Lithiumniobat-Oberfläche fernzuhalten, ist diese mit einer dünnen Schicht einer inerten Trägerflüssigkeit benetzt, auf der sich die Flüssigkeitstropfen bewegen. Der Trick ist die rasterförmige Anordnung der IDTs: Jeweils vier um ein kleines Quadrat ausgerichtete IDTs bilden ein Pixel, in dem ein Flüssigkeitstropfen Platz findet und von den Schallwellen der IDTs in die entsprechende Richtung der x,y-Ebene geschubst wird.

Mit der digitalen Akustofluidik ist es möglich, mehrere Tropfen, die unterschiedliche Reagenzien enthalten, nach einem genauen Zeitplan zu lenken und miteinander zu verschmelzen. Huangs Team steuerte mit ihr zum Beispiel eine mehrstufige Enzymkaskade für den Nachweis von Enolase. Die Gruppe geht davon aus, dass es mit der digitalen Akustofluidik möglich sein sollte, einen programmierbaren Flüssigkeitsprozessor herzustellen, der das Liquid Handling weiter vereinfacht.

Mal sehen, ob daraus tatsächlich etwas wird. Wenn nicht, gibt‘s ja immer noch die vielen kommerziellen Liquid-Handling-Systeme – und wenn dazu das Geld nicht reicht, auch etliche Liquid Handler zum Selberbasteln.



Letzte Änderungen: 08.06.2020