Editorial

DNA-Synthese 2.0
Enzymatische DNA-Synthese

Andrea Pitzschke


201a
Werden chemische DNA-Synthesizer bald von Instrumenten abgelöst, die DNA enzymatisch herstellen und auch sehr lange Sequenzen ohne Fehler hinbekommen? Foto: Hili Research Group

Auf die Schnelle definierte DNA-Sequenzen enzymatisch herstellen, ohne viele Fehler und kostengünstig. Und nicht nur ein paar läppische PCR-Primer, die eh am übernächsten Tag im Postfach liegen und kaum mehr als das Porto kosten – sondern lange Sequenzen. Das wär doch was!

Bei der klassischen Phosphoramidit-basierten DNA- beziehungsweise Oligosynthese ist nach 200 bis 300 Nukleotiden die Schmerzgrenze erreicht. Alles was länger ist, also fast jedes Gen, entsteht durch anschließendes Zusammenbasteln der Einzelstücke.

Hier schleichen sich jedoch gerne Fehler ein. Seit den Anfängen dieser Technik zu Beginn der achtziger Jahre wurde sie zwar optimiert und auf Effizienz- und Durchsatzsteigerung getrimmt, an der Synthese-Strategie selbst hat sich jedoch nichts geändert. Die Nachfrage nach synthetischer DNA wächst dennoch – und mit ihr die Zahl spezialisierter Firmen, die sie bedienen. Durch den gegenseitigen Wettbewerbsdruck halten sich die Kosten von circa zehn Cent pro Nukleotid in einem für Forscher überschaubaren Rahmen. Die Zeche zahlt aber die Umwelt, da die Synthese in organischen Lösungsmitteln abläuft und unter anderem krebserregendes Acrylnitril freisetzt.

Das war jedoch nicht der ausschlaggebende Punkt, warum sich Sebastian Palluk für seine Masterarbeit in Kay Harmachers ø Gruppe an der TU Darmstadt die enzymatische DNA-Synthese mit dem ­Enzym Terminale Deoxynucleotidyl Transferase (TdT) aussuchte. Ihn nervte bereits während seiner Zeit im 2012er iGEM-Team der TU Darmstadt, dass er mehr Zeit mit der Herstellung von DNA-Konstrukten verbrachte als mit dem eigentlichen iGEM-Projekt, das die Optimierung plastikvertilgender Bakterien zum Ziel hatte.

Die Wunschsequenz einfach als synthetische DNA zu bestellen, war natürlich illusorisch, insbesondere wenn es sich um lange Sequenzen handelte. Palluk ließ jedoch die Idee der schnellen und einfachen enzymatischen DNA-Synthese im eigenen Labor mit TdT nicht mehr los.

TdT wurde bereits in den sechziger Jahren entdeckt, und seither versuchten sich schon etliche Biowissenschaftler an der enzymatischen DNA-Synthese. Das Enzym ist die einzige bekannte Polymerase, die vom Zufall geleitet eine der vier Nukleobasen zu einem wachsenden DNA-Strang aneinanderreiht – und dafür ohne Vorlage auskommt.

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Nichts dem Zufall überlassen

Soll TdT eine definierte Wunschsequenz produzieren, muss man den Zufallsfaktor ausschalten. Wie schafft man das? Den dNTP-Mix und das Enzym zusammenwerfen geht schon mal nicht, denn TdT richtet sich nicht nach einer Template-DNA. Die Sequenz, die TdT synthetisieren soll, wird vielmehr mithilfe eines exakt vorgegebenen Nukleotidangebots bestimmt. Hat das Enzym beispielsweise nur dATP zur Verfügung, bleibt ihm keine andere Wahl, als Adenin an einen wachsenden DNA-Strang anzuhängen.

Damit es nur ein einziges Adenin anfügt und der DNA-Strang den nächsten Baustein aufnehmen kann, muss das Ende vorübergehend blockiert werden. Bisherige Verfahren nutzten hierzu reversible ­Terminator-dNTPs, also DNA-Bausteine mit einer ablösbaren Schutzgruppe, etwa o-Nitrobenzyl-RTdNTP.

So richtig funktioniert hat das aber nicht, denn TdT akzeptiert solche klobigen RTdNTPs nicht – die Elongation kommt zum Stillstand. Kleinere RTdNTP-Varianten wiederum können mit ihren mickrigen Schutzgruppen die unkontrollierte Elongation nicht vollständig blockieren.

Zu diesen Erkenntnissen gelangte auch Sebastian Palluk im Laufe seiner Masterarbeit bei Kay Harmacher. Da er auf diesem Weg nicht weiterkam, schloss er sich 2015 als Visiting Student der Gruppe des Biotechnologen Jay Keasling am Joint BioEnergy Institute in Berkeley an. Keaslings PhD-Student Daniel Arlow hatte dann die zündende Idee: TdT muss eine Doppelrolle übernehmen und neben der Transferasefunktion auch die Ausbildung der Schutzkappe bewerkstelligen.

Transferase mit Doppelfunktion

Konkret sieht die neue enzymatische Synthesestrategie von Palluk und Arlow so aus: TdT wird zunächst kovalent und reversibel an eines der vier dNTPs geknüpft. Auf jedes ­Molekül einzubauender Nukleobase kommt ein Molekül TdT. Trifft zum Beispiel ein dATP-TdT-Komplex auf ein Oligonukleotid-Molekül, verlängert die Transferase das 3‘-Ende um ein A und bleibt selbst am Kettenende sitzen. Erst wenn TdT verschwindet, kann die Elongation weitergehen. Für den Abspaltungsschritt (deprotection) gibt es verschiedene Möglichkeiten: chemisch, via Bestrahlung, oder enzymatisch (Nature Biotechnology: 36, 645-50).

Beim Bau und der Optimierung der spaltbaren Nukleotid-Protein-Komplexe bewies das Team um Keasling chemische Raffinesse. Zuerst verwendete es kovalent verknüpfte TdT-Linker-dNTP-Konjugate, die aus dem Crosslinker PEG4-SPDP (PEGylated, long-chain SPDP crosslinker) sowie einem der vier ­dNTPs in Form von 5-Aminoallyl-dNTP-Analoga bestanden. PEG4-SPDP ist ein kommerzieller, ­multifunktioneller Amin-Thiol-Crosslinker, der vier PEG-Einheiten und ein reduzierbares ­Ende trägt. Letzteres geht mit freien Thiolgruppen, in diesem Fall Cysteinresten aus TdT, eine Disulfidbrückenbindung ein, die sich zum Beispiel mit DTT im Deprotektionsschritt wieder spalten lässt.

Alternative Crosslinker

Da der Schnitt zur Abspaltung der Schutzgruppe direkt zwischen Enzym und Linker erfolgt, verbleiben die Linkergruppen an der wachsenden DNA und hinterlassen an jedem Kettenglied eine „Narbe“. Um dies zu vermeiden, stiegen Palluk und Co. auf alternative Crosslinker und dNTP-Analoga um, etwa kommerziell erhältliche Propargylamino-dNTPs (pa-dNTPs) und den photoreaktiven Linker BP-23354. Diese Konjugate hinterlassen nur einen kleinen „Kratzer“ in Form der Propargylaminogruppe – an Positionen, die für die Basenpaarung unerheblich sind. Für den Crosslinker BP-23354 spricht insbesondere die bequeme Abspaltung mit UV-Licht statt mit DTT.

Freie Thiolgruppen beziehungsweise ­Cysteinreste in der TdT sind für die Verknüpfungen in den Konjugaten essentiell. Theoretisch, so spekulierten die Forscher, sollten sie auf der Proteinoberfläche nahe am katalytischen Zentrum sitzen. Das würde die Kopplung an dNTP-Analoga, deren Transfer auf einen wachsenden DNA-Strang und die vorübergehende Schutzkappenfunktion begünstigen.

Um zu dieser TdT-Version zu gelangen, ersetzten die Forscher zunächst alle vorhandenen Cysteinreste durch Alanin und verifizierten, dass die Transferase-Funktion davon unbehelligt blieb. Anschließend führten sie an Positionen, die laut Modellierungen vielversprechend waren, ein Cystein ein. Als beste Variante erwies sich schließlich eine maßgeschneiderte TdT mit einem einzigen Cysteinrest an Position 302.
Optimierte TdT

Verglichen mit TdT­Konjugaten von dTTP-, dCTP- und dGTP-Analoga benötigen dATP-Analoga die doppelte Zeit für den Transfer. Momentan sieht das Syntheseprotokoll daher anderthalb beziehungsweise drei Minuten für den Elongationsschritt vor, die Abspaltung der Schutzkappe erfolgt durch einminütige Bestrahlung mit UV-Licht.

Die zwei Jungforscher synthetisierten mit ihrem Verfahren ein zehn Nukleotide langes DNA-Fragment und unterzogen es einem intensiven Qualitätscheck: An den Enden brachten sie einen poly(A)-Schwanz an, um das Annealing eines (reversen) oligo dT-Primers und letztlich eine PCR-Amplifikation zu ermöglichen. Die NGS-Analyse von knapp 5.000 Amplifikationsprodukten zeigte, dass achtzig Prozent die geplante Sequenz enthielten und fehlerhafte Exemplare hauptsächlich Deletionen aufwiesen. Die Fehlerrate pro Elongationsschritt lag bei durchschnittlich 2,3 Prozent. Ob sie sich bei längeren Sequenzen erhöht, muss sich zeigen.

Palluk und Arlow sind derzeit dabei, die Technik weiter zu verfeinern. Ihr Ziel ist es, DNA-Sequenzen in kb-Länge an einem Stück herzustellen. Auch in punkto Genauigkeit und Kosten- sowie Zeitaufwand sehen sie noch Optimierungsbedarf. Und natürlich möchten die zwei mit der neuen Methode auch Geld verdienen. Inzwischen haben sie die in San Francisco ansässige Firma Ansa Biotechnologies gegründet, mit der sie die enzymatische DNA-Synthese mit TdT weiter vorantreiben und vermarkten wollen.



Letzte Änderungen: 09.09.2018