Editorial

Metabolische Sequenzierung
SLAMseq

Miriam Colindres


199a

Die SLAMseq-Technik macht plötzliche Änderungen bei der Gentranskription sichtbar, die klassische RNAseq-Verfahren übersehen. Foto: IMBA

Mit zwei simplen zusätzlichen Schritten wird aus der RNA-Sequenzierung eine Technik, die auch dynamische Veränderungen bei der Gentranskription aufspürt.

Die üblichen Hochdurchsatz-Sequenzierungsmethoden liefern nur eine Momentaufnahme der Genexpression. Wie schnell oder langsam die RNA transkribiert, prozessiert und abgebaut wird, lässt sich mit ihnen nur unzureichend und mit enormem technischen Aufwand herausfinden.

Um auch diese dynamischen Prozesse, etwa bei der Regulation der Genexpression durch kleine RNAs, verfolgen zu können, hat sich die Gruppe von Stefan Ameres vom Institut für Molekulare Biotechnologie (IMBA) in Wien eine neue Sequenzier-Methode ausgedacht, die sich Thiol(SH)-Linked Alkylation for the Metabolic sequencing of RNA oder kurz (SLAMseq) nennt (Nat. Methods 14(12): 1198-04).

Die Ende letzten Jahres von Ameres‘ Gruppe vorgestelle SLAMseq-Technik basiert auf der Markierung von RNA in Zellkulturen mit dem Nukleotidanalogon 4-Thiouridin (4sU) und der anschließenden Alkylierung von 4sU mithilfe von Iodacetamid.

Provozierter Fehler

Führt man nach der Markierung und Alkylierung eine RNA-Sequenzierung (RNA-seq) durch, verursacht das alkylierte 4sU während der reversen Transkription Thymin-zu-Cytosin-Umformungen in der entstehenden cDNA. Der Einbau von 4sU in neu synthetisierte mRNA-Moleküle innerhalb des mRNA-Pools lässt sich hierdurch exakt quantifizieren und zeitlich auflösen. Ameres‘ Mitarbeiter führten zum Beispiel Pulse-Chase-Experimente durch, bei denen sie embryonale Stammzellen von Mäusen (mESC) zunächst einen Tag lang mit 4sU metabolisch markierten (Pulse) und anschließend zu verschiedenen Zeitpunkten mit nicht-thiolhaltigem Uridin (Chase) behandelten. Aus der hieraus resultierenden Abnahme der T-zu-C-Konvertierung konnten sie auf die Abbau-Rate der Transkripte schließen.

Anfang April stellte ein Team um Ameres und den Krebsforscher Johannes Zuber vom benachbarten Forschungsinstitut für Molekulare Pathologie (IMP) eine Weiterentwicklung von SLAMseq vor (Science 360: 800-5). Die Wiener Forscher kombinierten SLAMseq mit gezielten pharmakologischen und chemisch-genetischen Eingriffen, um Transkriptionsregulatoren auf die Spur zu kommen, die als zentrale Drehscheiben bei der Krebsentstehung agieren.

Für viele Regulatoren, wie zum Beispiel das Onkogen BRD4 (ein BET-Protein; Bromodomain and extraterminal domain-Protein), kennt man jedoch keine selektiven Inhibitoren. Um BRD4 für Transkriptions-Studien dennoch gezielt ausschalten zu können, wählten die Wiener eine chemisch-genetische Methode, die den konditionellen Proteinabbau ermöglicht. Die Gruppe markierte BRD4 zunächst mit einem AID-Tag (Auxin-inducible Degron). Der AID-Tag sorgt dafür, dass BRD4 nach intrazellulärer Ubiquitinierung und Behandlung mit Indol-3-Acetylsäure (IAA) innerhalb von dreißig Minuten nahezu komplett eliminiert wird. Unmittelbar nach der AID-Markierung gaben die Forscher 4sU hinzu und führten anschließend eine SLAMseq durch.

Aus den Ergebnissen der AID-SLAMseq schlossen die Wiener, dass die Transkription aufgrund des Abbaus von BRD4 auf breiter Front heruntergeregelt wurde. Gleichzeitig sank die Menge der mit der Transkript-Elongation assoziierten (an Serin-2 phosphorylierten) RNA-Polymerase II. Die mit der Initiation assoziierte (an Serin-5 phosphorylierte) RNA-Polymerase II wurde vom BRD4-Abbau jedoch nicht beeinflußt. Eine Chromatin-Immunopräzipitations-Sequenzierung (CHIP-seq) bestätigte zudem eine Häufung von RNA-Polymerase II an aktiven Transkriptions-Startstellen. Die Gruppe um Ameres und Zuber geht deshalb davon aus, dass BRD4 die Transkription kontrolliert, indem es die Freisetzung der RNA-Polymerase II von den jeweiligen Promotoren unterstützt.

Neue Wirkstoffkandidaten

BET-Inhibitoren (BETi) binden reversibel an die Bromodomänen von BET-Proteinen und verhindern als epigenetische Regulatoren die Wechselwirkung von BET-Proteinen mit acetylierten Histonen und Transkriptionsfaktoren. Sie sind daher vielversprechende Wirkstoffkandidaten für zielgerichtete Therapien. Ein direkter Zusammenhang zwischen dem BET-Protein BRD4 und BET-Inhibitoren wurde bisher aber nicht nachgewiesen.

Das IMBA-Team führte deshalb eine SLAMseq mit unterschiedlichen BETi-Dosen in Krebs­zelllinien (K562-Zellen und die humane Zelllinie MV4-11 für Akute Myeloide Leukämie, AML) durch. Das Ergebnis sah ähnlich aus wie beim oben beschriebenen BRD4-Abbau: Die Transkription wurde auf breiter Front heruntergefahren, gleichzeitig sank die Menge der an Serin-2 phosphorylierten RNA-Polymerase II. Offensichtlich agiert BRD4 als Co-Aktivator der RNA Polymerase II-abhängigen Transkription und hängt hierbei von der BET-Bromodomäne ab.

Bei geringeren BETi-Dosen verlief die Reaktion aber wesentlich selektiver, und es wurden nur wenige Transkripte herunter reguliert. Das Team behandelte zwei AML-Zelllinien mit derselben niedrigen Dosis und fand in beiden Fällen eine kleine Gruppe gleicher Transkripte, die auf BETi reagierte. Ein Ziel von BETi ist der onkogene Transkriptionsfaktor MYC, der in bis zu 70 Prozent der menschlichen Krebsarten überexprimiert wird. Die direkte regulatorische Funktion von MYC ist aber unbekannt. Manche Studien gehen davon aus, dass MYC auf spezifische Zielgene wirkt, andere wiederum beschreiben MYC als allgemeinen Transkriptions-Verstärker.

Spezifische Reaktion

Auch in diesem Fall untersuchten die Wiener Forscher den zugrundeliegenden Mechanismus mit SLAMseq und AID-Degradierung. Im Gegensatz zu BRD4 führte die intrazelluläre Zersetzung von MYC aber nicht zu einer globalen Reaktion, sondern zu spezifischen Änderungen der mRNA-Produktion. MYC agiert also nicht als allgemeiner Repressor oder Aktivator der Transkription, sondern vorrangig als transkriptioneller Aktivator spezifischer Zielgene.

Mit einer Kombination aus SLAMseq und anderen biochemischen Methoden, etwa CHIP-seq und Gene-Ontology-Analysen, suchten Ameres und Co. nach Genen, deren Expression durch das Ausschalten von MYC schwächer wurde. Sie fanden überwiegend Gene, die mit der Protein- und Nukleotid-Biosynthese assoziiert sind. Zu diesen gehörten 36 Prozent aller Ribosom-Biogenese-Faktoren, Hauptregulatoren des AMP-Metabolismus sowie alle sechs Enzyme des De-Novo-Purinsynthese-Stoffwechselweges. Damit bestätigte sich die Rolle von MYC als Regulator von Schlüsselenzymen der Protein- und Nukleotid-Biosynthese. Offensichtlich reguliert MYC ein ganzes Bündel konservierter Transkriptions-Ziele, die interessante Angriffspunkte für das Ausschalten onkogener Funktionen sind.

SLAMseq erfasst Veränderungen von mRNA-Leveln unmittelbar und erlaubt dadurch einen direkten Blick auf dynamische Änderungen der Gentranskription, die zum Beispiel durch Fehlfunktionen und andere Störungen des Systems ausgelöst werden. Auch wer Ziele von Transkriptions-Regulatoren sucht, dürfte mit SLAMseq fündig werden – und das mit nur zwei einfachen zusätzlichen Schritten bei der RNAseq.



Letzte Änderungen: 05.06.2018