Editorial

„Bis zur klinischen Anwendung von Organoiden ist es noch sehr weit“

Interview mit dem Organoid-Spezialisten Jürgen Knoblich

Andrea Pitzschke


Jürgen Knoblich züchtet in seinem Labor am Institut für Molekulare Biotechnologie (IMBA) des Wiener Biozentrums dreidimensionale cerebrale Organoide. Sie sollen ihm dabei helfen, die frühen Entwicklungschritte des menschlichen Gehirns zu verstehen.

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Foto: IMBA

Herr Knoblich, in Ihrer jüngsten Studie zu Gehirn-Organoiden zeigen Sie, dass PLGA das Verklumpen von Stammzellen verhindert. Was macht dieses Biopolymer mit den Zellen?

Jürgen Knoblich » PLGA ist ein Standardmaterial aus der Biomedizin. Es wird unter anderem für chirurgische Nähte verwendet, die sich von selbst abbauen sollen. Wir verwenden ein PLGA, welches für Nähte von Zahnfleischwunden gedacht ist, kürzen die Fäden auf die gewünschte Länge und dröseln sie auf. Gelatine ginge prinzipiell auch, aber ihr mangelt es an der perfekten Steife.

Organoide entstehen im Labor so: Aus Kolonien induzierter pluripotenter Stammzellen gewinnen wir Einzelzellen. Diese werden in 96-well-Platten überführt. PLGA-Fasern verhindern, dass die Zellen sich als runde Klumpen am Plattenboden absetzen. Binnen zehn Tagen ist vom PLGA nichts mehr übrig. Bis dahin haben sich die Zellen aber an den Fasern entlang angeordnet und behalten diese gewünschte Position auch bei. Die erhaltenen elongierten „Embroyid Bodies“ (hauptsächlich Exoderm) würden flach bleiben. Deshalb überführt man sie in Tropfen aus Matrigel und regt sie so zum dreidimensionalen Wachstum an.

Matrigel als Gerüstsubstanz für Organoide wird aus Tumorzellen gewonnen. Sind für biologische Systeme typische „Qualitäts“-Schwankungen problematisch, das heißt variiert unter Umständen die Matrigel-Zusammensetzung? Besteht die Gefahr, dass bei der Organoid-Transplantation Bestandteile des Matrigels eine Abstoßung auslösen?

Knoblich » Matrigel ist in der Tat ein großes Problem und sein klinischer Einsatz kritisch. Seine Herstellung und Aufreinigung erfordern einen sehr hohen Aufwand, der sich im Preis niederschlägt. Bei uns macht Matrigel zwanzig Prozent der gesamten Ausgaben für Verbrauchsmaterialien aus. Bis zur klinischen Anwendung von Organoiden ist es noch sehr weit. Matrigel stammt aus Maus-Tumorzellen und ist nicht GMP (Good Manufacturing Practise)-kompatibel. Die Suche nach synthetischen Alternativen, wie zum Beispiel PEG-basierten Materialien, läuft.

Matrigel ist teuer und erfordert Expertise sowie das nötige Equipment. Könnten die Anwender es nicht gleich selbst produzieren?

Knoblich » Matrigel-Marktprodukte durchlaufen sehr stringente Tests. Qualitätsschwankungen darf es nicht geben. Für reproduzierbare Ergebnisse ist DIY-Matrigel keine Option.

Bleibt bei einem Bruchteil der für Organoide verwendeten pluripotenten Stammzellen die unendliche Teilungskraft ungewollt erhalten? Dann würden Organoide irgendwann unkontrolliert wachsen. Wird ein Organoid-Transplantat womöglich irgendwann zu einem Tumor und brächte mehr Schaden als Nutzen?

Knoblich » Ja, diese Gefahr besteht wirklich. Bis zur klinischen Anwendung sind auch aus diesem Grund noch viele Jahre Forschung nötig.

Sind Organoide in irgendeiner Weise konservierbar, zum Beispiel für längere Transporte oder für Wirkstoffscreenings von Substanzen die erst in den nächsten Jahren entdeckt werden?

Knoblich » Es gibt zwei Typen Organoide. Einmal lässt sich der Entwicklungsprozess bei der Embryogenese nachvollziehen. Ausgangspunkt sind (induzierte) pluripotente Stammzellen, die wir zum Beispiel zur embryonalen Gehirnentwicklung anregen. Konservierung ist hier nicht möglich.

Beim zweiten Ansatz aber schon. Er geht von adulten Stammzellen aus und vollzieht Regenerationsprozesse von Organen nach. Am zugänglichsten sind hierbei Darm-, Leber- sowie Pankreas-Material. Der Nachteil ist, dass Patienten eine Biopsie durchmachen müssen. Hierfür eignen sich nur Organe, die sich schnell regenerieren. Dafür lassen sich solche Organoide aber relativ einfach gewinnen, und die Forschung ist, im Gegensatz zum ersten Ansatz, schon recht weit. Beachtliche Fortschritte gibt es zum Beispiel beim Verschließen von Darmwunden.

Wie gut ist die „Organoid-Community“ vernetzt? Wäre es nicht sinnvoll, Probenmaterial und Wirkstoffe untereinander auszutauschen und Daten, etwa von Medikamenten-Screenings an Geweben weltweit verstreuter Krebspatienten, auf eine gemeinsame Plattform zu stellen?

Knoblich » In der Tat ist die Community in diesem Bereich extrem gut vernetzt. Viel besser als in vielen anderen, etablierteren Forschungsgebieten. Hans Clevers von der Universität Utrecht und ich bauen das Netzwerk weiter auf, wir veranstalten Workshops und Tagungen. Für die Ressourcenvernetzung gibt es zum Beispiel den von Hans Clevers initiierten „The Hub“. Das ist eine Non-Profit-Plattform zum Austausch von „Living Biobank“-Material. Zudem existieren zum Beispiel am Sanger-Center und am NIH Zellbanken von induzierten Stammzellen.

Nächstes Jahr findet in Heidelberg ein EMBO-Meeting statt, das von Hans Clevers, Melissa Little, Esther Schnapp und mir organisiert wird (Web-Link).




Letzte Änderungen: 11.10.2017