Editorial

Weichei oder harte Nuss?

Real-Time Deformability Cytometry

Martin Kräter


SQRS
Nach einer kurzen Festigkeitsprüfung der angebotenen Tomaten hat sich Martin Kräter im Supermarkt für einen Tomatensalat als Abendessen entschieden. Im Labor misst er die Deformierbarkeit einzelner Zellen mit der RT-DC. Foto: Martin Kräter

Eine neue Methode aus Dresden beschleunigt und vereinfacht die mechanische Phänotypisierung von Zellen.

Es ist Freitag am späten Nachmittag und ich stehe im Supermarkt. Um mich tobt das Leben, was es mir nicht einfacher macht, für heute Abend etwas Leckeres zu finden. Aus der Vielzahl an Produkten im Gemüseregal stechen mir als erstes die Tomaten ins Auge, ein vertrautes Gemüse. Sofort erwäge ich meine Möglichkeiten − Pasta oder ein knackiger Salat? Mit einem gezielten Griff ertaste ich den Zustand der Tomaten. Sind sie fest und frisch, oder eher weich mit leichter Tendenz zur Überreife? Nein, sie sind knackig, und schon entscheide ich mich für den Salat.

Wir lernen schon in der Kindheit, den Reifegrad von Obst oder die Frische von Gemüse anhand der Druckfestigkeit (das heißt: der Zellmechanik) abzuschätzen, und uns dann für oder gegen den Kauf zu entscheiden. Wenn wir Obst oder Gemüse zusammendrücken, prüfen wir jedoch nicht die Verformbarkeit einer einzelnen Zelle, sondern die Festigkeit des gesamten Gewebes.

Im Labor ist die Festigkeitsprüfung einzelner Zellen aber tatsächlich möglich. Hier nutzt man die Einzelzellmechanik schon seit längerem als Biomarker, der Veränderungen des Zellskeletts anzeigt und Informationen über die Beschaffenheit oder die Eigenschaften einzelner Zellen oder Zellpopulationen liefert.

Festigkeitsprüfung von Zellen

Die mechanische Phänotypisierung eröffnet aber auch die Möglichkeit, funktionelle oder pathologische Zellveränderungen quantitativ zu analysieren. So lässt die Zellfestigkeit unter anderem Rückschlüsse auf den Status des Zellzyklus zu, ohne hierzu Marker oder Färbetechniken einsetzen zu müssen. In lebenden Zellpopulationen ist es mit der mechanischen Phänotypisierung möglich, die Phasen G1, S und G2 voneinander zu unterschieden und die Mitose-Phase von der G2-Phase zu trennen. Mit durchflusszytometrischen Methoden ist dies nicht realisierbar. Zudem erlaubt die mechanische Phänotypisierung die Charakterisierung normaler Zelldifferenzierungs-Prozesse oder maligner Zellveränderungen, da diese mit massiven Umbauprozessen sowohl im Zellskelett als auch im Kern einhergehen.

Das Konzept der mechanischen Phänotypisierung forcierte in den letzten Jahrzehnten die Entwicklung von Einzelzellmesstechniken wie Micro Pipetting, Atomic Force Mikroskopie oder sogenannte Optische Stretcher. Diese Methoden revolutionierten unser Verständnis von der ­Zellmechanik und der mit ihr verbundenen Funktionalität von Zellen. Sie haben jedoch einen entscheidenden Nachteil: Der geringe Durchsatz von ca. 10 bis 100 Zellen pro Stunde beschränkt ihre routinemäßige Anwendung in den Lebenswissenschaften oder der Medizin. Hierfür müssten die Verfahren sowohl einfacher zu handhaben als auch schneller sein.

Mit dieser Zielsetzung entwickelte Jochen Guck's Gruppe am biotechnologischen Zentrum der TU Dresden die Real-Time Deformability Cytometry (RT-DC), die Hochgeschwindigkeits-Mikroskopie und Mikrofluidik kombiniert (siehe hierzu auch LJ 4/2015, S.32-33).

Die verformten Zellen strömen bei dieser Technik mit hoher Geschwindigkeit durch das Sichtfeld eines inversen Mikroskops mit 400-facher Vergrößerung. Eine Hochgeschwindigkeitskamera erfasst jede einzelne Zelle in der Zellsuspension und registriert, wie stark sie deformiert ist.

Die Probenpräparation folgt dem Prinzip des „Minimal Handlings“. Zunächst pelletiert man die Zellen, die aus verschiedenen Geweben, adhärenten Zellkulturen oder Suspensionen stammen können, und resuspendiert sie in Methylcellulose-haltigem PBS (MC-PBS). Sobald sie vereinzelt sind, ist keine weitere Vorbereitung oder Behandlung mehr nötig. Durch ein automatisiertes Spritzensystem wird die Probe mit konstanter Flussrate durch einen Polydimethylsiloxan-Chip geleitet. Ähnlich wie in einem Durchflusszytometer werden die Zellen in diesem hydrodynamisch fokussiert, um den Kontakt mit den Rändern des Mess-Chips oder ein Verklumpen zu verhindern.

Die wie an einer Perlenkette aufgereihten Zellen fließen schließlich durch einen mikrofluidischen Kanal, in dem (wie in einem Bach) unterschiedliche Flussgeschwindigkeiten vorherrschen. Am Rand des Kanals ist die Strömung (wie am Ufer eines Baches) durch Reibung ­verlangsamt. In der Mitte ist sie dagegen deutlich stärker. Da das Zentrum der Zelle theoretisch „schneller“ fließt als ihr äußerer Rand, verformt dieser Reibungseffekt die Zellen: sie werden Kegel- oder Kegelstumpf-förmig.

Der Verformungs-Prozess beginnt, sobald eine Zelle in den Kanal einströmt und ist an dessen Ende im Gleichgewicht. Kurz bevor die Zellen aus dem Mikro-Kanal ausströmen, wird jede einzelne mit einer Hochgeschwindigkeitskamera aufgenommen, die 4.000 Bilder pro Sekunde schießt. Durch die gezielte Auswahl einer Bildregion, in der die Zellen gemessen werden sollen, erreicht man eine extrem hohe Bildrate. Diese sogenannte Region of Interest (ROI) verkleinert sowohl das Kamerabild als auch die auszuwertende Datenmenge. Die Informationsverarbeitung wird hierdurch beschleunigt, woraus eine höhere Bildrate resultiert. Nach dem Deformationsversuch kann man die Zellen wieder rekultivieren oder weiter analysieren.

Blitzschnelle Analyse

Pro Sekunde filmt, analysiert und speichert das System die Daten von mehreren hundert Zellen − die Analyse eines einzelnen Bildes dauert hierbei unter 250 µs. Der hierfür nötige Algorithmus ist in die grafische Programmierplattform LabVIEW eingebettet, die gleichzeitig als Nutzer-Interface dient.

Das System sucht in jedem Bild nach einer Zellkontur, bestimmt deren Grenzen und berechnet die Fläche der Kontur als Zellgröße. Zusätzlich legt es die Zirkularität der Zellen fest. In Ruhe haben suspendierte Zellen im Videobild eine kreisrunde Form: ihre Zirkularität ist Eins. Während der Messung erfasst das Analysesystem jede Verformung und drückt diese mit einer Zahl kleiner Eins aus. Die Zellgröße und die Abweichung von der Kreisform (Verformbarkeit) werden anschließend für jede Zelle in Echtzeit auf einem XY-Plot abgebildet. Auf diesem ist die Zellgröße auf der X-Achse und die Verformbarkeit auf der Y-Achse aufgetragen.

Über die flexibel einstellbaren Flussraten justiert man die Kräfte, die auf die Zellen einwirken, um eine optimale Verformung zu erreichen. Bei Standardmessungen können beliebig viele Flussraten gemessen werden, die Analyse ist hier nur durch die zur Verfügung stehende Zellmenge begrenzt. Zusätzlich erlaubt die frei wählbare ROI eine Vergleichsmessung mit den Zellen im Reservoir. Diese sind keinem mechanischem Stress ausgesetzt und daher nicht verformt. Dementsprechend trennt das System die Populationen nur nach der Zellgröße. Die Verformungs-Experimente sind mit der integrierten Software relativ einfach zu steuern. Eine Kompensation, die in durchflusszytometrischen Messungen häufig zu Problemen führt, ist nicht nötig. Die wichtigsten Informationen, die der Experimentator für die korrekte Datenanalyse einstellen muss, sind die verwendeten Flussraten und die Messposition.

Unterschiedliche Verformbarkeit

Ob eine Zelle weich oder fest ist, hängt größtenteils von ihrem Zellskelett ab. Behandelt man Zellen mit dem Toxin Cytochalasin D, das den Aufbau von Aktinfilamenten inhibiert, erhöht sich die Verformbarkeit und die Zellen werden weicher. Der Auf- und Abbau von Aktin und anderen Zellfilamenten spielt im Verlauf des Zellzyklus, vor allem zwischen der G2- und M-Phase, eine entscheidende Rolle. Bei Deformations-Messungen führt dies zu unterschiedlichen Zellpopulationen.

Auch bei der Ausdifferenzierung von Stammzellen verändern sich Zellfestigkeit und Größe. Stammzellen aus peripherem Blut, die nach Zugabe von G-CSF und Apherese angereichert und mit Hilfe magnetischer CD34-Beads isoliert wurden, sind durchgehend klein (ca. 50 µm2) und steif. Differenzieren sie zu Monozyten, Granulozyten und Makrophagen, ändert sich sowohl ihre Festigkeit als auch ihre Größe. Granulo- und Monozyten werden nur etwas größer als die ursprüngliche Stammzellpopulation (etwa 100 µm2), aber deutlich weicher. Bei Makrophagen verringert sich die Verformbarkeit, gleichzeitig werden sie erheblich größer (zwischen 100 und 300 µm2).

Diese Eigenschaften spiegeln die Funktionalität der Zellen wider und können beispielsweise mit unterschiedlichen Migrationspotentialen verbunden sein. Auch­ ­Zellverbände, also heterogene Populationen, können mit der RT-DC gemessen werden, allerdings muss man diese vor der Messung dissoziieren. Eine Ausnahme bildet Vollblut, das sehr einfach zu messen ist. Hier wird lediglich ein Tropfen von 50 bis 100 µl benötigt, der in MC-PBS resuspendiert und ohne weitere Vorbehandlung wie Erythrozyten-Lyse oder Dichtegradientenzentrifugation analysiert wird. Durch den hohen Anteil roter Blutkörperchen und die damit verbundene hohe Zelldichte, differenziert das System innerhalb von zehn Minuten zwischen vier klar unterscheidbaren Populationen: Erythrozyten, Blutplättchen, mononukleäre Zellen und Granulozyten.

Klein und fest oder groß und weich?

Die roten Blutkörperchen bilden die größte Population mit der stärksten Verformbarkeit und einer Größe von etwa 30 bis 60 µm2 Zellfläche. Die Blutblättchen sind dagegen sehr klein und extrem fest. Dementsprechend sind sie auf dem XY-Plot nahe des Koordinatenursprungs zu erkennen. Eine weitere Fraktion mit Zellgrößen zwischen 30 und 50 µm2 Fläche und ähnlicher Festigkeit wie Blutblättchen bilden die mononukleären Zellen, zu denen die Lymphozyten und Monozyten zählen. Als letzte Population registriert das System die steifen Granulozyten mit einer Fläche von 60 bis 80 µm2. Die Differenzierung der Blutzellen ist bei anderen Techniken mit einem hohen methodischen Aufwand verbunden. Zudem sind physikalische Veränderungen der Zellen mit diesen nicht zu erkennen.

Aufgrund der einfachen und schnellen Probenaufbereitung und des hohen Durchsatzes ist es mit der RT-DC theoretisch möglich, unbegrenzte Zellmengen zu messen. Dies erleichtert das Aufspüren seltener Ereignisse (rare events) oder kleiner Zellpopulationen. So können zum Beispiel geringfügige Änderungen des Blutbildes oder metastasierende Zellen erfasst werden. Diese können auch über längere Zeit beobachtet werden, woraus Rückschlüsse auf Tumoren oder Leukämien möglich sind. Die RT-DC ist deshalb grundsätzlich auch für klinische Anwendungen geeignet, etwa in der Primärdiagnostik oder Laborroutine.






Letzte Änderungen: 05.05.2015