Editorial

Digitalholographische Mikroskopie

3D-Brille für das Mikroskop

Björn Kemper


Mit wenigen Handgriffen wird aus einem ­Standardmikroskop ein holographisches Mikroskop.

Lebenswissenschaftler verwenden holographiebasierte Mikroskopieverfahren noch recht selten, obwohl man mit ihnen viele zellbiologische und geweberelevante Parameter ermitteln kann, die mit anderen Techniken nur bedingt oder gar nicht zugänglich sind.

Ein Beispiel ist die Digitalholographische Mikroskopie (DHM), die sich mit geringem Aufwand in gängige Mikroskopiesysteme integrieren lässt und insbesondere für quantitative in-vitro Lebendzellanalysen interessant ist. Da die DHM berührungslos, zerstörungsfrei und labelfrei arbeitet, und nur einen geringen Aufwand bei der Probenpräparation erfordert, ist sie sowohl zur schnellen Online-Detektion als auch für Langzeituntersuchungen geeignet. Bei Zellmigrations- und Wundheilungsassays lassen sich mit ihr sowohl das Wachstum der Zellen als auch die Migration und Motilität der Zellen darstellen und analysieren. Darüber hinaus erlaubt die DHM, in Gewebeschnitten die lokale Probendichte mit absoluten Parametern zu bestimmen.

Die DHM basiert auf dem klassischen Prinzip der Holographie, das auch die „3D-Fotographie“ verwendet. Im Gegensatz zur 3D-Fotographie wird das Hologramm jedoch nicht auf Fotomaterial aufgenommen, sondern von einem digitalen Sensor, zum Beispiel einer CCD-Kamera erfasst. Dazu durchleuchtet man die Probe, etwa eine Zellkultur in der Petrischale oder einen dünnen ungefärbten Gewebeschnitt, unter dem Mikroskop mit Laserlicht. Die von der Probe transmittierte Lichtwelle speichert man anschließend in einem Hologramm.

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Die Digitalholographische Mikroskopie (DHM) lässt sich auch in Standardmikroskope integrieren: Björn Kemper vor einem für die DHM modifizierten inversen Mikroskop, das mit einer Wärmekammer für die Lebendzellanalyse ausgestattet ist.

Verkippte Referenzwelle

Häufig verwendet man hierzu die sogenannte „Off-Axis“-Holographie. Bei dieser überlagert man das von der Probe transmittierte Laserlicht mit einer leicht "verkippten" Referenzwelle, die die Probe nicht durchlaufen hat. Durch die Überlagerung des Objektlichtes mit der Referenzwelle entsteht auf dem Kamerasensor ein Interferogramm. Dieses kann beispielsweise ein Intensitätsmuster aus parallelen Streifen sein, die in den Abschnitten in denen die Probe die optische Weglänge verändert hat, gekrümmt sind. Bei einer Zellkultur entsteht diese Weglängendifferenz zum Beispiel durch eine variierende Probedicke oder -dichte.

Aus dem digitalen Off-Axis-Hologramm rekonstruiert der Computer mit numerischen Verfahren die aufgezeichnete Lichtwelle. So ist es möglich, aus einem einzigen Hologramm auch nachträglich ein unscharf abgebildetes Objekt zu refokussieren oder einen Bildstapel (Fokus-Stack) zu berechnen. Bildverarbeitungsverfahren erlauben es, die Refokussierung der Proben zu automatisieren und so zum Beispiel einen "Fokusdrift" bei mikroskopischen Langzeituntersuchungen zu korrigieren.

Zur bildlichen Darstellung der im Hologramm gespeicherten Änderungen der optischen Weglänge berechnet der Computer sogenannte Phasenkontrastbilder. Der digitalholographische Phasenkontrast ist im Unterschied zum klassischen differenziellen Interferenz- beziehungsweise Normarskikontrast (DIC) quantitativ. Das hat den Vorteil, dass man ihn für messtechnische Zwecke ausnutzen kann. Beleuchtet man die Proben bei der DHM im Durchlicht, so werden diese wie bei der Hellfeldmikroskopie nur einer geringen Lichtintensität ausgesetzt. Dies ­ermöglicht­ sowohl minimal-invasive Langzeituntersuchungen, als auch Aufnahmen von Hologrammserien mit sehr kurzen Belichtungszeiten sowie die Beobachtung von schnellen dynamischen Prozessen. Die Hologrammaufnahmerate ist letztlich nur durch die Eigenschaften der Hardware (Kamera und Computer) beschränkt.

In unserer Arbeitsgruppe an der Medizinischen Fakultät der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster haben wir die für die DHM nötigen optischen Elemente in ein gängiges inverses Mikroskop integriert. Das hieraus resultierende Mikroskopiesystem ­vereinigt­ die Vorteile eines Standard-Mikroskops samt hochwertigen Objektiven mit dem quantitativen, nachträglich fokussierbaren Phasenkontrast der DHM. Darüber hinaus lässt sich das System mit weiteren Live Cell Imaging-Komponenten ergänzen, wie Wärmekammern oder Modulen zur CO2-Begasung.

Der quantitative DHM-Phasenkontrast ist die Basis für die Bestimmung verschiedener biophysikalischer Parameter, mit denen man die Morphologie, das Wachstum und die Beweglichkeit lebender Zellen labelfrei quantifizieren kann. Aus den gemessenen Änderungen der optischen Weglänge des Lichtes ermittelt man zum Beispiel die Zelldicke und das Zellvolumen einzelner Zellen sowie deren zeitliche Veränderungen, etwa nach Zugabe von Toxinen oder Wirkstoffen.

Kombiniert man den quantitativen Phasenkontrast mit gängigen Verfahren der Bildsegmentierung aus der Fluoreszenzmikroskopie, eröffnen sich neue Möglichkeiten zur Analyse des Zellwachstums. Neben der automatisierten Auswertung der von den Zellen bewachsenen Fläche, misst das System auch die Dicke, das Volumen, die Trockenmasse und die Oberflächenrauigkeit einer Zellkultur sowie deren Zeitabhängigkeit.

Der zelluläre Brechungsindex ist ein weiterer biophysikalischer Parameter, den die digitalholographische Mikroskopie erfasst. Er ist ein Maß für die Verzögerung des Lichtes beim Durchgang durch die Probe und ist proportional zur Konzentration der in der Zelle gelösten Substanzen. Anhand des zellulären Brechungsindexes ist es möglich sowohl die Wasseraufnahme und -abgabe in Zellen als auch die Gewebedichte in ungefärbten dünnen Gewebeschnitten bekannter Dicke ortsaufgelöst zu quantifizieren. Bei diesen Versuchen stellten wir zum Beispiel fest, dass der Brechungsindex mit dem Entzündungsgrad des Gewebes korreliert (Lenz et al., Int. Biol. 5, 624-630, 2013).

Bei geringen Zellzahlen oder adhärent wachsenden Zellen kann man Einzelzellen ­in Serienaufnahmen von quantitativen DHM Phasenkontrastbildern automatisch verfolgen. Die Unabhängigkeit des Verfahrens von der molekularen Struktur der Probe erweist sich hier als großer Vorteil, da zumeist die ganze Probe detektiert wird. So eignen sich zum Beispiel besonders dicke oder dichte Zellareale sowie der Schwerpunkt des Phasenkontrastes einer Zelle für das 2D-Zell-Tracking.

3D-Verfolgung

Kombiniert man das 2D-Zell-Tracking mit der numerischen Refokussierung, lässt es sich nach Kalibrierung des optischen Abbildungssystems zu einem 3D-Tracking Verfahren ausbauen. Auf diese Weise ist es möglich, die Wege (Migrationstrajektorien) von Einzelzellen in einer dreidimensionalen Umgebung, etwa einer Kollagenmatrix, labelfrei zu analysieren.

Da die Probe bei der DHM zumeist mit Laserlicht beleuchtet wird, ist das Verfahren im Vergleich mit anderen Mikroskopietechniken sehr streulichtempfindlich. Aus diesem Grund setzt man die DHM derzeit hauptsächlich bei dünnen oder schwach streuenden Proben ein, etwa bei einlagig wachsenden Zelltypen, dünnen Gewebeschnitten und Gelen mit geringer Kollagenkonzentration.

Die laterale Auflösung der meisten DHM-Verfahren ist, wie bei der Hellfeldmikroskopie, durch die Eigenschaften des abbildenden Mikroskopobjektivs begrenzt. Aktuelle Forschungsergebnisse belegen aber, dass sich mit neuartigen Beleuchtungs- und Abbildungskonzepten und weiterentwickelten numerischen Rekonstruktionsverfahren auch Strukturen mit Abmessungen im Nanometerbereich darstellen lassen. Damit ist selbst eine labelfreie Tomographie mit subzellulärer Auflösung möglich (Cotte et al., Nat. Phot. 7, 113, 2013; siehe auch das Firmenportrait auf Seite 68).






Letzte Änderungen: 13.03.2014