Editorial

Neubelebte Gewebekultur

Modell des Lungengewebes

Andreas Hocke


Schon in den 60er und 70er Jahren kultivierten Wissenschaftler humanes Lungengewebe und setzten es ein, um zum Beispiel antibiotische Substanzen zu testen oder toxikologische Versuche durchzuführen. Heute scheint die Lungengewebekultur aus der Mode geraten zu sein. Das ist bedauerlich, denn sie ist nicht nur für die oben erwähnten Versuche zu gebrauchen sondern eignet sich auch zur Untersuchung der Pathogen-Wirt-Interaktion sowie zur Analyse zugrundeliegender molekularer Signalwege. Ganz nebenbei lassen sich mit ihr Tierversuche reduzieren, deren Einsatz viele Lebenswissenschafter vor ethische und inhaltliche Probleme stellt.

Meine Arbeitsgruppe ander Charité in Berlin hat diese früheren Arbeiten aufgegriffen und ein Modell der humanen Lungengewebekultur etabliert, das als Ausgangspunkt für ein breites Spektrum analytischer Verfahren dient. Unser Gewebemodell soll helfen grundlegende Fragen zum pathophysiologischen Verständnis der Lungenentzündung (Pneumonie) im Menschen zu beantworten. Drängende Fragen sind zum Beispiel: Wie dringen Pathogene in das Lungengewebe ein? Welche Rezeptoren sind auf den Zielzellen für die Erkennung von Pathogenbestandteilen vorhanden? Welche Art der entzündlichen Aktivierung findet in den Zielzellen statt? Welche Signalwege werden unterdrückt? Welches Schicksal erleiden infizierte Zellen und welche möglichen Folgen hat dies für den alveolären Lungenschaden?

Für unser Lungenmodell benötigen wir zunächst ein geeignetes Lungengewebe. Hier ist neben einem Ethikvotum ein funktionierendes Netzwerk zwischen den klinischen Kollegen und dem Laborteam hilfreich, denn frisches humanes Lungengewebe erhält man am besten aus dem OP. Meist werden Patienten wegen Tumoren oder Fernmetastasen an der Lunge operiert, wobei aus anatomischen Gründen auch gesundes Gewebe mit entnommen werden muss. Dieses Gewebe, das vom Pathologen nicht zur Diagnostik herangezogen wird, ist das Ausgangsmaterial für unsere Kultur. Wir transportieren es steril und eisgekühlt auf kürzestem Wege unter die Sterilbench und schneiden es auf einer eisgekühlten Teflonplatte zu.


Homogene Lungenblöcke

Bei der Präparation frischt man zunächst die Schnittränder an und schneidet das Gewebe anschließend mit einem scharfen Skalpell in ein bis zwei Millimeter starke Scheiben. Diese kann man, um homogene Blockgrößen zu erhalten, mit acht bis zehn Millimeter Stanzen standardisieren. Nachdem man die Blöcke für die spätere Normalisierung der Infektion gewogen hat, gönnt man dem Gewebe erst einmal Ruhe und erwärmt es in RPMI-Zellkulturmedium schonend auf Raumtemperatur und schließlich 37 °C. Die Lungenblöcke bleiben dann bis zu den Infektionsversuchen etwa 24 Stunden bei 37 °C und 5% CO2 im Brutschrank. Neben der Akklimatisierung hat die Ruhezeit noch einen weiteren Grund, den man bei Infektionsversuchen mit Bakterien beachten muss. Die Patienten erhalten vor ihrer Operation meist einen Antibiotikaschutz mit Cephalosporinen. Würde man die Bakterien sofort in die Lungengewebekultur geben, würden sie den nächsten Morgen nicht erleben. Durch die Übernachtkultur und einen zwei- bis dreifachen Mediumwechsel kann man das Antibio­tikum effektiv entfernen. Während der Ruhezeit des Gewebes züchten wir die Pathogene mit denen wir das Lungengewebe infizieren und ernten sie schließlich in der mittleren logarithmischen Phase. Neben Influenzaviren und Legionellen arbeiten wir hauptsächlich mit Pneumokokken, den wichtigsten Pneumonieerregern. Lungenzellen erkennen Pathogene und deren Bestandteile über Mustererkennungsrezeptoren. Wir setzen deshalb neben der Infektion mit Pathogenen auch rezeptorspezifische Stimuli beziehungsweise pro-entzündliche Mediatoren als Kontrollen ein. Darüber hinaus verwenden wir chemische Inhibitoren und Aktivatoren, die meist eine Stunde vor der Infektion in die Lunge appliziert werden müssen, um gewünschte Signalwege effektiv zu beeinflussen.

HuLu-Team

Das „HuLu-Team“ um die beiden Charité-Infektionsforscher Andreas Hocke (li.) und Stefan Hippenstiel (re.). Für sein Lungengewebemodell erhielt Hocke kürzlich den Berliner Forschungspreis für Tierversuchs­alternativen.


Damit sich sowohl die Erreger als auch die Substanzen homogen im Lungengewebe verteilen, benötigt man eine geeignete Applikationstechnik. Dafür stellt man sich die Lunge am besten als feines Schwamm-artiges Gewebe vor. Die Alveolen bilden darin die bläschenartige Wandstruktur und die Lufträume, die nur über die Bronchien zugänglich sind. Durch diese Besonderheit findet der Flüssigkeitsaustausch von äußeren und inneren Gewebeanteilen nur langsam statt.

Wir machen es deshalb fast wie im richtigen Leben und applizieren die Pathogene direkt in die Alveolen. Gemäß dem ermittelten Gewicht der Proben standardisieren wir die Menge Pathogen/Lungengewebe und spritzen diese mit einer feinen Nadel (27- 30 G) und sehr schonend in die Alveolen. Das gleiche Verfahren wenden wir bei allen anderen Substanzen und vor allem auch in den nichtstimulierten Kontrollen an.

Wie bei allen experimentellen Modellen entscheidet auch bei unseren Versuchen die Qualität des Eingangsmaterials, sprich des Lungengewebes, über die Güte der Ergebnisse. Regelmäßige Qualitätskontrollen sind deshalb unerlässlich. Um zu sehen, ob das Gewebe durch Transport, Präparation, oder Kultivierung so geschädigt wurde, dass Apoptose und Nekrose bereits ihren Lauf nehmen, führen wir LDH-Zytotoxizitäts-Assays und histologische Untersuchungen durch. In der Regel schaffen wir es problemlos, die Proben 72 Stunden zu kultivieren. Dabei kommt uns entgegen, dass Lungeninfektionen mit den genannten Pathogenen in der Regel akut verlaufen und wir in unserem Sonderforschungsbereich (SFB-TR84) insbesondere an den Mechanismen der angeborenen Immunität der Lunge interessiert sind.

Schneller Aufschluss

Nach Ablauf der gewünschten Infektionszeiten analysieren wir sowohl die Überstände als auch das Gewebe. Dafür muss man es zunächst entsprechend aufarbeiten. Für die meisten RNA- und Proteinanalysen sammeln und lagern wir die Proben bei -80 °C. Histologische Proben kommen in Paraformaldehyd und werden anschließend in Paraffin eingebettet. Der Aufschluss von Gewebekulturen kann sich gerade bei sehr Kollagen- und Elastin-haltigen Geweben als schwierig erweisen und eine hohe Varianz bei der Analyse verursachen. Hier nutzen wir ein auf Trockeneis basierendes automatisches Homogenisierungsverfahren, bei dem mit Kügelchen gefüllte Reaktionsgefäße zum einsatz kommen (Fast-Prep). Mit diesem kann man dutzende Proben rasch aufarbeiten und daraus Proteine und RNA isolieren. Die schnelle Verarbeitung schont zudem die Erreger. Dies hat den Vorteil, dass man sowohl Viren-Replikation als auch Bakterien-Wachstum verfolgen kann, die letztlich zu den entzündlichen Reaktionen der Zellen im Lungengewebe führen. Um diese mit der zellulären Expression und Freisetzung von Zytokinen, Chemokinen oder Lipidmediatoren korrelieren zu können, messen wir die aufgeschlossenen Lysate und Überstände schließlich mit Standardtechniken wie ELISA, Luciferase-Assays oder Massenspektrometrie.

Signalentmischung

Kombiniert man die Lungengewebekultur mit histologischen Verfahren und der Konfokalmikroskopie, so erhält man zelltypspezifische Aussagen etwa zur Erregerinvasion oder zur subzellulären Proteinlokalisation. Bisher war die Autofluoreszenz von Lungengewebe ein großes Problem, wenn man schwach exprimierte Signale im Gewebeverband auseinander halten wollte. Mit der neuentwickelten Methode der spektralen Entmischung von Fluoreszenzsignalen ist auch dieses Problem lösbar.

Mit einem Spektraldetektor nimmt man dazu von jedem eingesetzten Fluorochrom und der Gewebeautofluoreszenz ein charakteristisches Emissionsspektrum auf. Mit einem linearen Entmischungsalgorithmus trennt man anschließend überlappende Signale und ordnet sie unterschiedlichen Kanälen zu. Durch Mehrfachmarkierungen von Zellen können wir so zum Beispiel sehen, ob diese infiziert sind, um welchen Typ es sich handelt und welche Proteine sie gerade exprimieren.

Wir sind derzeit dabei, eine Methode zu entwickeln, mit der man den kritischen Schritt der Gewebe-Präparation ohne Skalpell und Pinzette durchführen kann. Bei diesem „Precision Cut Lung Slice“ Verfahren entstehen Gewebeschnitte von 100 bis 200 µm. Zusammen mit verbesserten Kulturbedingungen soll uns dies helfen, den Infektionsprozess über Life Cell Imaging zu beobachten. Damit ließen sich zum Beispiel auch Fluoreszenzprotein-gekoppelte Proteine verfolgen, die man im Lungengewebe exprimiert.




Letzte Änderungen: 30.11.2011