Editorial

Die Tricks der Glasmessermacher

Mikrotommesser-Herstellung

Patrick M. Heidrich


Frisch freigebrochene Glasmesser gehören zu den schärfsten bekannten Schneiden. Das machen sich Histologen zu nutze, wenn sie frisch gebrochene Glasprismen in Mikrotome einsetzen, und mit diesen Gewebeproben in feine Scheiben schneiden.

Viele Histologen gewinnen ihre Mikrotom-Messer aus Glasstreifen, die sie in Glasbrech-Geräten (Knife-Maker) erst zu Quadraten und dann zu Dreiecken ritzen und brechen. Da Glas eine unterkühlte Schmelze ist und frisch gebrochene Glasmesser ihre Schärfe mit der Zeit verlieren, kann man Histologen des öfteren dabei beobachten, wie sie einen frischen Satz Glasmesser herstellen.

Viele brechen die Quadrate einfach peu à peu von den vorgefertigten Glasstreifen ab. Dies sollte man aber vermeiden, da es den Ausschuss erhöht. Stattdessen empfiehlt es sich, die Glasstreifen erst zu halbieren, dann zu vierteln und erst dann die Quadrate von den Streifen zu brechen. Die so produzierten Glasquadrate (25 x 25 x 6 mm) fallen deutlich homogener aus. Beim „Freibrechen“ der Klingen während des Brechens der dreieckigen Messer aus den Quadraten ist Feingefühl gefragt. Ich habe gute Erfahrungen damit gemacht, die Vorspannung des fixierten Glasquadrates durch den Einspann-Kopf (Clamping Head) des Knife-Makers mit dem Feststell-Hebel (Locking Lever) schon sehr hoch zu setzen. Dann reicht oft schon ein kurzer Dreh am Bruch-Knopf (Breaking Knob), um das Freibrechen auszulösen. Erhöht man den Druck durch Drehen des Breaking Knob zu schnell, ist die Geschwindigkeit des sich „frei“ durch das Glas fortsetzenden Bruchs zu hoch und der Ausschuss nimmt zu.

Ritzen und Hauchen

Nach dem Ritzen hauche ich das schon unter Vorspannung stehende Glasquadrat an, bis sich deutlich sichtbar Kondenswasser niederschlägt. „Warum?“, werden Sie sich fragen. Ich habe in den achtziger Jahren einmal in einer Ausgabe von Spektrum der Wissenschaften einen Artikel über die Katalyse von Brüchen in amorphen Materialien gelesen. Dort wurde erwähnt, dass Wasserdampf in der Lage ist, fortschreitende Brüche in Glas zu katalysieren. Ich setze das Glas also unter Vorspannung, ritze einmal (!), hauche und erhöhe minimal die Spannung mit dem Breaking Knob, bis der Bruch langsam beginnt, in das Glas einzuwandern. Dies ist nur mit wirklich guten Augen oder unter der Lupe zu sehen. Danach rühre ich den Knife Maker möglichst nicht mehr an und beobachte, wie sich die Bruchfront von oben nach unten durch das Glas vortastet. Probieren Sie es aus, die Ergebnisse werden Sie überraschen.

Nachdem die Glasmesser gebrochen sind werden sie staubgeschützt gelagert oder – falls erforderlich – mit Trögen versehen, die aus Metallklebefoliestreifen gefertigt sind (Abb. 1, Punkt 1). Diese Tröge füllen Histologen aber nicht mit Kraftfutter oder Legemehl wie dies bei Futtertrögen in Schweine- oder Hühnerställen üblich ist, sondern mit bidestilliertem Wasser. Auf diesem schwimmen die Schnitte während des Mikrotomierens von der Messerklinge (Abb. 1, Punkt 4) auf und man kann sie mit Haarmanipulatoren aus dem Trog heraus fischen.

Kennen Sie das? Man sitzt im Kaffeeraum und blättert verträumt in dem Katalog des bekannten Wetzlarer Vertreibers für Elektronen-Mikroskop Artikel und denkt sich „Das hätte ich auch ganz gerne“. Falls es Sie nach langen Trögen für die hergestellten Glasmesser gelüstet, können Sie diese auch selbst herstellen. Der mittels Klebeband (üblicherweise 9 mm Breite) geformte Trog muss nicht notwendigerweise eng an der Rückenseite des Glasmessers verlegt werden. Ich klebe die Folie so, dass ein bis zu 18 mm langer Trog entsteht. Den Luftspalt zwischen Messerrücken und Trog kann man durch mehrmaliges Auftropfen und Erkalten des zur Trog-Abdichtung verwendeten Dentalwachses schließen (Abb. 1, Punkt 2). Alternativ können Sie versuchen, breitere Metallklebefolie aus dem Baumarkt zu verwenden. Mit solchen Messern können Sie auch mehrere Quadratmillimeter große Semidünnschnitte (im Laborslang: „Teppich-Semis“) schneiden, ohne dass es im Trog zu Platzproblemen kommt. Teppich-Semis schneiden Histologen in der Regel, wenn sie sich einen schnellen Überblick über eine Probe verschaffen wollen.

Wenn man die Tröge klebt, ist es sinnvoll den Freiwinkel, mit dem man das Mikrotom-Messer betreiben will, zu berücksichtigen (Abb. 1, Punkt 3). Die Kante der Klebefolie sollte einen ungefähren Neunziggradwinkel mit dem gedachten Lot des Freiwinkels bilden (siehe Abb. 1), etwas Augenmaß ist dafür von Vorteil. Andernfalls kleben Sie sich einfach am Sitzplatz des Knife Makers zwei, oder mehrere Markierungen für die Horizontale und häufig genutzte Freiwinkel. So vermeiden Sie, dass im hinteren Bereich des mit Wasser gefüllten Troges Teile des Metallfolienbandes unbenetzt bleiben und Schnitte an dessen Klebebeschichtung hängen bleiben. Falls Sie dennoch Probleme mit „hängenden“ Schnitten haben, versuchen Sie mal, die selbsthaftenden Innenflächen der Tröge mit Holundermark (dazu später mehr) abzureiben, um dem Kleber seine Zähne zu ziehen.


Glasmesser 1

Abbildung 1: Schema eines frisch gebrochenen Glasmessers mit aufgeklebtem Folien-Trog (1). Der Trog wird mit Dentalwachs (2) abgedichtet und mit Wasser gefüllt. Von der Messerklinge (4) geschnittene "Ultras" schwimmen auf der Wasseroberfläche auf.



Glasmesser 2

Abbildung 2: Jetzt kann es losgehen. Das Glasmesser mit wasserbefülltem Trog ist in den Messerhalter des Mikrotoms eingespannt und wartet darauf die Probe in hauchdünne Scheiben zu schneiden.




Diamonds are a Histologists best friends

Glasmesser haben für Routineanwendungen ihre absolute Berechtigung, etwa wenn man die räumliche Ausrichtung des eingebetteten Objektes bezüglich der Messerschneide während der Schneid-Vorbereitungen prüfen, „Semis“ schnell und stressfrei herstellen oder besonders harte Proben mikrotomieren will. Irgendwann aber ist der Punkt erreicht, an dem man es leid ist, „Ultras“ (Ultradünnschnitte) nur mit Glasmessern zu schneiden. Es folgen ein oder auch mehrere Gespräche mit dem Chef, und dann kommt (hoffentlich) der Tag, an dem man seinen ersten „Diamanten“ beim Arbeitsgruppenleiter abholen darf.

Als Diamanten bezeichnen Histologen ein Mikrotommesser mit einer polierten Diamantklinge, die in einen gefrästen Aluminiumtrog eingefasst ist. Endlich verliert das massenhafte Schneiden von Ultras etwa für histochemische Markierungen, wo schnell zwanzig, dreißig oder mehr Netzchen (vgl. LJ 3/04, 11/09) am Start sind, seine Schrecken. Von nun an ist das Schneiden von Ultras zeitlich sicher planbar und man ist in der Liga der Mikrotomisten angekommen, die eine Lizenz für das Schneiden mit dem Diamanten haben.

Ich habe dieses Szenario 1998 erlebt. Anschließend saß ich im Kaffeeraum mit meiner bereits in LJ 2/10 erwähnten geschätzten Kollegin zusammen und stellte den kleinen Kunstharz-Quader auf den Tisch der das Messer schützte. Ich klappte diesen wie eine Juweliersbox aussehenden dickwandigen Klotz mit kostbarem Innenleben auf und schob ihn stolz zu meiner Kollegin hinüber. Nach einem kurzen Moment des Schweigens sagte sie scherzhaft: „Ist das ein Antrag?“. Es ist anders gekommen, schade eigentlich!

Reinigen Sie ihre Messer mit Holundermark? Wissen Sie auch, wie man an Holundermark gelangt? Das Geheimnis, ohne großen Aufwand oder finanzielle Exzesse an das Mark zu gelangen, sind Wassertriebe, die an den gebogenen Hauptästen des Holunderstrauches senkrecht in die Höhe wachsen und nach kurzer Wachstumsphase absterben. Das Wissen darum verdanke ich einer Mitarbeiterin am Institut für Botanik in Münster. Sammeln sollte man keine lebenden Wassertriebe sondern nur solche, die schon erkennbar seit Monaten abgestorben sind. Wassertriebe, die schon zu lange vor sich hin faulen, lassen Pilze und Bakterien eindringen, die die Qualität des Marks reduzieren. Derartige Triebe sollte man verwerfen. Idealerweise kann man das Mark in langen Stücken aus den Internodien ziehen, da es nach dem Absterben des Triebes austrocknet, sich in der Folge zusammenzieht und von der Rindenschicht ablöst. Ich habe Holundermark immer während der von mir geführten botanischen Exkursionen gesammelt, und so das Angenehme mit dem Nützlichen verbunden. Und für Holundermark finden sich ja auch noch andere dankbare Abnehmer, denken Sie an die Botanischen Praktika, in denen Holundermark als „Einbettmedium“ für die Anfertigung von Handschnitten zarter Proben verwendet wird. Machen Sie sich institutsintern Freunde!


Holunderstrauch

Abbildung 3: An diesem Holunderstrauch sind die senkrecht in die Höhe schießenden markhaltigen Wassertriebe deutlich zu erkennen (rote Pfeile).



Haarige Manipulatoren

Hat man Glas-, beziehungsweise Diamantmesser und Holundermark griffbereit und sitzt am Mikrotom, ist ein Manipulator für vieles hilfreich. Man benutzt ihn, um Semidünnschnitte nach dem Wäscheleinenprinzip aus dem Wasser aufzunehmen und auf Objektträgern zu plazieren, Schnittabfälle von den Klingen zu entfernen oder Ultra-Schnittbänder in Untereinheiten aufzutrennen und über abgetauchte Netzchen zu bugsieren. Ich stelle diese Manipulatoren aus Glasmikrokapillaren (5 ml) her, in die ich mittels Cyanacrylat Haare einklebe. Häufig werden dazu Augenbrauen oder Kopfhaare verwandt, ich aber bevorzuge die besondere Spannkraft meiner Barthaare für die Mikromanipulation. Weibliche Experimentatoren sind hier natürlich im Nachteil. Ich überlasse es Ihrer Fantasie, andere Quellen zu finden. Fragen, Anregungen, Kommentare? patrick.m.heidrich@web.de




Letzte Änderungen: 16.09.2010