Editorial

Motivieren statt monologisieren

Tipps für bessere Lehre

Gerd Klöck


Die Grundvorlesung im großen Hörsaal hält meist der Chef persönlich, in Seminare und Praktika schickt er dagegen seine Wissenschaftlichen Mitarbeiter. Was Lehrende generell beachten sollten, erklärt der vorlesungserfahrene Bioverfahrenstechniker Gerd Klöck.

Irgendwann kommt sie, die erste Vorlesung: Nein, nicht die im ersten Semester, sondern die erste, die man selbst vor Studenten hält. Oft ist man auf das erste mal gar nicht vorbereitet, aber die Bitte der Laborchefin, sie doch in der kommenden Woche zu vertreten, wird kaum jemand abschlagen. Mit Fachvorträgen auf Tagungen hat man ja schon Erfahrung. Außerdem kennt man Vorlesungen zu genüge aus seiner eigenen Studentenzeit, es wird also schon gut gehen – das tut es in der Praxis aber so gut wie nie.

Selbst Vortragenden die sich inhaltlich perfekt vorbereitet haben und professionelle Powerpointfolien verwenden, kann es passieren, dass sich die ersten Zuhörer schon nach einer halben Vorlesungsstunde geistig verabschieden. Woran liegt das und wie lässt sich erkennen, ob die Studenten überhaupt etwas verstanden haben?

Im Vertrauen darauf, den Stoff selbst gut zu verstehen, meinen viele diesen nur gut erklären zu müssen, damit ihn auch andere kapieren. Das funktioniert aber nur in den seltensten Fällen. Um Wissen zu vermitteln braucht es mehr als wortreiche Erklärungen. Die meisten Unis wissen dies und bieten den Lehrenden hochschuldidaktische Weiterbildungen an. Allerdings ist gerade bei jungen Biowissenschaftlern das wissenschaftliche Interesse häufig stärker ausgeprägt als das für die Wissensvermittlung. Sonst wäre man ja auch Biologielehrer geworden und nicht Molekularbiologe. So mancher wurstelt sich durch die wöchentlichen Lehrveranstaltungen, vermittelt sein Wissen frontal und ist am Ende erschöpft und wundert sich, warum bei den Studenten nichts hängen bleibt.

Was wir als Vorlesungen kennen sind nur allzu oft monologisierende Versuche der Wissensvermittlung. Frontale Vorlesungen bringen den Hörern schon nach einer halben Stunde kaum noch einen Wissenszuwachs, das lässt sich empirisch zeigen. Nicht viel besser sieht es aus, wenn man den Stoff im Frage-Antwort-Dialog mit den Studierenden erarbeiten möchte. Meist spricht man hierbei immer wieder die gleichen zwei bis drei Personen an, während die Übrigen von den Fragen entweder überfordert oder unterfordert sind, oder den roten Faden verlieren und nicht mehr folgen können.

Motivation entwickelt sich, anders als viele junge, ehrgeizige Biowissenschaftler meinen, nicht allein aus fachlichem Interesse. Um Studierende nachhaltig dazu zu bringen, sich in ein Fach einzuarbeiten, sollte man neben der fachspezifischen Neugier weitere studentische Grundbedürfnisse berücksichtigen. Dazu sollte man ihnen zunächst klarmachen, dass sie mit dem gelernten Stoff selbst arbeiten müssen. Reines auswendig lernen vermittelt noch keine Hinwendung zu den Inhalten, sondern ist auf Neudeutsch ausgedrückt reines Bulemie-Lernen. Zudem muss man den Studierenden das Gefühl geben, dass sie im Mittelpunkt des Dozenten-Interesses stehen. Häufig ist das nicht der Fall, weil der Dozent nur mit dem Stoff durchkommen will und die Studierenden gefälligst zuhören und den Inhalt der Vorlesungen nacharbeiten sollen bis er sitzt. Genauso wichtig ist, dass sich die Studierenden an einer Arbeitsgruppen-Diskussion fachlich beteiligen können ohne den Eindruck zu haben, als Diskussionspartner nicht akzeptiert zu sein.

Lehre
Wer Studenten in Vorlesungen bei der Stange halten will, sollte sie nicht zu lange mit frontal vorgetragenen Monologen quälen.



Dozent als Reiseführer...

Den Studierenden fehlt naturgemäß ein umfassender fachlicher Überblick über das Studiengebiet. Deshalb sollte der Dozent zu Beginn jeder Vorlesungsstunde für alle verständlich und klar formulieren, wohin die Reise in dieser Stunde geht, und was in diesem Zusammenhang besonders zu beachten ist. Umso leichter fällt es dann den Zuhörern, während der Vorlesung den roten Faden zu erkennen und auch zu behalten. Aus der Lernforschung wissen wir, wie Menschen Information aufnehmen und verarbeiten, warum nutzen wir diese Erkenntnisse nicht auch im Vorlesungsalltag? Nach maximal einer halben Stunde, so Lernforscher, ist der Lernstoff-Speicher zu einer bestimmten Fragestellung gefüllt und nimmt nichts mehr auf. Deshalb sollte der Vortragende nach dieser Zeit mit einem neuen Thema, einem weiteren Aspekt oder einer anderen Aufgabe einen neuen Aufmerksamkeitsbogen spannen. Vorlesungen haben den Vorteil, dass Studierende direkt Fragen zum vermittelten Stoff stellen können, allerdings tun sie dies viel zu selten. Die Ursache ist im einfachsten Fall Desinteresse. Vielleicht wollen die Studenten aber auch den Dozenten nicht unterbrechen, haben den roten Faden verloren, oder können nicht genau erklären, was sie denn nicht verstanden haben. Ich habe in meinen Veranstaltungen gute Erfahrungen damit gemacht, den Hörern anzubieten, mir ihre Fragen rechtzeitig vor der folgenden Vorlesungsstunde per E-mail zu schicken. Die Fragen werden dann anonym zu Beginn der Veranstaltung besprochen und ich erhalte eine unmittelbare Rückkopplung über das, was fachlich angekommen ist.

...und Motivationstrainer

Nach meiner Erfahrung sind Studierende sehr gut zu motivieren, wenn sie unmittelbar erleben, was sie mit dem gerade Gehörten anfangen können. In kurzen Unterbrechungen der Vorlesung stelle ich den Hörern deshalb anwendungsorientierte Aufgaben. So sollen sie zum Beispiel Vorschläge erarbeiten, wie man eine bestimmte Aussage experimentell prüfen könnte, ob sich ein gerade behandeltes Rezeptormolekül als Target für eine Therapie eignet, oder wie eine Zelle auf einen bestimmten Stressreiz reagiert. Die Zuhörer sollen diese Aufgaben in Kleingruppen erörtern und dürfen die dazu nötigten Informationen aus dem Internet und der Literatur holen. Nach etwa zwanzig Minuten gemeinsamer Recherche präsentieren die Gruppen schlaglichtartig die Resultate und stellen die Ergebnisse zur Diskussion. Die Rückmeldung der Studierenden auf diese Übungen war stets positiv, offensichtlich erleben sie sich dabei nicht nur in der Rolle des Lernenden, sondern erkennen, dass sie mit dem erworbenen Wissen schon erste selbständige Schritte in der Welt der Wissenschaft gehen können.

Jeder Dozent weiß aus eigener Erfahrung, dass die Verarbeitung des eigenen Wissens am intensivsten ist, wenn man dieses an andere weitergeben muss. In einigen Fortgeschrittenenkursen lassen wir daher Studierende kurze Lehreinheiten zu prüfungsrelevanten Fragestellungen (etwa das Funktionsprinzip einer Messmethode oder die besonderen Eigenschaften eines Proteins) erarbeiten. Diese müssen sie den übrigen Kursteilnehmern präsentieren und dann im Team solange diskutieren, bis alle das Gefühl haben, die Sache verstanden zu haben.

Als Biowissenschaftler verbringt man einen großen Teil des Studiums im Labor. Wir nutzen diese Laborphasen, um über die laborpraktische Erfahrung hinaus durch anwendungsbezogene Planspiele Aspekte der Berufspraxis wie Qualitätssicherung wissenschaftlicher Arbeit, Projekt­organisation oder auch die wirtschaftliche Bedeutung der behandelten Verfahren zu vermitteln. Ein nach meiner Erfahrung erfolgreiches Planspiel geht zum Beispiel davon aus, dass die Praktikumsteilnehmer Mitarbeiter der F&E Abteilung eines Unternehmens sind, die beispielsweise, eine Machbarkeitsstudie zur Entwicklung eines neuen Enzympräparats in Reinigungsmitteln für industrielle Anwendungen erstellen sollen (Achstetter & Klöck, Biologen in der Industrie. Spektrum Verlag 2009). Das Team erhält bei Projektbeginn nur den Einsatzbereich des gewünschten Produkts, es gibt kein Skript und keine weiteren Detailinformationen. Die Studierenden sollen die Aufgabe selbständig in Arbeitspakete strukturieren (Literatur- und Patentrecherche, Testentwicklung, Screeningverfahren, Marktstudie etc.) und in einer vorgegebenen Zeit bearbeiten. Hat das Team eine aussagekräftige Machbarkeitsstudie ausgearbeitet, präsentiert eine erfahrene Person aus der Wirtschaft (Advisory Board der virtuellen Firma) diese in einer Vortragsveranstaltung.

Wie Studierende lernen, bestimmt im wesentlichen die zu erwartende Prüfung. Auch wenn der Student in der Vorlesung nicht richtig mitkam, kein Interesse hatte oder den Stoff inhaltlich nicht verstanden hat, kann er eine Prüfung, die auf reiner Abfrage von Fachwissen beruht, durch stupides Bulemie-Lernen in der Regel bestehen. Dagegen regen Prüfungen, in denen die Studenten mit dem Fachwissen etwas anfangen müssen, zum echten Lernen an. Also: nicht einfach eine faktenbasierte Klausur schreiben, sondern die Studierenden ein Poster entwerfen, eine Patentidee formulieren, ein Experiment zur Prüfung einer Hypothese vorschlagen, eine Geschäftsidee entwickeln oder ein zuvor unbekanntes Paper zusammen fassen lassen.



Letzte Änderungen: 26.04.2010