Superauflösende Mikroskopie für jeden - ONE-Mikroskopie

Mario Rembold


Editorial

(06.09.2022) Von der Superauflösenden Mikroskopie konnten viele Gruppen bisher nur träumen, weil die Geräte zu teuer sind und ihre Bedienung kompliziert ist. Mit der One-Nanometer-Expansionsmikroskopie könnte sich dies ändern.

Die Beugungsgrenze der Lichtmikroskopie ist längst überlistet: Seit STED, STORM und Co. unterscheiden Forscher per Fluoreszenzmikroskopie auch Strukturen, die enger als 200 bis 300 Nanometer auseinanderliegen. Theoretisch möglich sind einstellige NanometerWerte in der Auflösung – in der praktischen Anwendung gibt es aber noch diverse Hürden.

Mit der Expansionsmikroskopie erweiterten die Zell- und Proteinforscher ihren Werkzeugkasten unlängst um einen weiteren Trick. Nicht Optik und Technik rund um das Mikroskop stehen im Vordergrund, sondern die Probenpräparation. Man bettet das Präparat in ein Gel ein, das in Wasser aufquillt. Gewebe, Zellen und die darin enthaltenen Strukturen dehnen sich ebenfalls aus. Zwei Objekte, die in der Zelle nur 50 Nanometer voneinander entfernt sind, hätten nach zehnfacher Expansion einen Abstand oberhalb der Beugungsgrenze und wären somit prinzipiell im Lichtmikroskop räumlich unterscheidbar.

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Entscheidend bei der ONE-Mikroskopie ist die gleichmäßige Ausdehnung der Zellstrukturen. Foto: Gruppe Rizzoli

Editorial

Was nach einer simplen Methode klingt, erfordert aber mehr Aufwand, als mal eben einen Luftballon aufzupusten oder einen Teig gehen zu lassen: Das Gel muss genauso gleichmäßig expandieren wie alle Strukturen, die darin sichtbar sein sollen. Das Koordinatensystem mit den Bildpunkten darf nicht verzerrt werden, damit man den Expansionsfaktor als Maßstab für alle Richtungen tatsächlich anwenden kann. Für diese isotrope Expansion muss nicht nur die Gelmatrix stimmen. Es sind auch spezielle Ankermoleküle nötig, um Proteine oder andere Biomoleküle an der Gelmatrix zu befestigen. Zudem ist es wichtig, vor allem in den größeren Proteinen einige Bindungen aufzubrechen. Auch Proteinkomplexe müssen möglichst gleichmäßig auseinandergezogen werden, damit man die Abstände sinnvoll umrechnen kann. Also gilt es, große Proteinstrukturen zu zerteilen und sicherzustellen, dass die Einzelfragmente ebenfalls in der Gelmatrix verankert bleiben.

Ein Team unter Federführung von Silvio Rizzoli, Universität Göttingen, entwickelte ein Verfahren, das Expansionsmikroskopie und superauflösendes Imaging miteinander verbindet. Es nennt die Methode ONE-Mikroskopie, wobei das Akronym für One-Nanometer-Expansion steht. Damit ist die Mission der Gruppe klar: Sie will mit der Technik Zellstrukturen in der Größenordnung eines Nanometers identifizieren und lokalisieren können. Im August haben die Forscher hierzu ein Manuskript vorab auf bioRxiv veröffentlicht (doi: 10.1101/2022.08.03.502284).

Aufgeblähte Superauflösung

Zellbiologen hatten auch schon vorher Expansionsmikroskopie und Superauflösung kombiniert, allerdings mit Einschränkungen. Einige nennt die Gruppe in der Einleitung ihres Preprints: Die Fluorophore entfernen sich beim Aufquellen der Gelmatrix voneinander, sodass sich durch deren Verdünnung auch das Signal abschwächt. Andererseits sind auch zu dicht liegende Fluoreszenzmarkierungen schlecht für die Bildgebung. Ist der Abstand zwischen zwei Fluorophoren geringer als zehn Nanometer, so können sie Energie untereinander transferieren. Die Folge ist ein unkontrolliertes schnelles Blinken und damit einhergehend das Ausbleichen der Fluorophore.

Gerade für Einzelmolekül-Lokalisierungs-Verfahren wie dSTORM wäre es also in vielen Situationen vorteilhaft, Proben zunächst zu expandieren. Jedoch erfordern diese Methoden spezielle Pufferlösungen, die sich schlecht mit der Expansionsmikroskopie vertragen. Damit das Gel wie gewünscht expandiert, muss man destilliertes Wasser zugeben. Ionen in der Lösung stören jedoch die geladenen Gruppen der Gelmatrix und damit das Aufquellen.

Für die Experimente wählte Rizzolis Team daher die Super-Resolution-Radial-Fluctuations- oder kurz SRRF-Technik, die nicht auf eine spezielle Hardware am Mikroskop aufbaut und auch keine besonderen physikalisch-chemischen Bedingungen für die Fluorophore voraussetzt. Sie beruht stattdessen auf einem computergestützten Auswertungsverfahren (Int. J. Biochem. Cell. Biol. 101: 74-9).

Der Algorithmus sucht in den Bildern nach Pixeln, die zu einem Fluorophor gehören. Aus diesen generiert er Subpixel und orientiert sich an der Symmetrie der Umgebung. Letztere ist immer dann besonders radialsymmetrisch, wenn der Punkt zu einem einzelnen Fluorophor gehört. Der errechnete Wert nennt sich dementsprechend Radialität. Theoretisch sollte SRRF genauer als zehn Nanometer auflösen. Tatsächlich aber erreicht man in der Zellbiologie bestenfalls 50 bis 70 Nanometer, weil überlappende Fluorophore die Radialität verringern. Ein gutes Argument also für den Einsatz der SRRF in der Expansionsmikroskopie.

Neben den räumlichen Symmetrie-Eigenschaften wertet die Software auch zeitliche Informationen mithilfe mehrerer hintereinander aufgenommener Bilder aus. Die Idee dahinter: Das Bildrauschen ist über die Zeit zufällig, ein Fluorophor hingegen erzeugt über die gesamte Messdauer hinweg lokal hellere Pixel. Rizzolis Team fertigte daher für jede Probe Filme aus mehreren hundert bis tausend Bildern an – ideal sind laut der Gruppe 1.500 bis 2.000 Frames pro Probe.

Zehnfache Größe

Rizzolis Mannschaft überlegte, ob Expansionsmikroskopie und SRRF gemeinsam bessere Ergebnisse liefern könnten. Dazu führte sie Experimente sowohl per Konfokalmikroskopie als auch mittels Epifluoreszenz-Imaging durch. In ein X10-Gel eingebettet expandierten die Forscher das untersuchte Material auf die zehnfache Größe.

Um der ONE-Mikroskopie auf den Zahn zu fühlen, schaute sich das Team verschiedene Strukturen an, darunter auch Mikrotubuli. Es ermittelte eine Auflösung von 0,8 bis 1 Nanometer. Der gemessene Durchmesser der Mikrotubuli (unter Berücksichtigung der Expansion) deckte sich mit Werten aus anderen mikroskopischen Studien: Bei Markierung über sekundäre Antikörper betrug er 60 Nanometer, mit den deutlich kleineren sekundären Nanobodies lag er bei 30 bis 35 Nanometern. Wie auch sonst in der Fluoreszenzmikroskopie muss man beim Vermessen auf diesen winzigen Skalen auch die Größe der Label-Moleküle mit berücksichtigen.

Aus einem grün fluoreszierenden Protein (EGFP) mit einem speziellen Epitop-Tag (ALFA-Tag) und drei daran bindenden Nanobodies bastelten die Wissenschaftler einen künstlichen Proteinkomplex, den sie mit mehreren Fluoreszenzmolekülen markieren konnten. Den Proteinkomplex bezeichnen sie als Triangulate Smart Ruler (TSR). Aus den lokalisierten Fluorophoren erzeugten Rizzolis Mitarbeiter Bilder und legten die Grafiken mit einem per Software vorhergesagten Modell des TSR übereinander. Die Pixel zu den Fluorophoren ließen sich passend auf die Positionen im TSR-Modell projizieren.

Um zu zeigen, dass die ONE-Mikroskopie auch die Form von Proteinen aufdecken kann, fertigten die Forscher Aufnahmen diverser Immunglobuline sowie eines GABA-Rezeptors an. Darüber hinaus untersuchten sie das Aussehen von Otoferlin, einem Protein, das für das Hören und die Verarbeitung akustischer Informationen essenziell ist. Am Otoferlin konnte die Gruppe auch Calmodulin lokalisieren und anhand der generierten Bilder sogar unterschiedliche Calmodulin-Konformationen identifizieren, je nachdem ob Calcium gebunden war oder nicht.

Tatsächlich gilt die Expansionsmikroskopie als besonders vielversprechend unter Neurowissenschaftlern, die Prozesse an den Synapsen untersuchen (siehe dazu auch „Aufgeplusterte Zellen unter dem Nanoskop“ in LJ 6/2021 - Link). Dort liegen viele Proteine dicht beieinander, sodass ein Aufblähen der Probe den Blick auf das Geschehen erleichtert. Auch Rizzolis Tüftler visualisierten diverse synaptische Proteine und Vesikel per ONE-Mikroskopie, um das Potenzial der Methode unter Beweis zu stellen. Dazu präparierten sie Material aus neuronalen Zellkulturen.

Zu guter Letzt präsentieren die Forscher Ergebnisse aus einem Experiment zur Parkinson-Diagnostik. Aus Liquor-Proben untersuchten sie die Akkumulation von α-Synuclein (ASYN) zu Proteinaggregaten und verglichen Parkinson-Patienten mit gesunden Kontrollpersonen. Mithilfe der ONE-Mikroskopie fanden sie einen signifikant erhöhten Anteil kleiner Assemblierungen von ASYN in Spendern mit Parkinson. Strukturen kleiner als 50 Nanometer kamen hier häufiger vor, während es keine Unterschiede bei größeren Aggregaten gab. ASYN-Aggregate, so schlussfolgern die Forscher, kommen demnach als Biomarker für die Parkinson-Diagnostik in Frage.

Im Diskussionsteil des Manuskripts resümiert die Gruppe, dass sie mit einem 15 Jahre alten Standard-Konfokalmikroskop in der Lage ist, Auflösungen unterhalb eines Nanometers zu erzielen. Die ONE-Mikroskopie ermögliche damit vielen Laboren die superauflösende Bildgebung. Mit einem X10-Gel lässt sich die faktische SRRF-Auflösung von etwa 70 Nanometern um eine Zehnerpotenz verbessern. Der zeitliche Aufwand liege bei drei bis vier Tagen für die Immunfärbung und Expansion, während das Imaging ausgewählter Regionen zwischen 35 Sekunden und zwei Minuten dauere.

Das Rizzoli-Labor hat bereits eine Website zur ONE-Mikroskopie eingerichtet, auf der demnächst ein freies Open-Source-Softwarepaket sowie Java-Files und ein Handbuch erhältlich sein werden (rizzoli-lab.de/one-microscopy).