Verrückte Mitoribosomen

Karin Hollricher


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Illustr.: NCCR RNA & Disease

Editorial

(08.12.2019) BERN/ZÜRICH: Zehn Jahre nach der Nobelpreisvergabe für die Struktur und Funktion von Ribosomen veröffentlichen Schweizer Forscher neue spannende Strukturdaten von Mitoribosomen – den Ribosomen in den Mitochondrien.

Trypanosomen sind in vielerlei genetischer und zellbiologischer Hinsicht anders als Bakterien, Hefen und tierische Zellen. Beispielsweise haben die einzelligen Parasiten nur jeweils ein Mitochondrium, dessen Genom – obwohl bakteriellen Ursprungs – wenig gemein hat mit prokaryotischen Mitochondrien. Das mitochondriale (mt)Genom von Trypanosoma brucei besteht aus etlichen ineinander verwickelten, zirkulären Mini- und Maximolekülen. Dieser verworrene DNA-Knoten wird als Kinetoplast bezeichnet. Das mtGenom codiert aber keine einzige tRNA, die Ribonukleinsäuren kommen stattdessen alle aus dem Cytosol.

„Die Erreger der Schlafkrankheit sind schon ziemlich verrückte Organismen“, sagt Moritz Niemann vom Departement für Chemie und Biochemie der Universität Bern. „Die besonderen Eigenschaften ihres Mitochondriums bieten mehr als genug Gründe, sich mit Aufbau und Struktur dieses ungewöhnlichen Organells genauer zu beschäftigen. Wir haben etwa im Jahr 2013/14 begonnen, uns die Ribosomen der Mitochondrien, die Mitoribosomen, genauer anzuschauen.“

Editorial

Die Strukturanalyse der Mitoribosomen ist ein großes Vorhaben, für das viel Geld, Manpower und ein langer Atem nötig waren. „Im Rahmen eines NCCR hatten wir genug Unterstützung, um dieses langfristige Projekt zu einem guten Ende zu bringen“, so Niemann. NCCR steht für das Programm National Centres of Competence in Research, das 2001 der Schweizerische Nationalfonds ins Leben gerufen hatte. Es finanziert jeweils dreimal vier Jahre Forschung. Das NCCR „RNA and Disease“ wird von der Universität Bern und der Eidgenössischen Technischen Hochschule (ETH) Zürich geleitet; insgesamt sind zwölf Universitäten, Institute und Kliniken daran beteiligt.

Für das Trypanosomen-Projekt hatte sich ein Team aus Berner Genetikern und Biochemikern sowie Züricher Strukturanalytikern zusammengetan. Mithilfe der Cryo-Elektronenmikroskopie (Cryo-EM) gelang es den Forschern, den Aufbau des gesamten Mitoribosoms der Parasiten und den Montageprozess seiner „kleinen“ Untereinheit mit einer Auflösung von bis zu 3,1 Angström darzustellen. Niemann und Co. publizierten die Ergebnisse in zwei Science-Studien (362: eaau7735 und 365: 1149). Als gemeinschaftliche Erstautoren dieser Publikationen zeichnen Niemann aus der Arbeitsgruppe von André Schneider (Bern) sowie Martin Saurer und David Ramrath von der Arbeitsgruppe um Nenad Ban (Zürich). Ban ist ausgewiesener Cryo-EM-Experte. Er arbeitete lange im Labor von Thomas Steitz und war Erstautor von drei Publikationen zur hochaufgelösten Struktur nukleärer Ribosomen, welche die Basis für den Nobelpreis waren, den Steitz und zwei weitere Ribosomenforscher 2009 erhielten.

Für die Cryo-EM müssen die Moleküle nicht kristallisiert sein, man friert sie vielmehr sehr schnell und sehr kalt ein. Bei dieser sogenannten Vitrifizierung entstehen unterkühlte, amorphe Flüssigkeiten, in denen das Wasser keine Kristalle bildet.

Bei Molekülkomplexen, wie es Ribosomen sind, besteht allerdings während der Präparation die Gefahr, dass Teile des Komplexes verloren gehen. Die Forscher in Bern markierten daher die verschiedenen Bestandteile der Mitoribosomen mit Tags, über die sie die Komplexe anschließend isolierten. Alexander Leitner von der ETH Zürich untersuchte die Komplexe massenspektrometrisch und stellte sicher, dass sie in allen Fällen – egal welcher Tag verwendet wurde – wirklich mitoribosomale Proteine enthielten und welche es waren. Anschließend gingen die Züricher Strukturbiologen um Ban ans Werk. Das Ergebnis salopp ausgedrückt: Beim Zusammensetzen der Mitoribosomen werden sehr viele Moleküle verrückt und es gehen viele verloren.

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Moritz Niemann (li.) erforscht im Labor von André Schneider die Ribosomen der Trypanosomen-Mitochondrien. Fotos (2): NCCR RNA & Disease
Aus klein wird groß

Das Mitoribosom der Trypanosomen besteht aus überraschend vielen, nämlich 127 Proteinen und zwei rRNAs. Es ist mit 4,5 Megadalton gigantisch groß – man fand bisher kein größeres Modell. Seine „kleine“ Untereinheit ist größer als die „große“ Untereinheit. Die 9S-rRNA der „kleinen“ Untereinheit der Mitoribosomen ist jedoch mit 620 Nukleotiden vergleichsweise winzig, sie ist nur zwei Fünftel so groß wie die ribosomale RNA von Bakterien. Während rRNAs anderer Organismen sich durch Basenpaarung falten, sorgen bei Trypanosomen Proteine für die korrekte Konformation der Nukleinsäuren. In den Mitochondrien fanden die Forscher nicht nur vollständige Ribosomen und Ribosomen-Untereinheiten, sondern auch größere Molekülkomplexe, die Zwischenstufen der Ribosomensynthese. Von dem ersten und mit 4 Megadalton größten Intermediat der kleinen Untereinheit, das sie Assemblosom tauften, konnten sie 34 Faktoren identifizieren, die unbedingt für die Montage nötig sind. Sie ändern während des Aufbaus der Untereinheit ihre Konformationen und spalten sich teils nach getaner Arbeit wieder ab. Mit RNA-Interferenz-(RNAi)-Experimenten reduzierten die Forscher die Synthese einiger dieser Proteine und stellten fest, dass sich die Einzeller unter diesen Bedingungen nicht vermehren können. „Viele der Gerüstproteine fanden wir in der Endversion dann aber nicht mehr, sie sind wirklich nur für die Montage der Untereinheit nötig“, so Niemann.

Fünf der 34 Gerüstproteine gehören zur KRIPP-Familie (Kinetoplast Ribosomal Pentatricopeptide Repeat-containing Protein). KRIPPs sind sogenannte Pentatricopeptide-Repeat-(PPR)-Proteine, die RNA binden und für die Editierung und Reifung mitochondrialer RNAs notwendig sind. Die RNAi-Versuche zeigten, dass die 9S-rRNA destabilisiert wird, wenn KRIPP2 oder KRIPP17 fehlten. KRIPP2 ist allerdings das einzige der Gerüst-PPRs, das rRNA in der für diese Proteine typischen Art bindet. „Die anderen KRIPPs haben wenig oder keinen Kontakt zur rRNA, sie müssen also auch noch andere Funktionen haben“, erklärt Niemann. „In den reifen Ribosomen hat dann kein PPR mehr Kontakt zu den ribosomalen RNAs. Das ist wirklich erstaunlich, weil es in anderen Organismen eben anders ist. In Pflanzen beispielsweise gehen mitochondriale PPRs intensiven Kontakt mit rRNAs ein“, gibt Niemann Ergebnisse aus einer bioRxiv-Studie wider (doi: 10.1101/777342).

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Nenad Ban (li.) und Martin Saurer kümmerten sich in dem Projekt um die Cryo-EM-Auswertung.
Viel hilft viel

Warum benötigen Trypanosomen eigentlich so viel mehr Moleküle als andere Organismen, um ihre Mitoribosomen zu produzieren? „Diese Frage lässt sich nicht wirklich beantworten“, meint Niemann. „Vielleicht haben einige Moleküle in der frühen Evolution dieser Organismen eher zufällig Komplexe gebildet und sind im Laufe der Millionen Jahre irgendwann essenziell geworden, weil sie bestimmte Aufgaben übernommen haben. Aber das ist nur eine Hypothese, Genaues wissen wir natürlich – noch – nicht.“

Obwohl der Forscher sich seit seiner Promotion vor elf Jahren in Darmstadt mit Ribonukleinsäuren beschäftigt, fasziniert ihn die RNA-Welt noch immer – und auch in der näheren Zukunft. „Bisher haben wir ja die Mitoribosomen der Trypanosomen nur strukturell beschrieben. Daraus resultieren viele interessante zellbiologische Fragen. Beispielsweise: Wo findet der Aufbau der Ribosomen in dem Mitochondrium tatsächlich statt, was sind die einzelnen Schritte?“, fragt sich Niemann und ist sich sicher: „Das wird noch richtig spannend.“



Letzte Änderungen: 08.12.2019

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