Her mit den Klonen!

Juliet Merz


Editorial

(11.11.2019) BERLIN: In der Natur gibt es eine Vielzahl sich ungeschlechtlich fortpflanzender Wirbeltiere – ins Labor haben sie es allerdings noch nicht so richtig geschafft. Und das, obwohl Forscher mit klonalen Tiermodellen spannende ökologische und evolutionsbiologische Fragen beantworten können.

Das Danish Twin Registry ist eines der ältesten Zwillingsregister der Welt. Damals lediglich zur Untersuchung von Krebserkrankungen gegründet beziehen heute auch andere Disziplinen der Lebenswissenschaften Informationen aus der dänischen Datenbank. Etwa Genetiker und Entwicklungsbiologen, die durch Zwillingsstudien die Möglichkeit erhalten, grundlegende Mechanismen rund um das menschliche Genom zu verstehen.

Für Ökologen und Evolutionsbiologen sind derweil Klonstudien in Tieren äußerst spannend. Durch die genetische Identität können die Forscher studieren, wie sich Genetik und Umwelt auf den Phänotyp auswirken – sowohl auf molekularer Ebene als auch beim Verhalten der Tiere. Während unter den wirbellosen Tieren wie Insekten oder Nematoden die ungeschlechtliche Vermehrung gängiger ist, setzen die meisten Wirbeltiere auf sexuelle Reproduktion. Dank molekularer Methoden ist es dennoch möglich, isogene Linien, also genetisch nahezu gleiche Individuen, oder Klone von Maus, Ratte oder Frosch künstlich zu erzeugen.

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Women only: Die Amazonenkärpfling-Hybridart besteht nur aus Weibchen.

Doch Ökologen und Evolutionsforscher verschmähen die gentechnisch produzierten Doppelgänger eisern. Der Grund: Der Genotyp der erzeugten Tiere ist kein Produkt natürlicher Selektion und ihre ökologische Relevanz und die Generalisierbarkeit der exprimierten Phänotypen sind deshalb fragwürdig.

Jens Krause vom Leibniz-Institut für Gewässerökologie und Binnenfischerei (IGB) und der Humboldt-Universität in Berlin hat Anfang dieses Jahres gemeinsam mit vier weiteren Autoren das Problem in einer Publikation angesprochen und eine recht simple Lösung vorgeschlagen: Warum auf gentechnisch erzeugte Tiermodelle zurückgreifen, wenn die Natur eine Vielzahl klonaler Organismen für die Forschung bereitstellt (Nat. Ecol. Evol. 3: 161-9)? „Circa einhundert klonale Arten gibt es unter den wechselwarmen Wirbeltieren, also Fischen, Reptilien und Amphibien“, gibt Krause einen Überblick. Bei Säugetieren hingegen sind bislang keine Vertreter bekannt, die sich ungeschlechtlich fortpflanzen.

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Kuriose Fortpflanzung

Wie sich klonale Organismen vermehren, ist äußerst divers. Der Amazonenkärpfling (Poecilia formosa) beispielsweise setzt auf recht kuriose Art Nachkommen in die Welt, wie Krause verrät: „Der Amazonenkärpfling, den wir auch im Labor halten, ist durch die Hybridisierung zweier unterschiedlicher Arten entstanden. Die Hybridart besteht nur aus Weibchen, die Eier mit ihrem eigenen kompletten Genom produzieren. Dennoch brauchen sie das Sperma eines Männchens aus der Elternart. Dieses fügt aber keine genetische Information hinzu, sondern löst lediglich die Zellteilung aus.“ Andere Beispiele für unisexuelle Organismen sind die Schienenechse Aspidoscelis neomexicana oder der in Europa vorkommende Teichfrosch (Pelophylax esculentus).

Weil es sich bei den erwähnten Tieren um Klone handelt, können Krause und seine Kollegen genetische Variation zwischen den Individuen weitestgehend ausschließen und so den Einfluss der Umwelt besser einschätzen – wenn diese überhaupt einen Einfluss hat. „Wenn ein Fisch unter konstanten Bedingungen aufwächst und er mit den anderen Fischen genetisch identisch ist, könnte man meinen, sie müssten sich alle gleich verhalten“, so Krause. „In unterschiedlichen Experimenten haben wir allerdings gesehen, dass dies nicht der Fall ist.“ Vielmehr scheinen Zufallsereignisse einen wichtigen Einfluss auf entwicklungsbiologische Prozesse zu haben, schlussfolgern die Forscher. „Klonstudien wie diese eignen sich hervorragend, um sehr subtile Effekte der Umwelt oder des Zufalls zu studieren, entwicklungsbiologische Prozesse anzuschauen oder epigenetische Effekte zu entdecken“, schwärmt Krause. „Mit sich sexuell fortpflanzenden Tieren hätte man durch die genetischen Unterschiede stets mehr Variation im System.“

Vom Teich in die Klinik

Doch das Team um Krause beschäftigt sich nicht nur mit dem klonalen Amazonen­kärpfling, sondern auch mit einer Reihe anderer Fischarten, mit der sie Schwarmverhalten und kollektive Intelligenz untersuchen. Die Ergebnisse der Berliner Gruppe schafften es sogar bis in die Klinik. 2015 veröffentlichte Krause zusammen mit seinem IGB-Kollegen Max Wolf und weiteren Autoren einen Algorithmus zur Verbesserung der Krebsdiagnose (PLoS One, doi: 10.1371/journal.pone.0134269).

Angefangen hatte alles mit einer Untersuchung im Östlichen Moskitofisch (Gambusia holbrooki; PNAS 108: 2312-5). Dieser zur Unterfamilie der Lebendgebärenden Zahnkarpfen gehörende Fisch kommt im Osten der USA und vielen subtropischen sowie tropischen Ländern vor. Wie viele andere Fische muss sich auch der Moskitofisch vor Räubern in Acht nehmen. „Stellen Sie sich vor, ein Fisch hat irgendwo Futter gefunden“, beschreibt Krause ein mögliches Szenario. „Plötzlich erscheint ein Schatten. Dieser kann entweder ein Räuber sein, der für ihn gefährlich ist, sodass er schnell verschwinden und das Futter liegen lassen muss. Oder aber es handelt sich dabei nur um ein fallendes Blatt, ihm droht keine Gefahr und er kann da bleiben.“ Diese Entscheidung ist nicht immer einfach zu treffen. Dabei kann der Fisch zwei Arten von Fehlern machen: Entweder er übersieht einen echten Räuber oder er flüchtet grundlos und verliert sein Futter. „Bei einem Arzt ist es ganz genauso“, überträgt Krause das Beispiel ins Behandlungszimmer. „Es sind die gleichen beiden Fehler: Entweder übersieht der Arzt eine Krankheit, die ich habe, oder er denkt, der Patient wäre krank, ist es aber gar nicht.“

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Jens Krause (3. v. r.) und sein Team im Regenwald von Trinidad bei Forschungsarbeiten zum sozialen Netzwerkverhalten von Guppys. Foto: Lysanne Snijders

Krause und Co. überprüften schließlich, wie die Fische mit der vermeintlichen Räuber-Situation umgingen. Das Ergebnis: Im Schwarm haben Moskitofische Entscheidungsprinzipien, mit denen sie beide Fehlerarten gleichzeitig minimieren – und zwar durch soziales Entscheiden. „Übertragen auf die Krebsdiagnose bedeutet das, Meinungen von mehreren verschiedenen Ärzten zu ein und demselben Brustkrebs-Röntgenbild einzuholen und zu verarbeiten“, erklärt Krause.

In der PLoS-One-Studie wertete die Berliner Gruppe mithilfe ihrer Ergebnisse aus der Fischstudie fast 17.000 Mammographiedatensätze aus und kam zu einem erstaunlichen Schluss. Das Prinzip der kollektiven Intelligenz aus dem Fischmodell übertraf sogar die Entscheidungsgenauigkeit der leistungsstärksten Radiologen. „Wir konnten so nicht nur die Rate für die Erkennung von Krebs steigern, sondern gleichzeitig die Rate senken, mit der man fehlerhaft vermutet, dass Krebs vorliegt“, so der Verhaltensbiologe. Das Prinzip lasse sich möglicherweise auch auf andere Ja-Nein-Fragen des Lebens anwenden, meint Krause und nennt ein paar Beispiele: „Sagt jemand vor Gericht die Wahrheit oder ist in einem Gepäckstück am Flughafen, das durch eine Scanner-Maschine gelaufen ist, tatsächlich etwas Gefährliches drin? Für uns ist es sehr interessant, mehrere Probleme auf das gleiche Prinzip zurückzuführen, um dann einen neuen Lösungsansatz zu finden.“

In Zukunft möchte Krause die kollektive Intelligenz weiter untersuchen. Denn es gibt noch viele ungelöste Probleme. Eins interessiert den Berliner Verhaltensbiologen ganz besonders: die Verarbeitung menschlicher Sprache. „Wie entsteht das Neue in Gesprächen zwischen Menschen, die sich austauschen. Also wie wächst man in einer Konversation über sich selbst hinaus?“ Allerdings sei die Erforschung dessen verzwickt, weil die Informationen, welche Tiermodelle untereinander austauschen, natürlich viel einfacher sind.

Friedliche Feldforschung

Obwohl Krause et al. in der Nature-Ecology-and-Evolution-Publikation zeigen konnten, dass es noch andere interessante unisexuelle Modellorganismen für die Forschung gibt, ist er mit seinen klonalen Fischarten zufrieden und ausgelastet. „Ein neues Studiensystem einzuführen, ist nicht einfach. Ich hatte eine Zeit lang mit dem unisexuellen Mangroven-Killifisch [Anm. d. Red.: Kryptolebias marmoratus] gearbeitet, aber der war sehr schwierig, weil er sehr territorial ist. Wir bleiben wohl erstmal bei den friedlicheren Amazonenkärpflingen“, ist sich Krause sicher. Diese möchte der Verhaltensforscher zukünftig aber gerne stärker im Freiland beobachten. „Bislang machen wir mit den Kärpflingen reine Laborforschung.“ Der klonale Fisch kommt im Süden der Vereinigten Staaten und teilweise in Mittelamerika vor. Heißt also, man muss in der AG Krause ein gewisses Reisefieber mitbringen? „Ja, auf jeden Fall“, lacht der Verhaltensbiologe. „Aber das ist meist der einfache Teil. Das machen alle gerne.“



Letzte Änderungen: 10.11.2019