Kampf der Organellen

Larissa Tetsch


Editorial

POTSDAM-GOLM: In der Regel wird das Genom von Organellen ausschließlich über die Mutter vererbt. Bei der Nachtkerze können dagegen beide Elternteile Chloroplasten weitergeben – mit Konsequenzen für die Pflanze.

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Die Gattung Oenothera beinhaltet eine Vielzahl unterschiedlicher Arten. Stephan Greiner und sein Team nutzen die Gewächse, um die Regeln der Organellen-Vererbung besser zu verstehen. Foto: Matt H. Wade (CC BY-SA 3.0)

Höhere Lebewesen erben jeweils eine Genkopie von Mutter und Vater. Allerdings gilt das nur für das Kerngenom. Mitochondrien und Chloroplasten geben ihr Genom nämlich meist nur über die mütterliche Linie weiter, ganz einfach weil die männlichen Keimzellen keine entsprechenden Organellen mitbringen. „Da in fast allen Organismen die Organellen ausschließlich maternal vererbt werden, muss es sich dabei um ein ganz fundamentales biologisches Prinzip handeln, das aber kaum verstanden ist“, erklärt Stephan Greiner, der sich am Max-Planck-Institut für Molekulare Pflanzenphysiologie im Potsdamer Stadtteil Golm mit der Frage beschäftigt, was passiert, wenn beide Geschlechter Organellen weitergeben können.

Editorial
Unverträgliche Genome

Als Modell dient ihm die Nachtkerze (Oenothera spp.), eine erst im 17. Jahrhundert aus Amerika eingeschleppte Pflanze, die typischerweise mütterliche und väterliche Chloroplasten vererbt. Anders als die Zellkerne verschmelzen die Organellen jedoch nicht mit-, sondern vermehren sich unabhängig voneinander. Dabei konkurrieren sie um die verfügbaren Ressourcen der Zelle.

Bei der Nachtkerze gibt es fünf Chloroplastentypen mit unterschiedlicher Vererbungsstärke. „In einer Population von Pflanzen würde sich auf die Dauer immer das stärkere Organell durchsetzen“, so der Pflanzenphysiologe. „Bei gleich starken Chloroplasten würden dagegen beide erhalten bleiben.“ Bei einer einzelnen Pflanze ist es laut Greiner unwahrscheinlich, dass es zwei gleich starke Chloroplasten zusammen von der befruchteten Zygote in die Eizelle beziehungsweise den Pollen schaffen: „Organellen werden rein zufällig auf die Tochterzellen verteilt, was dazu führt, dass früher oder später Ziellinien entstehen, die nur noch einen Organellentyp tragen.“

Nun könnte man meinen, dass es der Pflanze egal ist, ob sie nun starke oder schwache Chloroplasten beherbergt. Allerdings können im Zuge des Konkurrenzkampfes Chloroplasten auftreten, die sich besonders schnell vermehren und manchmal mit dem Kerngenom nicht mehr kompatibel sind. Im schlimmsten Fall führt dies dazu, dass keine lebensfähigen Nachkommen mehr entstehen. Ein Grund für Greiner und sein Team, die Rolle der Organellengenome in Artbildungs- und Adaptionsprozessen genauer unter die Lupe zu nehmen.

„Inkompatibilität entsteht letztlich dann, wenn Chloroplasten- und Kerngenom eine unterschiedliche Evolutionshistorie besitzen. Bei den Nachtkerzen hybridisieren Arten. Waren diese Arten für längere Zeit räumlich oder ökologisch getrennt, kann das Chloroplastengenom der einen Art nicht mehr mit dem Kerngenom der anderen kommunizieren, und es entsteht eine Inkompatibilität“, erläutert der Wissenschaftler und verdeutlicht an einem konkreten Beispiel, dass diese Inkompatibilität bei Nachtkerzen eine Folge von Anpassungen an bestimmte Umweltbedingungen zu sein scheint: „In einem Fall, den wir genauer untersucht haben, spielt die Regulation eines wichtigen Photosynthese-Operons unter verschiedenen Lichtbedingungen eine Rolle. In inkompatiblen Hybriden ist diese Regulation gestört. Die Pflanze macht weniger effizient Photosynthese, beziehungsweise wird in Starklicht stark geschädigt.“

Wie das mechanistisch abläuft, ist experimentell aber schwer zu untersuchen. „Das Problem bei den allermeisten Organellengenomen ist, dass sie keine sexuelle Rekombination machen, man in ihnen also nicht kartieren kann.“ Eine Kartierung ist aber notwendig, um einen bestimmten Phänotyp mit Veränderungen in Genen zu verknüpfen.

Die Pflanzenphysiologen suchten deshalb eine andere Lösung für das Problem. Dabei half ihnen, dass man auch beim Menschen – wenn auch aus anderen Gründen – keine Kartierung über eine klassische Kreuzungsgenetik durchführen kann. „Um beim Menschen Gene zu kartieren, hat man die sogenannte Assoziationskartierung entwickelt, bei der man das Vorhandensein beziehungsweise Fehlen eines Phänotyps mit Polymorphismen assoziiert“, beschreibt Greiner die Vorgehensweise seines Teams. „Im Prinzip haben wir für die Organellengenome das Gleiche gemacht, obwohl sich unsere Korrelationskartierung technisch dann doch sehr von einer klassischen genomweiten Assoziationsstudie des Menschen unterschied.“

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Stephan Greiner (hinten, Mitte) und sein Team sind Dauergäste im Gewächshaus. Foto: AG Greiner
Lipide für starke Chloroplasten

Interessanterweise fanden die Forscher dabei heraus, dass der Konkurrenzkampf zwischen den Chloroplasten nicht wie zu erwarten auf Ebene des Genoms ausgetragen wird, etwa durch eine schnellere Replikation oder eine höhere Kopienzahl an Chloroplastengenomen (PNAS 116: 5665-74). Stattdessen hängt der Erfolg der Chloroplasten von ihrem Fettsäure-Stoffwechsel ab. So identifizierten die Potsdamer mit ihrer Assoziationsstudie unter anderem ein Enzym, welches den ersten, limitierenden und deshalb stark regulierten Schritt im Fettsäure-Stoffwechsel katalysiert: die Acetyl-CoA-Carboxylase, genauer ihre einzige im Plastid kodierte Untereinheit.

Das entsprechende Gen (accD) weist eine große Anzahl an Polymorphismen auf, scheint also sehr schnell zu evolvieren. Laut Greiner ist das überraschend: „Die Fettsäurebiosynthese ist ein derart basaler Stoffwechselweg, dass man für die entsprechenden Gene keine schnelle Evolution erwarten würde.“ Die bislang gefundenen Polymorphismen liegen allesamt in regulatorischen Abschnitten im 5‘-Bereich des Gens. Hier befinden sich viele repetitive Sequenzen, in denen Mutationen schnell entstehen, wenn die DNA-Polymerase bei der Replikation „verrutscht“.

Erfolgsgarant: schnelle Teilung

Auf die Proteinmenge scheinen die Veränderungen keinen Einfluss zu haben, dagegen aber auf die Proteinaktivität. Und diese wiederum hat einen Einfluss auf die Chloroplastenstärke: „Als Faustregel könnte man sagen, dass der Chloroplast umso schwächer wird, je höher die Aktivität der Acetyl-CoA-Carboxylase ist.“

Allerdings scheint der Zusammenhang komplexer zu sein, denn die Assoziationsstudie brachte noch ein weiteres beteiligtes Gen zutage. Was dessen Genprodukt macht und wie es mit der Acetyl-CoA-Carboxylase zusammenspielt, ist noch nicht klar. Auf jeden Fall aber verändert es ihre Enzymaktivität.

„Während des Begutachtungsprozesses unserer Arbeit ist eine Veröffentlichung [Anm. d. Red.: Plant Cell 30: 2677-703] erschienen, die zeigt, dass es sich bei Ycf2 um ein Motorprotein des Proteinimportes in Chloroplasten handelt“, so Greiner. „Da accD die plastidäre Untereinheit der Ace­tyl-CoA-Carboxylase ist und diese noch drei Kernuntereinheiten besitzt, wäre hier beispielsweise eine Regulation der Enzymaktivität über den Import ihrer Kernuntereinheiten denkbar.“ Ycf2 sei ursprünglich eine Protease gewesen, evolviere aber unglaublich schnell und habe im Laufe seiner evolutionären Geschichte in Pflanzen offensichtlich eine Funktionsänderung erfahren. „Es wird sicher noch die eine oder andere Überraschung bereithalten.“

Wie lassen sich aber nun Fettsäuresynthese und Vererbung der Chloroplasten miteinander verknüpfen? Eine veränderte Fettsäuresynthese könnte etwa die Zusammensetzung der Chloroplasten-Hülle beeinflussen und dadurch die Stabilität des Organells erhöhen oder die Vermehrung beschleunigen. Denn wie meistens im Leben ist es so, dass sich Chloroplasten umso besser durchsetzen können, je schneller sie sich vermehren. „Chloroplasten teilen sich wie Bakterien“, erklärt Greiner. „Dabei bilden sich Teilungsringe, die den Chloroplasten einschnüren und diesen teilen. Diese Teilungsringe sind in der Membran verankert beziehungsweise assemblieren dort.“

Das Fett macht den Unterschied

Veränderungen in der Lipidzusammensetzung der Chloroplasten-Membran können folglich direkt einen Einfluss auf die Organellteilung ausüben. Tatsächlich fanden die Forscher 20 Lipide, welche die Chloroplastenstärke zu beeinflussen scheinen. Viele davon kommen vor allem in der Zellhülle vor oder sind Speicherlipide, während sie in den Thylakoidmembranen fehlen. Dazu passt, dass die Vererbbarkeit von der Fähigkeit der Chloroplasten zur Photosynthese unabhängig ist.

Immerhin 20 Prozent der Angiospermen besitzen Chloroplasten im Pollen, können also theoretisch väterliche Chloroplasten vererben. Das gilt natürlich auch für manche Nutzpflanzen und ist somit für Züchtungsversuche relevant, wie Greiner darlegt: „Praktisch eingesetzt in der Landwirtschaft werden Mitochondrien-Genotypen, die männliche Sterilität vermitteln. Diese sind zur Herstellung von ertragreicherem Hybridsaatgut gerade in Gräsern, wie etwa Getreide, unerlässlich. Wenn man beispielsweise diese Genotypen dazu bringen könnte, sich über die Mutter und über den Vater zu vererben, würde das einige Züchtungsansätze sehr vereinfachen.“



Letzte Änderungen: 10.10.2019