Überleben in Polen

Annika Simon


Editorial

Zürich: Christian Rellstab und seine Kollegen machen da weiter, wo Charles Darwin mit seiner Evolutionstheorie aufgehört hat. Mithilfe von Next Generation Sequencing konnten die Schweizer zeigen, wie sich die Hallersche Schaumkresse genetisch an Schwermetall-verseuchte Böden anpassen konnte.

Darwin, Genomforschung, Kresse und verseuchte Böden. Das klingt schon sehr wirr, aber was hat das auch noch mit Polen zu tun? Alles fing vor einiger Zeit mit einer Anfrage von Alicja Babst-Kostecka von der polnischen Akademie der Wissenschaften (PAN) in Krakau an. Über ein Förderprogramm im Rahmen der EU-Osterweiterung bestand schon seit längerer Zeit eine kooperative Verbindung, die sich die Ökologin nun zunutze machte. Sie hatte in der polnischen Olkusz-Region, in der zahlreiche Hektar Boden mit Cadmium, Zink und Blei verseucht sind, einen Feldversuch durchgeführt und dabei Proben der Kressepflanze Arabidopsis halleri, auch als Hallersche Schaumkresse bezeichnet, genommen. Jetzt wollte Babst-Kostecka herausfinden, ob es im Genom der Pflanze Spuren für die Schwermetall-Anpassungen gibt.

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Die Kressepflanze Arabidopsis halleri, auch als Hallersche Schaumkresse bezeichnet. Foto: Martin C. Fischer, ETHZ
Survival of the Fittest

Und genau da kamen Christian Rellstab und seine Kollegen von der Eidgenössischen Forschungsanstalt für Wald, Schnee und Landschaft (WSL) in Birmernsdorf bei Zürich ins Spiel. Ihre Aufgabe sollte es sein, die Genome von Pflanzen zu vergleichen, die auf Böden mit oder ohne Schwermetallen gewachsen waren. Möglicherweise gab es darin eine Erklärung, was es den Pflanzen erlaubte, auf beiden Böden so gut zu wachsen. Selbstverständlich hatte Babst-Kostecka dazu auch Kresseproben an anderen Orten jenseits der Olkusz-Region entnommen.

Dass gerade A. halleri in dieser Region vorkommt, kam der Forschergruppe gerade recht: „Die Hallersche Schaumkresse eignet sich ideal für Genomanalysen, da sie ein kleines Genom hat und wir bereits über umfangreiche Datenbanken verfügen“, erklärt Rellstab. Darüber hinaus seien auch die örtlichen Bedingungen in Polen einmalig, und so habe sich die Hallersche Schaumkresse ganz im Sinne des Grundsatzes „Survival of the Fittest“ – durch natürliche Auslese – ihrer Umgebung angepasst. Wie genau sie das geschafft hatte, wollten Rellstab und Co. jetzt erfahren.

Editorial

Doch bevor Rellstab mehr über seine Forschung und eine seiner kürzlich veröffentlichten Studien in Scientific Reports (8: 16085) erzählt: Wie kommt man eigentlich dazu, die Genome von Kressepflanzen zu analysieren? „Angefangen hat eigentlich alles mit Fischen und Wasserflöhen“, beantwortet Rellstab diese Frage. „Ich wollte immer irgendetwas mit Naturwissenschaften machen und habe mich dann für ein Biologiestudium an der ETH Zürich entschieden.“

Zwischen Fischen und Pflanzen

In seiner anschließenden Doktorarbeit befasste sich Rellstab mit Daphnien, einer Kleinkrebsart, die in Gewässern mit sehr wenigen Nährstoffen lebt. „Unter dem Titel ‚Life at Low Food’ ging es dabei um Populationsstruktur, genetische Vielfalt und Artenbestimmung“, geht der Biologe weiter ins Detail. Als Postdoc forschte Rellstab dann in Finnland primär an Fischen und kam immer häufiger mit der Genforschung in Kontakt. Ab 2009, als das Next Generation Sequencing immer geläufiger wurde, spezialisierte sich Rellstab auf Genomik und entsprechende Anpassungsmechanismen verschiedener Arten. Vor neun Jahren kehrte er schließlich in den Großraum Zürich zurück und arbeitet dort bis heute am WSL als wissenschaftlicher Mitarbeiter in einem aktuell zehnköpfigen Team. Über die Jahre waren die Fische den Pflanzen gewichen.

Keine Hypothesen, aber interessante Ergebnisse

Zurück zur Kresse: Aufgrund der bereits vorhandenen Datensätze zum Genom von A. halleri konnten Seniorautor Rellstab, Erstautor Christian Sailer et al. die Genomsequenzen der Pflanzen von verseuchten und unbelasteten Böden aus Polen leicht miteinander vergleichen. Sie gingen dabei hypothesenfrei vor und ließen sich von den Ergebnissen überraschen. „Wir gehen ganz offen an alles ran und schauen, was da rauskommt!“, fasst der Biologe seinen Ansatz zusammen. Nach einer umfassenden Genomanalyse der Pflanzenproben von insgesamt vier polnischen Standorten identifizierten die WSL-Forscher jene Gensequenzen, die sich in Pflanzen von verseuchten und unverseuchten Böden stark unterschieden und daher potenziell für die Anpassung verantwortlich sein könnten.

Im nächsten Schritt wollten sie herausfinden, was das genau für Gene sind und welche Funktionen beziehungsweise Signalkaskaden jeweils dahinterstecken. So identifizierten sie bei insgesamt 119 Pflanzen zahlreiche Single Nucleotide Polymorphisms (SNPs), die sich zwischen Pflanzen mit unterschiedlicher Schwermetallbelastung unterschieden. Unter über 2,5 Millionen SNPs fanden Rellstab und Co. schließlich 57 SNPs in 19 Genen, die zwischen den Populationen differierten. Die bereits vorhandenen Datenbanken halfen bei der Zuordnung der Gene zu entsprechenden Funktionen in der Zelle. Mehrere SNPs konnten dadurch Genen und Signalkaskaden zugeordnet werden, die vor allem beim Transmembran- Transport und/oder beim Umgang der Zelle mit oxidativem Stress eine Rolle spielen.

Mehr als Grundlagenforschung

Auch wenn Rellstab die Ergebnisse in die Grundlagenforschung einordnet, liegt der praktische Nutzen klar auf der Hand: die Reinigung von verseuchten Böden durch Pflanzen, die unbeschadet Schwermetalle akkumulieren können. Obgleich die Hallersche Schaumkresse bei einem insgesamt doch eher geringen Aufnahmepotenzial von Schwermetallen sicher nicht alle belasteten Landschaften im Umkreis von Industriegebieten reinigen könnte. Dennoch ergeben sich möglicherweise aus den Erkenntnissen neue Ansätze, um die Züchtung von Pflanzen voranzutreiben, die gegenüber Schwermetall-belasteten Böden robust sind. „Wir haben oft Anfragen von Förstern und befassen uns mit Forstgenomik sowie der Anwendung unserer Ergebnisse in der Züchtung“, erklärt Rellstab.

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Christian Rellstab bei der Feldarbeit. Foto: Privat

Und wie geht es jetzt weiter? In naher Zukunft hat die Forschergruppe mit der Hallerschen Schaumkresse noch viel vor. Als zweites Projekt im Rahmen der Kooperation mit Babst-Kostecka soll es aber nicht nur um Genomik gehen, sondern auch um die Phänotypen der Pflanzen. So wurden Klone der Pflanzen von kontaminierten Standorten auf Böden ohne Schwermetallbelastung und umgekehrt angesiedelt, um etwaige Veränderungen der Erscheinungsformen beobachten zu können. „Wir wollen dann die äußeren Merkmale wieder mit der Genomik verknüpfen, damit wir das komplette Bild der Schwermetallanpassung beschreiben können“, erläutert der Zürcher die nächsten Schritte. Hierbei betont er allerdings ganz klar, dass die Pflanzen dabei nicht manipulativ verändert werden. „Wir werden leider oft mit Gentechnikern verwechselt.“

Übrigens: Mit der Kresse auf Butterbroten hat A. halleri nichts zu tun, wie Rellstab verrät: „Die Hallersche Schaumkresse wird kulinarisch nicht verwendet.“ Für ein normales Kressebrot kann man den Schweizer trotz seiner Studien sogar immer noch begeistern. „Allerdings nicht die Kresse von Metall-verseuchten Böden.“



Letzte Änderungen: 10.10.2019