Editorial

Krebs-Komplizen

Juliet Merz


(07.02.2022) SAARBRÜCKEN: Eigentlich soll das Immunsystem uns vor Krankheiten bewahren. Auch das Beseitigen von Krebszellen gehört zu seinen Aufgaben. Manche Tumore schaffen es jedoch, das Immunsystem auszutricksen, und besitzen sogar die Frechheit, die Zellen des Abwehrsystems für ihre zerstörerische Arbeit einzuspannen.

Krebs ist hinterhältig. Er entsteht klammheimlich meist in den Tiefen unseres Körpers, wächst und orchestriert dabei umliegendes Gewebe und Zellen, nach seiner Pfeife zu tanzen. Dafür schüttelt er die pfiffigsten Täuschungsmanöver aus dem Ärmel, um zu bekommen, was er möchte. Er unterzieht körpereigene Zellen einer Art Gehirnwäsche und macht sie dadurch zu seinen Komplizen.

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Illustr.: Juliet Merz

Auch das Tumorgewebe des nichtkleinzelligen Lungenkrebses, die häufigste Art des Bronchialkarzinoms, kennt viele Tricks. Einem Forschungsteam um die Pharmazeutische Biologin Alexandra Kathrin Kiemer von der Universität des Saarlandes in Saarbrücken ist es gelungen, mehr Licht in die gewieften Manipulationen von Lungenkrebszellen zu bringen. Im Fokus ihrer Forschung: Makrophagen.

Normalerweise patrouillieren Fresszellen in unserem Gewebe und verschlingen alles, was uns schaden könnte. In der Lunge sind das zum Beispiel Partikel aus der Luft, weshalb Makrophagen dort manchmal bräunlich, bei Rauchern sogar schwarz gefärbt sein können. Auf ihrem Speiseplan stehen aber auch Bakterien sowie Zelltrümmer. Makrophagen spielen außerdem eine wichtige Rolle bei der Wundheilung und Zerstörung von Tumorzellen. Manche Krebsarten schaffen es jedoch, die Fresszellen zu zähmen – das zeigen unter anderem Analysen von tumorassoziierten Makrophagen aus dem Gewebe von Lungenkrebspatienten, die die Pharmazeutische Biologin Kiemer zusammen mit ihrer Habilitandin Jessica Hoppstädter untersucht hat (EBioMedicine 72: 103578). Kiemer hatte 2005 eine Arbeitsgruppe am Institut für Pharmazeutische Biologie gegründet, in die Hoppstädter kurz danach für ihre Diplomarbeit eintrat.

Für die kürzlich veröffentlichte Studie griff das Forscherinnen-Duo auf Lungengewebe zurück, das aus dem benachbarten Herz-Zentrum Saar stammte. „Wenn Lungentumorgewebe im Zuge einer Operation entfernt wird, schneidet der Chirurg den Tumor großzügig heraus, damit keine Krebszellen zurückbleiben“, beschreibt Kiemer die Herkunft der Proben. „Das heißt, wir bekommen für unsere Versuche nicht nur Tumorgewebe, sondern als Referenz auch gesundes Lungengewebe – das allerdings dennoch von einem Krebspatienten stammt.“

Die beiden Pharmazeutischen Biologinnen verglichen für ihre Versuchsreihe Makrophagen aus Lungentumor- sowie gesundem Gewebe. Die Daten der Genomexpression sorgten allerdings für eine Überraschung. Es ist bereits bekannt, dass Tumorzellen über einen veränderten Lipidhaushalt verfügen und nach Lipiden wie Cholesterol förmlich lechzen. Klar: „Wenn eine Zelle oder ein Gewebe schnell und viel wachsen will, braucht es natürlich viel molekulares Baumaterial beispielsweise für die Zellmembran“, kommentiert Hoppstädter. Eine Mausstudie von internationalen Kollegen hatte außerdem gezeigt, dass tumorassoziierte Makrophagen in die Rolle der Lipid-Zulieferer schlüpfen können (Cell Metab. 29(6):1376-1389.e4). Die Immunzellen produzieren vermehrt Cholesterol und füttern die Krebszellen damit.

Die Genomexpressions-Daten von Kiemer, Hoppstädter und Co. offenbarten jedoch ein anderes Bild: Die tumorassoziierten Makrophagen aus dem Lungenkrebsgewebe produzierten fast gar keine Lipide. Vielmehr waren die Gene sogar herunterreguliert, die für die Lipid- und Cholesterol-Biosynthese zuständig sind. Sie können den Tumor also zumindest nicht unmittelbar mit Lipiden versorgen. Allerdings – und das passt wieder zu den bereits bekannten Ergebnissen aus der Mausstudie – hatten die Immunzellen massiv Gene hochreguliert, die für den Export von Cholesterol zuständig sind. Als Resultat litten die vom Saarbrücker Team untersuchten tumorassoziierten Makrophagen unter einem starken Cholesterol-Mangel. Aber welche Auswirkungen hat das alles auf das Lungenkrebsgewebe?

Wenn Makrophagen vom Tumorgewebe eingespannt werden, leiten sie Prozesse ein, die auch bei einer Wundheilung ablaufen: Blutgefäße weiten sich, der Körper legt neue Gefäße an, wodurch das Gewebe mit mehr Nährstoffen versorgt werden kann. Für den Tumor sind diese Wundheilungsprozesse ein gefundenes Fressen, weshalb er mit aller Macht versucht, sie am Laufen zu halten. Eine weitere Aufgabe tumorassoziierter Makrophagen: Sie bauen die extrazelluläre Matrix ab – das Fundament aller Epithelien – womit sie den entstehenden Gefäßen noch mehr Platz freischaufeln.

Eine Wunde, die nie heilt

Zur Erinnerung: Die tumorassoziierten Makrophagen hatten in den Experimenten der Saarbrücker Gruppe nicht nur die Lipid- sowie Cholesterin-Biosynthese heruntergefahren, sondern zeitgleich den Abtransport von Cholesterol aus der Zelle verstärkt. Blockierte das Team jedoch die Cholesterol-Efflux-Transporter mittels des Inhibitors ATR-101, schwächte das die Expression der Gene, die für das tumorunterstützende Verhalten, die entartete Wundheilung, verantwortlich sind. Ob und inwiefern die heruntergefahrene Lipid-Synthese dem Tumor tatsächlich hilft, bleibt Gegenstand zukünftiger Forschungen.

Allerdings stehen Projekte mit tumorassoziierten Makrophagen vor einer großen Hürde: die Beschaffung von geeignetem Gewebematerial. „Es gibt viele Fragestellungen, die sich hervorragend mit Mausmodellen beantworten lassen – allerdings gibt es natürlich große Unterschiede zwischen Maus und Mensch, gerade im Bezug auf Makrophagen“, räumt Kiemer ein. „Und es ist sehr schwierig, an Zellen aus dem Menschen zu gelangen.“

Bislang war es nur möglich, tumorassoziierte Makrophagen über eine Krebsgewebeentnahme im Zuge einer Operation zu erhalten. Die Pharmazeutischen Biologinnen fragten sich deshalb, ob man nicht genauso gut Makrophagen einfach in vitro umpolen könne? Als Ausgangsmaterial reinigten sie Fresszellen aus Spenderblut auf und setzten sie auf strenge Diät: Das Medium, mit dem sie die Immunzellen inkubierten, enthielt nahezu keine Nährstoffe. „Das entspricht den Bedingungen, die Makrophagen auch in unmittelbarer Nähe zu Tumorgewebe erfahren“, erklärt Hoppstädter. Klar, der Tumor saugt Nährstoffe auf wie ein Staubsauger, da bleibt für Makrophagen nicht viel übrig. Und tatsächlich begannen die hungernden Immunzellen, ein entartetes Wundheilungsprogramm anzuleiern – zu sehen an hoch exprimierten Genen für die Gefäßerweiterung, -neubildung und den Matrixabbau. Jedoch reichte die Behandlung nicht aus, um den maximal tumorassoziierten Phänotyp zu erhalten.

Überzeugender Überstand

Kiemer, Hoppstädter und Co. entschieden sich deshalb für einen neuen Ansatz. Sie säten eine Lungenkrebszelllinie auf Petrischalen aus und inkubierten diese zwei Tage lang mit normalem Nährstoffmedium. Anschließend transferierten sie den Krebszell-Überstand auf die frischen Makrophagen von Blutspendern. Innerhalb von 24 Stunden erhielt die Forschungsgruppe Immunzellen mit nahezu identischem Phänotyp zu tumorassoziierten Makrophagen aus Lungenkrebsgewebe. „Zugegeben, unser Makrophagen-Modell stimmt nicht zu einhundert Prozent mit tumorassoziierten Makrophagen aus dem Gewebe von Krebspatienten überein“, schränkt Kiemer ein. „Dennoch lassen sich mit unserem Makrophagen-Modell einige Eigenschaften für Experimente nachstellen – und zudem ist die Methode auch noch sehr simpel.“

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Alexandra Kathrin Kiemer (li.) und Jessica Hoppstädter nehmen tumorassoziierte Makrophagen genauer unter die Lupe. Fotos: Iris Maurer/Uni des Saarlandes (li.); Privat

Wie der Krebszell-Überstand die Makrophagen umpolt, das können die Pharmazeutischen Biologinnen noch nicht beantworten. Hoppstädter hat aber eine Vermutung: „Das Medium von den Lungenkrebszellen ist ebenfalls nährstoffärmer, was die Umgebung zu einem Tumor nachahmt. Wir haben aber in unserem ersten Ansatz gesehen, dass das alleine nicht reicht. Wahrscheinlich sezernieren die Krebszellen noch weitere Faktoren, etwa Wachstumsfaktoren oder andere Moleküle, die den tumorassoziierten Phänotyp unterstützen oder auslösen.“

Welche Faktoren schlussendlich zur Gehirnwäsche der Makrophagen beitragen, bleibt ein Rätsel. Dieses möchten die Saarbrücker mit dem Makrophagen-Modell zukünftig knacken. Außerdem bleibt die Frage offen, ob und wie sich die Makrophagen wieder bekehren und in die eigenen Reihen lotsen lassen – welche Stoffe sind dafür notwendig? Einen ersten Hinweis lieferte Charlotte Dahlem, die ebenfalls als Postdoktorandin in Kiemers Arbeitsgruppe forscht. Dahlem et al. zeigten, dass sich die mit dem Überstand von Krebszellen umgepolten Makrophagen aus Spenderblut mithilfe des Peptides Thioholgamid A wieder normalisieren lassen, sie stoppen ihr tumorförderndes Verhalten (Cancers (Basel) 12(5):1288). Der Naturstoff stammt aus Bakterien der Gattung Streptomyces und könnte sich auch deshalb als Krebsmedikament eignen, weil er zudem das Tumorwachstum stört. Kiemer: „Das Makrophagen-Modell eignet sich hervorragend, um neue oder bekannte Wirkstoffe darauf zu testen, ob und wie sie die tumorfördernde Wirkung der tumorassoziierten Makrophagen möglicherweise verändern.“