Editorial

Machet euch die Erde untertan

Juliet Merz


(09.06.2021) BAYREUTH: Der Mensch verändert seine Umwelt wie kein anderes Tier. Wie groß sein Einfluss auf die Biodiversität tatsächlich ist, hat ein interdisziplinäres Forscherteam auf Inseln weltweit erforscht.

Mehrere Wissenschaftler für ein Forschungsprojekt unter einen Hut zu bekommen, kann ganz schön zeitaufwendig sein – Manuel Steinbauer macht es trotzdem. Denn die Forschungsfragen, die den studierten Geoökologen umtreiben, lassen sich nicht im Alleingang beantworten. Steinbauer forscht an seiner Alma Mater, der Universität Bayreuth, am Institut für Sportwissenschaften und leitet dort die Arbeitsgruppe Sportökologie, eine einzigartige Professur in Deutschland. „Wir interessieren uns dafür, welchen Einfluss große Sportveranstaltungen wie etwa Fußballmeisterschaften oder Skisprung-Turniere auf den Klimawandel und damit die Natur haben, aber auch wie Outdoor-Sportarten sich in der unmittelbaren Umgebung auf die Flora und Fauna auswirken“, beschreibt Steinbauer die aktuell in seiner Arbeitsgruppe laufenden Projekte und fasst das Bild noch etwas größer: „Wir möchten herausfinden, wie der Mensch seine Umwelt beeinflusst.“

Eines seiner bislang größten Projekte hat Steinbauer kürzlich publiziert. Mit Sport hat es allerdings wenig zu tun: Mit einer interdisziplinären Schar an Forschern hat Steinbauer untersucht, wie sich in der Vergangenheit die Vegetation auf unterschiedlichen Inseln weltweit verändert hat, sobald der Mensch einen Fuß auf sie gesetzt hat (Science 372: 488-91).

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Auch auf Teneriffa hat sich mit der Ankunft des Menschen die Pflanzen-Biodiversität drastisch verändert. Fotos (2): Manuel Steinbauer

Angefangen hat das Projekt vor fünf Jahren auf einer Konferenz auf den Azoren im atlantischen Ozean. „Dort habe ich Sandra Nogué, die Erstautorin der kürzlich erschienenen Science-Studie getroffen“, erinnert sich Steinbauer an die Begegnung mit der Kollegin von der University of Southampton. „Sie und eine andere Ökologin hatten Datensätze von Bohrkernen zweier kanarischer Inseln erhoben, und wir haben uns dann gefragt, inwiefern die Biodiversität auf diesen Inseln mit der Ankunft des Menschen zusammenhängt.“ Mithilfe der Bohrkerne konnte die Gruppe die Frage erstaunlich gut beantworten. „Wir waren von den Ergebnissen so fasziniert, dass wir uns vorgenommen haben, noch weitere Bohrkerne zu finden beziehungsweise zu entnehmen und damit die Auswirkung der menschlichen Besiedlung in einer globalen Studie auf Inseln weltweit zu untersuchen.“

Kritisch hinterfragt

Es folgte die Suche nach Kooperationspartnern – eine von Steinbauers Kernkompetenzen. „Wir haben über die Jahre hinweg immer wieder Forschungsteams kontaktiert und sie versucht zu überzeugen, dass wir unsere Daten gemeinsam analysieren“, berichtet der Bayreuther. „Ich arbeite gerne im Team und bin der Meinung, dass Kooperationen für die Forschung sehr fruchtbar sind. Oft arbeiten verschiedene Wissenschaftlerinnen oder Wissenschaftler aus den unterschiedlichsten Disziplinen zusammen und jeder hat einen eigenen Ansatz. Das kann manchmal viel Zeit kosten und organisatorisch aufwendig sein, aber nach meiner Erfahrung verbessern Kooperationen ein Projekt fast immer, weil die Parteien die Arbeit des anderen kritisch beurteilen und diese hinterfragen.“

Doch gerade für die Insel-Studie mussten Steinbauer und Nogué Wissenschaftler weltweit für ihr Forschungsvorhaben gewinnen. „Einige Datensätze haben wir aus schon publizierten Studien oder Datenbanken entnommen, andere Bohrkerne mussten durch Arbeitsgruppen erst gewonnen werden.“ Insgesamt analysierten sie Bohrkerne von 27 Inseln. „Die Bohrkerne stammen aus noch intakten oder schon ausgetrockneten Seen, Lagunen oder Mooren. An diesen Standorten ist die Vergangenheit sehr präzise in Sedimentschichten erhalten und herauslesbar“, erklärt Steinbauer. Bohrungen von Wiesen oder vergleichbaren Flächen hätten eine weniger gute Auflösung: Hier können Tiere wie zum Beispiel Regenwürmer, Maulwürfe oder Nager, aber auch die Wurzeln von Pflanzen den Boden umgraben und damit die einzelnen Sedimentschichten vermischen.

Um auf die Vegetation rückschließen zu können, suchte das Forscherteam in den Bohrkernen nach Spuren von Pflanzen. In den Sedimentschichten entdeckten die Wissenschaftler Pollen, die sie herauslösten, bestimmten und quantifizierten – eine Heidenarbeit, wie Steinbauer erklärt: „Erstmal ist es ein großer Aufwand, die Bohrkerne überhaupt zu gewinnen. Diese dann später aufzubereiten, Proben aus den Kernen zu entnehmen und die Pollen zu analysieren, bedarf die Arbeit vieler unterschiedlicher Fachleute. Etwa für die Pollenbestimmung braucht es lokale Experten, die sich mit der Flora vor Ort und ihren Pollen auskennen, um die Pflanzen überhaupt identifizieren zu können.“ Hinter jeder Bohrkernauswertung der 27 Inseln stecke somit eine ganze Arbeitsgruppe und ein Aufwand, der quasi eine eigene Studie füllen würde.

Einschneidende Besiedlung

Steinbauer und sein Team an der Uni Bayreuth kümmerten sich schließlich um die Auswertung der Daten am Computer. Das Ergebnis: Auf 24 der 27 untersuchten Inseln hatte die Ankunft des Menschen eine Zäsur in ihrer Vegetationsgeschichte bedeutet. Besonders interessant: Je später die Menschen den Insel-Schauplatz betraten, desto gravierender war die Veränderung der Pflanzenlandschaft. „Wir vermuten, dass es mit der technischen Ausstattung des Menschen zu tun hat. Wenn der Mensch später auf eine Insel kommt, hat er natürlich ganz andere Möglichkeiten, die Landschaft dort zu gestalten. Er bringt vielleicht mehr unterschiedliche Pflanzenarten mit, aber auch Weidetiere und verändert die Insel damit viel radikaler.“

Bereits publizierte Studien konnten die Vermutung bestätigen, wie Steinbauer verrät: „Die Literatur zeigt, dass in fast allen Fällen mit der Ankunft des Menschen neue Herbivoren die Insel betraten. Und diese Pflanzenfresser nahmen ganz massiven Einfluss auf die Vegetation, denn viele der Inseln beherbergen ursprünglich gar keine großen Pflanzenfresser.“

Der Mensch greife aber auch auf andere Art und Weise in das Insel-Ökosystem ein: Er fällt Bäume, pflügt den Boden um und drängt mit eingeführten Pflanzenarten die natürliche Vegetation immer weiter zurück. Blinde Passagiere können diesen Vorgang noch verstärken – zum Beispiel ein eingeschleppter Regenwurm, der sich vermehrt, den Boden umkrempelt und dafür sorgt, dass die einheimischen Pflanzen schlechtere Wachstumsbedingungen haben.

Doch bei drei der untersuchten Inseln stellte sich nach der Besiedlung mit dem Menschen kaum oder gar keine Veränderung der Vegetation ein. Was war dort passiert? „Das sind in meinen Augen typische Ausreißer, die bei wissenschaftlicher Forschung eben auftreten“, kommentiert Steinbauer gelassen. Ein Beispiel ist die Insel La Gomera: „Der Bohrkern stammt dort aus einem Gebiet, das sehr weit über dem Meeresspiegel liegt. Vielleicht sehen wir in unseren Datensätzen keinen gravierenden Einfluss des Menschen, weil dieser sich anfangs erst in Küstennähe aufgehalten hat. Vielleicht gab es aber auch vor seiner Ankunft ein Ereignis, das ohnehin die Vegetation drastisch verändert hat, zum Beispiel ein Brand.“

Viel interessanter findet der Bayreuther Forscher hingegen die Pollenbohrkernproben, die einen enormen Einfluss des Menschen belegen. „Die Datensätze der Insel Robinson Crusoe zeigen ganz deutlich, wie die Vegetation sich schlagartig mit der Ankunft des Menschen verändert hat“, interpretiert er die rasch ansteigende Kurve der dazugehörigen Science-Abbildung, welche die Veränderung in der Pollenzusammensetzung mit der Zeit darstellt.

Die Insel-Studie ist für das Forschungsteam aus einem bestimmten Grund besonders wertvoll: „Welchen Einfluss der Mensch auf die Vegetation hat, lässt sich auf dem Festland gar nicht mehr rekonstruieren, weil wir nicht mehr genau sagen können, wie die ursprüngliche Landschaft überhaupt ausgesehen hat“, betont Steinbauer. „Die Inseln hingegen waren lange Zeit vollkommen unberührt und wurden dann plötzlich besiedelt – und das in vergleichsweise junger Zeit, sodass der Einfluss auf die Biodiversität noch nicht so lange zurückliegt und für uns überhaupt nachverfolgbar ist.“

Zukünftig möchten sich Steinbauer und sein Team von der Uni Bayreuth die nicht-heimischen Arten auf den Inseln genauer anschauen. „Das ist allerdings ein bisschen schwierig, weil uns die Bohrkerne nur Pollen liefern und diese nicht immer eins zu eins einer Art zugewiesen werden können“, ordnet der Bayreuther Geoökologe ein.

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Manuel Steinbauer freut sich darauf, bald wieder auf Konferenzen gehen zu können.
Sport als Störfaktor

Doch bevor er damit weitermacht, muss sich Steinbauer auch um seine Professur für Sportökologie kümmern. Hier arbeitet das Team gerade daran, die Aufnahmen von selbst aufgestellten Kamerafallen im Fichtelgebirge auszuwerten. „Ziel ist es, in verschiedenen Gebieten einen Eindruck zu bekommen, wie viele Menschen sich dort aufhalten, welche Sportart sie gegebenenfalls betreiben und inwiefern das die Tiere stört“, beschreibt Steinbauer das Projekt.

Die Forschung an Mensch-Tier-Interaktionen hat aber einen Haken: Die Persönlichkeitsrechte der Waldbesucher sollen geschützt bleiben. Deshalb trainieren die Bayreuther gerade eine künstliche Intelligenz (KI), welche die Forschungsgruppe dabei unterstützt, die Aufnahmen vollautomatisch auszuwerten. „Die KI kann Tiere und Sportarten klassifizieren, auch wenn die Fotos verpixelt sind oder die Kamera nur den Unterkörper aufnimmt“, so Steinbauer und gibt zu: „Die Daten aus einer einzigen Kamerafalle sind zugegebenermaßen nicht besonders spannend – aber wenn wir das Projekt weiter aufziehen und deutschlandweit Kameraaufnahmen in Naturparks analysieren, dann können wir ganz große Fragen beantworten: Zum Beispiel, wie Mensch und Tier interagieren oder in welchem Muster sich Arten bewegen.“

Das riecht nach einem neuen Kooperations-trächtigen Projekt. Steinbauer: „Die Corona-Pandemie hat es leider sehr schwierig gemacht, mit anderen Forschern in Kontakt zu treten, weil viele Konferenzen abgesagt wurden. Das fehlende Networking wird langfristig die Qualität der Forschung verringern.“ Zum Glück scheint ja bald ein Ende in Sicht.