Editorial

All-ternativer Anbau

Juliet Merz


Zürich: Mark Watney aus dem Roman „Der Marsianer“ würde angesichts neuer Erkenntnisse aus der Schweiz vermutlich Freudensprünge machen. Denn der Botaniker versucht, auf dem Mars Kartoffeln anzupflanzen. Es gelingt ihm – doch nur sehr mühselig. Pflanzenbiotechnologen von der Universität Zürich hätten für Watney nun den einen oder anderen Tipp: Sie konnten zwei wesentliche Probleme des „Space Farmings“ beheben.

„Es ist nicht einfach, Pflanzen außerhalb der Erde zu kultivieren“, stellt Lorenzo Borghi vom Institut für Pflanzen- und Mikrobiologie der Uni Zürich klar. Seit knapp acht Jahren forscht der gebürtige Italiener an der Schweizer Uni, anfangs im Labor des damaligen Institutsleiters Enrico Martinoia. Im Jahr 2013 startete für Borghi ein besonders spannendes Projekt: Wie kann man Pflanzen das Leben im All ermöglichen? „Die nährstoffarmen Böden auf anderen Planeten und die teilweise schwerelose Umgebung gehören zu den schwierig­sten Herausforderungen“, verdeutlicht Borghi die Problematik.

Die Gravitation ist je nach extraterrestrischem Anbau-Ort sehr variabel. Auf der Erde herrscht eine Gravitationskraft von 9,8 m/s, auf dem Mars beträgt sie im Vergleich dazu ein Drittel, auf dem Mond nur ein Sechstel. „Wir haben uns mit unserer Forschung darauf konzentriert, künftig an Orten wie der Internationalen Raumstation Pflanzen anbauen zu können“, verrät Borghi. „Und dort herrscht Schwerelosigkeit.“ Wie die Experimente von Borghi und Co. zeigten, ist ein schwereloser Zustand für den Pflanzenanbau wie erwartet eher hinderlich.

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Wie der offizielle Youtube-Kanal des NASA‘s Kennedy Space Centers passend schreibt: That‘s one small bite for a man, one giant leaf for mankind. Den drei Astronauten hat ihr selbst angebauter Weltraum-Salat sichtlich geschmeckt. Trotzdem hat das Space Farming noch so einige Tücken. Foto: Youtube / NASAKennedy
Space-Salat

Die Grundvoraussetzung für das Space Farming ist erst einmal eine Erd-ähnliche Atmosphäre. Die NASA hat beispielsweise ein Gemüse-Produktionssystem namens Veggie entwickelt, mit welchem sie Astronauten auf der Internationalen Raumstation versorgen möchte. Veggie kümmert sich beispielsweise um das Licht, die Temperatur sowie den CO2-Gehalt und reinigt Ethylen und andere flüchtige organische Verbindungen aus der Anbau-Kabine (mehr Informationen gibt es bei Life Sciences in Space Research, doi: 10.1016/j.lssr.2016.06.004).

Ein ganz anderes Problem sind die extraterrestrischen Böden. „Unterschiedliche Studien lassen darauf schließen, dass die Böden von anderen Planeten oder auch Kometen nicht die Menge an Nährstoffen enthalten, die Pflanzen für ein effizientes Wachstum benötigen“, erklärt Borghi und ergänzt: „Die größte Schwierigkeit sind aber die fehlenden Mikroorganismen. Denn wie bei unserem Darm: Ohne Mikroben funktioniert nichts.“

Abhilfe schaffen soll die Mykorrhiza. Mykorrhizen sind pflanzlich-pilzliche Symbiosen, die bei 95 Prozent der Landpflanzenfamilien vorkommen. In dieser Wohngemeinschaft profitieren alle: Die Pilzfäden versorgen die Pflanzenwurzeln mit zusätzlichem Wasser, Stickstoff, Phosphaten sowie Spurenelementen aus dem Boden; umgekehrt darf sich der Pilz am Zucker- und Fettvorrat der Pflanze bedienen.

Als Versuchsobjekte dienten den Züricher Pflanzenforschern der Arbuskuläre Mykorrhizapilz Rhizophagus irregularis und die Garten-Petunie (Petunia hybrida). Und warum gerade die Petunie? „P. hybrida ist nicht nur ein hervorragender Modellorganismus, sondern auch ein Nachtschattengewächs (Solanaceae), zu denen auch die Tomate, Aubergine und Kartoffel gehören“, nennt Borghi die Petunien-Vorteile. Das macht sie vor allem für hungrige Astronauten interessant.

Ein wichtiger Faktor für die Symbiose zwischen Pflanze und Pilz sind die Carotinoid-abgeleiteten Phytohormone: die Strigolactone. Sie regulieren die pflanzliche Wurzel- und Spross­architektur wie auch die Antworten auf biotischen und abiotischen Stress – und stimulieren die Pilz-Hyphenverzweigung in Richtung der Wirtspflanzenwurzel. In P. hybrida transportiert das ABCG-class Protein PDR1 die Hormone zwischen Wirt und Symbiont hin und her. Die PDR1-Expression wiederum wird reguliert durch die Strigolactone und den Phosphatgehalt im Boden.

Abgestimmtes Zusammenleben

Es ist ein perfekt aufeinander abgestimmtes System: Je weniger Phosphat im Boden vorkommt, desto mehr Strigolacton wird produziert und folglich PDR1 exprimiert. Mehr PDR1 bedeutet, dass die Pflanze vermehrt Strigolacton in den Boden abgibt, um die Mykor­rhizierung auszulösen. Sobald dadurch die Phosphat-Werte in der Pflanze wieder auf ein normales Level steigen, verringert oder stoppt die Pflanze die pilzliche Symbiose.

Eine veränderte Gravitation stört das System immens, wie die Autoren um Borghi in zwei Studien zeigen konnten (New Phytologist 217: 784-98; npj Microgravity 4: 20). Dafür simulierten die Pflanzenbiotechnologen die Schwerelosigkeit mit einer Zufallspositioniermaschine (Random Positioning Machine). Diese dreht und wendet die Proben andauernd mit einem Bewegungsmuster, das so programmiert ist, dass der Schwerkraftzug, der auf die Proben wirkt, räumlich und zeitlich gleichmäßig verteilt ist. Als Ergebnis mittelt sich der Schwerkraftvektor über die Zeit mathematisch auf Null – die Probe ist im schwerelosen Zustand.

Vorangegangene Studien hatten schon gezeigt, dass die Mikrogravitation die Biomasseproduktion in Pflanzen verändert. Verstärkt wurde dieser Effekt, wenn die Nährstoffe im Boden verringert waren: „Trotz der Anwesenheit von Mykorrhiza konnten Pflanzen in der Schwerelosigkeit und unter niedrigen Nährstoffbedingungen nicht so viel Biomasse ansammeln wie unter normalen Bedingungen“, resümiert Borghi. Die Züricher Forscher vermuteten anfangs, dass die veränderte Gravitation die Pflanzen beeinflussen müsste – dabei befanden sie sich jedoch auf dem Holzweg.

Pingeliger Pilz

Der Grund für die verringerte Biomasse war dann aber schnell gefunden: Bei Schwerelosigkeit beobachteten Borghi et al. ein niedrigeres Mykorrhizierungsniveau, was sie zuerst fälschlicherweise mit einer verringerten Strigolacton-Biosynthese oder -Abgabe an den Wurzeln in Verbindung brachten. Weitere Experimente zeigten jedoch: Die Mikrogravitation steigerte die Strigolacton-Synthese sogar um das Doppelte, und auch die Expression des Strigolacton-Transporters PDR1 wurde leicht induziert. „Erst dann hatten wir verstanden, dass die geringe Mykorrhizierung in der Schwerelosigkeit nicht an den Pflanzen lag – sondern an den Pilzen“, fasst Borghi zusammen.

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Die Arbeitsgruppe um Lorenzo Borghi (Mitte) und den damaligen Institutsleiter Enrico Martinoia (2. v. re.) gibt es nicht mehr. Trotzdem möchte Borghi auch zukünftig zum Space Farming forschen. Foto: Rita de Brito

Und tatsächlich: Die Pilz-Hyphen dehnten sich unter Mikrogravitation nicht mehr richtig aus, und auch die sekundäre Verzweigung war gehemmt. Aber wie könnte man den Mykorrhiza-Pilzen unter die Arme greifen?

Dafür haben die Schweizer Pflanzenforscher zwei Lösungen. In In-vitro-Experimenten konnten sie zeigen, dass das Strigolacton-imitierende Molekül rac-GR24 die Probleme bei der Hyphen-Bildung kompensierte. Im schwerelosen Zustand scheinen die Mykorrhiza-Pilze den Ergebnissen zufolge große Mengen an Strigolacton oder Strigolacton-ähnlichen Stoffen zu brauchen, um die Verbindung mit dem Pflanzen-Wirt eingehen zu können. Ein weiterer Trick: „Pflanzen mit einer Überexpression des Strigolacton-Transporters PDR1 bildeten nicht nur größere Wurzeln aus, sondern hatten auch eine höhere Mykorrhizierungsrate im Vergleich zum Wildtyp“, erläutert Borghi. Mithilfe der Pilze können die Pflanzen dann auch Phosphate besser aufnehmen, selbst wenn der Boden nährstoffarm ist.

Ist der Boden voll von Phosphat und Stickstoff, beenden Pflanzen die Symbiose mit dem Mykorrhiza-Pilz schnell. „Für die Pflanze ist die Zusammenarbeit sehr teuer: Im Schnitt muss sie bis zu zwanzig Prozent des produzierten Zuckers an den Pilz abdrücken. Das ist viel“, sagt Borghi. Auch für den Menschen ist die Symbiose aufwändig: „Die Landwirtschaft fokussiert sich eher auf Verfahren, die einfacher anzuwenden und zu pflegen sind – wie etwa Düngemittel.“

Die Forschung muss warten

Für das Space Farming sind die Mykorrhiza-Pilze indes eine hervorragende Hilfe. Borghi möchte zukünftig auch an Pflanzen forschen, die für den Menschen zum Verzehr geeignet sind. In Zürich wird das voraussichtlich jedoch nicht mehr passieren. Das Projekt wurde nach fünf Jahren an der Uni beendet, und alle Arbeitsgruppenmitglieder haben das Labor bereits verlassen. „Ich bin nur noch bis Weihnachten hier – wohin es mich dann verschlägt?“, wiederholt Borghi die Frage. „Das weiß ich selbst noch nicht. Momentan kümmere ich mich um Fördergelder und schaue nach einer geeigneten Stelle oder einem Gastgeber, bei dem ich meine eigene Arbeitsgruppe aufbauen kann.“ Deshalb müsse die Forschung auch momentan warten; Anträge und Bewerbungen stünden im Vordergrund. Aber das macht Borghi offenbar nichts, er wirkt optimistisch.



Letzte Änderungen: 10.10.2019